# taz.de -- Unruhen in Guinea: Von der Schlägerei zum Krieg | |
> Eine Konfrontation zwischen Jugendlichen führt zu blutigen Unruhen mit | |
> Dutzenden Toten. Hinter einer ethnischen Rivalität stecken politische und | |
> regionale Konflikte | |
Bild: Kreisläufe der Gewalt: Fliehende Mandingo, hier bei Guineas Wahlen 2011 | |
BERLIN taz | Es begann an einer Tankstelle. Kurz vor Morgengrauen am 15. | |
Juli kamen zwei Fahrschüler, Kalil Keita und Mamady Keita, um zusammen mit | |
ihrem Fahrlehrer vor Sonnenaufgang zu frühstücken – es ist derzeit der | |
islamische Fastenmonat Ramadan. Die Tankwärter hielten die beiden für | |
Diebe, hielten sie fest und misshandelten sie. | |
Der herbeigeeilte Fahrlehrer wurde verjagt. Er holte Freunde aus der nahen | |
Moschee, die die zwei Schüler retteten und schwer verletzt ins Krankenhaus | |
brachten, wo einer von ihnen wenig später starb. | |
Der Vorfall in der Kleinstadt Koulé im tiefsten Südosten von Guinea hat die | |
schwersten Unruhen in dem westafrikanischen Land seit Jahren ausgelöst. Am | |
Mittwoch meldete das Krankenhaus der südlich von Koulé gelegenen Großstadt | |
Nzérékoré, Guineas zweitgrößte Stadt, 54 identifizierte Leichen. | |
Es gebe weitere Tote, die nicht identifiziert werden konnten, weil ihnen | |
die Köpfe fehlten, sagte ein Arzt. Und „die Leute, die mit Macheten | |
zerstückelt oder lebendig verbrannt wurden, hat man nicht mitgezählt“, | |
sagte Expremierminister Jean-Marie Doré in Nzérékoré. | |
## "Einheimische" gegen "Zuwanderer" | |
Der Hintergrund der Gewalt ist einer, den es vielerorts in Afrika gibt: | |
Alteingesessene gegen Zuwanderer. Die beiden Schüler von der Tankstelle | |
waren „zugewanderte“ Konianké, die zur großen muslimischen Volksgruppe der | |
Mandingo gehören. Die Tankstellenwärter gehörten zur „einheimischen“, me… | |
christlichen Volksgruppe der Guerzé, auch Guergé genannt. | |
Als Reaktion auf den Vorfall an der Tankstelle gab es am Montag | |
Straßenschlachten in Kouré. Am Dienstag zog die Familie des toten Schülers | |
zum traditionellen Guerzé-Chief in Nzérékoré – und die Gewalt nahm ihren | |
Lauf. | |
„Eine Gruppe junger Konianké mit Macheten marschierte ins Stadtzentrum und | |
rief Parolen gegen die Guerzé“, erzählte ein Augenzeuge der Internetzeitung | |
Guinéenews. „Das führte zu Panik in der ganzen Stadt. In weniger als 30 | |
Minuten leerten sich die Straßen. Die Angreifer nahmen sich die Kirchen | |
vor, die Bars, die Häuser.“ | |
Die Guerzé hätten Zuflucht bei der Armee gesucht oder seien geflohen. | |
Gebäude in der 500.000-Einwohner-Stadt brannten. | |
## Im Schatten des Liberia-Krieges | |
Südostguinea ist seit zwanzig Jahren Rückzugsgebiet für bewaffnete Gruppen | |
aus Liberia und Sierra Leone geworden und steckt voller arbeitsloser | |
Exkämpfer. Im liberianischen Bürgerkrieg standen Mandingo und Guerzé auf | |
verschiedenen Seiten. | |
Seit die Region Hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus dem Nachbarland | |
aufnehmen musste und die Bevölkerung von Nzérékoré sich verfünffachte, | |
fühlen sich die Guerzé nicht mehr als Herr im eigenen Land. Die Mandingo | |
hingegen sehen sich zum Sündenbock für alle Probleme gestempelt. | |
In Guineas Politik mischen sich parteipolitische, regionale und ethnische | |
Rivalitäten auf explosive Weise. Bei Guineas ersten freien Wahlen 2011 | |
wurde der Mandingo und historische Oppositionsführer Alpha Condé Präsident. | |
Guineas letzter Militärdiktator Dadis Camara hingegen war ein Guerzé aus | |
Koulé. Die lokale Armee gilt also als Guerzé-freundlich, zumindest aus | |
Sicht der Mandingo. | |
Am Mittwoch kehrte in Nzérékoré prekäre Ruhe ein, meldeten lokale Medien. | |
Aber es würden immer mehr Leichen geborgen, und in Dörfern im Umland sei | |
das Töten auch am Donnerstag weitergegangen. | |
18 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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