# taz.de -- Zertifikate für Kitas: „Überstülpen funktioniert nicht“ | |
> Wie machen sich deutsche Kitas im Vergleich? So mittel, sagt die | |
> Forscherin Katharina Kluczniok. Und: Ein Gütesiegel wäre sinnvoll. | |
Bild: Zu viele Kinder für zu wenige Erzieher? Ab 1. August soll es genügend K… | |
sonntaz: Frau Kluczniok, offenbar gibt es einige Mängel an deutschen | |
Krippen. Trotzdem spricht Familienministerin Kristina Schröder nur über die | |
Anzahl der Plätze. Warum wird so wenig über Qualität geredet? | |
Katharina Kluczniok: Das trifft vielleicht auf die Diskussion in der | |
Öffentlichkeit zu. In der Wissenschaft ist die Frage seit den | |
Neunzigerjahren Teil der Auseinandersetzung. Aber es ist natürlich eine | |
Frage, ob dieser quantitative Ausbau nicht mit Qualitätseinbußen erkauft | |
wird. | |
Welches europäische Land hat denn die besten Kitas? | |
Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil die verschiedenen Länder in | |
Europa unterschiedliche Schwerpunkte setzen. In Deutschland haben wir in | |
Kitas die Trias Bildung, Betreuung und Erziehung. Zudem gibt es keine | |
aktuelle Untersuchung, die systematisch Unterschiede in der Qualität der | |
Kitas untersucht. | |
Im Grunde also: Kinder lernen, was sie können sollten, und erfahren, was | |
sie in unserer Kultur tun und lassen dürfen. | |
Ja, aber es gibt auch Länder, die ihren Fokus auf eine sehr spezifische | |
Förderung von Kindern legen. In Frankreich oder Großbritannien fokussiert | |
man zum Beispiel die kognitive Förderung, etwa den logischen Umgang mit | |
Problemen oder mathematischen Fragen. | |
Ist es sinnvoller, alle drei Bereiche gleichmäßig abzudecken? | |
Die deutsche Verbindung von Bildung, Betreuung und Erziehung ergibt | |
durchaus Sinn. In England verfolgt man diese Trias noch gezielter in den | |
sogenannten Early Excellence Center. Heute nennt man sie auch Children | |
Center. Sie kommen langsam auch nach Deutschland. Dieser Ansatz ist | |
erfolgversprechend. | |
Was ist ein Children Center? | |
Letztlich sind das ganz klassische Kitas, in denen man gleichzeitig | |
versucht, mit einer Art Familienkomponente die Eltern in Erziehungsfragen | |
zu unterstützen, um sie mehr ins Boot zu holen. | |
Wie misst man Qualität in deutschen Kindertagesstätten? | |
Die vier großen Qualitätsdimensionen sind anwendbar auf die Krippe, den | |
Kindergarten und auch die Tagespflege. Es geht immer um den Familienbezug, | |
die Struktur-, die Orientierungs- und die Prozessqualität. | |
Klingt betriebswirtschaftlich. | |
Bei der Strukturqualität schaut man: Gibt es genug Geld und Räume? Das | |
Erzieher-Kind-Verhältnis ist wichtig. Die Orientierungsqualität meint so | |
etwas wie einen roten Faden. Nach welchen Leitvorstellungen, Konzepten und | |
Werten werden Kinder pädagogisch betreut? Wenn man sich die Prozessqualität | |
mal näher anschaut, dann bezieht sich diese immer darauf, was in den | |
Einrichtungen an Aktivitäten zwischen den Erziehern und den Kindern | |
passieren, aber auch zwischen den Kindern untereinander. Da geht es aber | |
auch um Sicherheitsaspekte, die Gesundheit der Kinder und um | |
Anregungsangebote, die die Kinder entwicklungsmäßig fördern. | |
Und was fange ich mit diesen Dimensionen an? | |
Die Qualität kann ich dann zum Beispiel anhand der international und | |
national angewandten Krippenskala messen. So wird das auch bei der | |
Nubbek-Studie gemacht, von der in dieser Woche viel die Rede war. Daran | |
kann ich relativ gut ablesen, wie gut die Krippe ist. Welchen Wert zwischen | |
1 und 7 erreicht sie? | |
Welchen Wert erreichen deutsche Krippen da denn? | |
Über 80 Prozent aller untersuchten Krippen kommen auf einen Wert zwischen 3 | |
und 5 und sind mittlerer Qualität. Im Durchschnitt weisen die Kitas und | |
Krippen eine gehobene Mittelmäßigkeit auf. Nicht ganz schlecht, nicht ganz | |
gut. Das haben wir in den Einrichtungen die letzten fünfzehn Jahre schon | |
festgestellt. Es gibt da also keine große Veränderung in der Qualität von | |
Krippen, Kitas und auch der von Tagesmüttern, für die der neue | |
Rechtsanspruch ja ebenfalls gelten soll. | |
Gibt es konkrete Punkte, die seit fünfzehn Jahren immer wieder auftauchen | |
und bisher nicht behoben wurden? | |
Wenn man Deutschland etwa mit England vergleicht, schneidet es in allem, | |
was mit der Förderung kognitiver Fähigkeiten wie früher Mathematik zu tun | |
hat, oder mit Maßnahmen, die auf das frühe Lernen von Schrift und Sprache | |
abzielen, leicht schlechter ab. Denkt man das andersherum, müsste da | |
angesetzt und gerade diese Förderung intensiviert werden. Dabei hat jedes | |
Bundesland Bildungspläne für den Elementarbereich, die genau solche | |
spezifischen Fördermaßnahmen enthalten. | |
Man sagt also, man möchte, aber es klappt nicht so richtig? | |
Genau. | |
Wer ist verantwortlich für Verbesserungen? Der Bund, die Länder, die | |
Kommunen? Oder Träger wie die Arbeiterwohlfahrt, die Caritas? | |
Ich würde tatsächlich beim Träger ansetzen, der versuchen müsste, gewisse | |
Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Förderaktivitäten in der | |
Einrichtung überhaupt funktionieren: eine angemessene Gruppengröße, der | |
Betreuungsschlüssel oder die Raumkapazitäten. | |
Gleichzeitig muss es doch eine Kontrollinstanz geben, die feststellt, ob | |
die Rahmenbedingungen erfüllt sind. | |
So ein Monitoring von oben gibt es in Deutschland noch nicht. Es gibt | |
Überlegungen, ein sogenanntes Gütesiegel einzurichten. Das hat das Institut | |
von Professor Wolfgang Tietze in Berlin angeregt. Und wäre letztlich das, | |
was man aus dem Hotelgewerbe kennt: Eine Kita mit drei Sternen ist besser | |
als eine Kita mit einem Stern. Damit kann man für die Eltern sichtbar | |
machen, aha, das ist ein Kindergarten mit dem und dem Wert. Eine Plakette. | |
In den USA gibt es so was bereits. | |
Bisher ist die Teilnahme an dieser Zertifizierung freiwillig. | |
Richtig. Das liegt wiederum am Föderalismus und hat sich noch nicht | |
deutschlandweit durchgesetzt. Das ist problematisch, aber es von oben | |
überzustülpen, funktioniert nicht so einfach. | |
Vielen Eltern wird bewusst, dass es vielleicht genug Krippenplätze gibt, | |
aber die Qualität wohl leiden wird. Wie geht man mit Eltern um, die deshalb | |
darüber nachdenken, auf den Krippenplatz für ihr Kind zu verzichten? | |
Da muss man vielleicht noch mal mit der Wissenschaft argumentieren und auf | |
internationale und nationale Studien verweisen. Die Nichd-Studie aus den | |
USA zeigt, dass es deutlich positive Auswirkungen gibt, wenn ein Kind eine | |
Krippe besucht hat. Sowohl im sozial-emotionalen Bereich als auch im | |
kognitiven. | |
Dieselbe Studie zeigt allerdings auch, dass Krippenbesuche den Kindern | |
durch zusätzliche Betreuungspersonen schaden können. | |
Sie belegt, dass Kinder, die vor dem ersten Geburtstag umfangreich | |
außerfamiliäre Betreuung erhalten, später möglicherweise | |
Verhaltensstörungen aufweisen können - aber nicht zwangsläufig müssen. Von | |
daher könnte man die vorsichtige Empfehlung formulieren, Kinder erst nach | |
dem ersten Geburtstag ganztags fremdbetreuen zu lassen. | |
Das heißt also, dass Frankreich, wo Kinder oft schon sechs Wochen nach der | |
Geburt fremdbetreut werden, gar nicht das Paradebeispiel ist, zu dem es | |
häufig gemacht wird? | |
Wenn man sich die sozial-emotionale Entwicklung ansieht, scheint es da | |
tatsächlich Risiken zu geben, ja. | |
22 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Sören Musyal | |
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