| # taz.de -- Autobiografie von Duran-Duran-Bassist: Vierhundert Seiten Langzeitt… | |
| > Mit Duran Duran wurde John Taylor zum Teenieschwarm, seine Biografie | |
| > zeugt von einem stürmischen Starleben. Eine Begegnung in London. | |
| Bild: Die Frisur! Taylor, 1984 | |
| Am Ende hat er das Ganze nicht nur überlebt. Er ist sogar schon lange | |
| clean, sagt er. Und spielt wieder mit den „Wild Boys“, besser gesagt den | |
| wilden Alten zusammen. | |
| Im letzten Kapitel der soeben auf Deutsch erschienenen | |
| John-Taylor-Biografie „Gefährlich gute Grooves“ treten seine Band Duran | |
| Duran, der globale Jungmädchen-Föhnfrisur-Traum der Achtziger, fast in | |
| Originalbesetzung 2011 beim Coachella-Festival auf. „Vieles hat sich in den | |
| letzten 30 Jahren verändert“, schreibt Taylor, „Computer. SUVs. | |
| Nasenhaarschneider. Therapie via Skype. Überall hervorragender Kaffee. Was | |
| sich nicht ändert, sind die Töne auf dem Griffbrett meines Basses …“ | |
| John Taylor ist der schmale Mann am Bass, der Hübsche mit der fragwürdigen | |
| Tolle, die nach den Achtzigern schreit. An einem kühlen Sommertag im Jahr | |
| 2013 sitzt er in der Nähe des schmucken Londoner Eaton Place im | |
| Frühstücksraum eines Hotelbunkers, dessen Fassade sich verschämt hinter dem | |
| blitzweißen Putz der Nachbarhäuser wegduckt. | |
| Taylor ist heute 53 Jahre alt, er trägt die Haare ordentlich, dazu Pulli | |
| und Hose statt flamboyanter Hemden. „Aber die Schluppenbluse, die Sie | |
| anhaben, hätte ich damals auch gemocht“, sagt er. | |
| Klein war er natürlich schon immer, einzig Sänger Simon LeBon ragte stets | |
| über die Band hinweg. Taylor sieht nicht alt aus, eher so, als ob er | |
| einiges weggezogen und noch mehr durchgemacht hat. | |
| ## Eine Kindheit in Hollywood | |
| Was genau, das hat er auf über 400 Seiten ausgebreitet wie eine spannende, | |
| bodenständige Langzeittherapiesitzung: Von der Kindheit in einem Vorort von | |
| Birmingham, der „Hollywood“ hieß, über musikalische Erweckungserlebnisse | |
| mit Kirchenhymnen wie „Away in a manger“ oder „O come all ye faithful“, | |
| über Songs der Beatles, die den Söhnen damals von ihren in die Fab Four | |
| verknallten Müttern vorgesungen wurden, bis zur dramatischen | |
| Sprachlosigkeit eines vom Zweiten Weltkrieg traumatisierten Vaters. | |
| Und von der Musikerziehung durch den New Musical Express, der Begeisterung | |
| für Glamrock, Roxy Music und David Bowie bis zum Punk und zu den Sex | |
| Pistols. | |
| Brillenschlange und Außenseiter Nigel John Taylor, wie er eigentlich heißt, | |
| lümmelt auf verschwommenen Siebziger-Jahre-Fotos im Buch bemüht cool vor – | |
| später dann auf – der Bühne herum. Er benimmt sich, wie Halbstarke sich | |
| seit jeher benehmen. Bei einem Auftritt von Johnny Thunders in den | |
| Siebzigern, in den Taylor, wie er es damals immer tat, einen | |
| Kassettenrekorder hineinschmuggelte, erlebte er als Vorgruppe eine Band, | |
| von der er noch nichts gehört hatte: The Police. | |
| „Der Sänger von The Police spielte auch Bass, was gar nicht punkgemäß auf | |
| mich wirkte“, schreibt er im Buch. Taylor hat den damaligen Wortwechsel | |
| aufgenommen und in seiner Biografie verewigt: „Sting: Gleich kommen die | |
| Heartbreakers. Wisst Ihr, sie können nicht spielen. Ich: Fuck off! Sting: | |
| Wer hat fuck off gesagt? Ich: Das war ich. Sting: Sie sind wirklich tolle | |
| Jungs, aber sie können nicht spielen. Ich: Hau ab, du Wichser!“ | |
| „Als Teenager“, erzählt Taylor, während er am stillen Wasser nippt und die | |
| Lesebrille verstaut, „habe ich ausschließlich moderne Musik gehört, nicht | |
| olles Zeug wie die Beatles, und ganz bestimmt keinen Jazz. Ich wollte nur | |
| die Sex Pistols hören!“ | |
| ## Es gab noch keine Internet Movie Database | |
| Taylor schreibt über die Bandgründung von Duran Duran, die lange Suche nach | |
| dem Sänger, die ein Ende hatte, als der damals weißblond gefärbte und mit | |
| poetischen Textfragmenten in einer Chinakladde herumlaufende LeBon | |
| dazustieß. Pragmatisch erklärt Taylor, wieso die Band nicht Durand-Durand | |
| (wie der Bösewicht im Film „Barbarella“) heißt: „Weil du im Film weder … | |
| ’d‘ am Ende noch den Bindestrich hören kannst. Und außerdem, Internet Mov… | |
| Data Base gab es damals noch nicht.“ | |
| Gespielt haben Duran Duran dann aber nicht Punk, sondern Pop, aufgehübscht | |
| und reich dekoriert mit dem Begriff „New Romantic“. Denn der Nile-Rodgers- | |
| und Chic-Fan Taylor hatte nicht das Bedürfnis, die Umwelt zu brüskieren, | |
| sondern Grooves hinzukriegen, die alle mitreißen: „Als aktiver Musiker war | |
| ich nie politisch motiviert, ich wollte nicht schockieren“, erzählt er. | |
| „Es war eher so, dass die Band mir ein Zuhause geben konnte, etwas, mit dem | |
| ich mich identifiziere. Ich hatte eine Menge Selbstzweifel, als ich jung | |
| war. Und es gibt ja zwei Möglichkeiten, sich in Musik zu verlieren: Sie | |
| allein zu hören und zu empfinden, und dann diese Erfahrung, die Musik | |
| gemeinsam mit 2.000 anderen bei einem Konzert zu hören, als ob man | |
| plötzlich seinen Stamm findet.“ | |
| Der Stamm wuchs gewaltig, als man die Siebziger mitsamt ihren | |
| Hippie-Endmoränen hinter sich gelassen hatte und Taylor anfing, | |
| Kontaktlinsen zu tragen. „Planet Earth“ kletterte in die Charts, ihr | |
| zweites Album „Rio“ erschien, und das Video „Girls on Film“, es durfte … | |
| spätabends bei MTV laufen, weil darin zu viele nackte Brüste wackelten. | |
| Duran Duran hatten sich als moderate Vorläufer der später in Japan zu | |
| findenden Visual-Kei-Bands etabliert, als Band, die ohne Videoclips nie so | |
| groß geworden wäre, die von dem guten Aussehen ihrer Mitglieder extrem | |
| profitierte, und säckeweise Fanpost von begeisterten Teenager-Mädchen | |
| beantwortete. | |
| ## Modelfreundinnen als Sammlerpuppen | |
| „Vorher hatten wir gedacht, wir sollten am besten mit Musikmagazinen | |
| reden“, erzählt Taylor, „dabei ging es erst richtig los, als wir als | |
| gefaltete Poster in die Teenmagazine gelegt wurden!“ So wurde das zweite | |
| charakteristische Merkmal von Duran Duran geprägt: Die Band mit den | |
| austauschbaren Modelfreundinnen, die wie Sammlerpuppen das Prestige der | |
| Band heben sollten. | |
| Im Buch schreibt Taylor, wie er in einer Bar von einer Frau angesprochen | |
| wird, der er eine unhöfliche Abfuhr erteilt, weil er mit seiner Freundin | |
| Chris – einem unbekannten schwedischen Model – unterwegs ist. Später | |
| erzählt ihm jemand, er habe Renée Simonsen, das aktuelle Titelgesicht der | |
| Vogue abblitzen lassen, und der frauenverwöhnte Popstar kommt schwer ins | |
| Grübeln: „Habe ich gerade wirklich so eine Chance ausgeschlagen? Ich mochte | |
| Chris, sie war toll, ein gutes Mädchen, hübsch … aber na ja, sie war nicht | |
| Renée Simonsen.“ | |
| „Es ging schon auch darum, die anderen Bands zu beeindrucken“, gibt Taylor | |
| im Gespräch zu, „das war fast wie ein Wettstreit.“ Aber das ausufernde | |
| Womanizing liegt inzwischen hinter ihm, und Fragen nach der geradezu | |
| fahrlässigen Oberflächlichkeit solcher auf Vogue-Cover und Machismus | |
| basierenden Gefühle kann er weglächeln. Taylor ist seit fast 15 Jahren mit | |
| einer Designerin verheiratet, hat eine erwachsene Tochter mit seiner | |
| Exfrau. Vor allem ist er einfach froh, dass es ihn noch gibt. | |
| Denn der Grund dafür, dass er seine Biografie gerade jetzt schreibt, sich | |
| sowohl interessante, analytische Gedanken zum Zusammenhang von Zeitgeist | |
| und Schrifttypen oder von europäischem Pop und christlicher Kirchenmusik im | |
| Gegensatz zu amerikanischem Pop und Gospel als auch megalomane Flachheiten | |
| von der Seele tippt, ist – neben dem bestimmt gelegen kommenden Honorar – | |
| der Tod seines Vaters 2010 und sein Kampf gegen die Heroinsucht. | |
| ## Zu kaputt für alles | |
| „Das Buch ist eine Art umfassender nostalgischer Seufzer“, sagt Taylor. | |
| „Ich habe versucht, zu zeigen, dass ich eine wunderbare Kindheit hatte – | |
| und trotzdem später total im Arsch war. Drogensucht macht keinen | |
| Unterschied zwischen Alter, familiärem Hintergrund oder Klasse. Die Wurzel | |
| einer solchen Sucht liegt nicht unbedingt in der Kindheit.“ Taylor, der von | |
| Anfang an viel trank und seit den Siebzigern regelmäßig und immer mehr | |
| kokste, war zwischenzeitlich zu kaputt, um Musik zu machen. Zu kaputt, um | |
| sich um seine Frau, seine Tochter oder sich selbst zu kümmern. | |
| Nach privaten und beruflichen Zerwürfnissen und Abstürzen, nach Göbeln auf | |
| Bürgersteigen und drogeninduzierten finanziellen Fiaskos machte er Ende der | |
| Neunziger einen erfolgreichen Entzug. Nach ein paar Jahren mit Ersatzbands | |
| und dem Umzug nach Los Angeles spielt er seit 2001 wieder bei Duran Duran. | |
| Ein paar nicht wirklich nötige Alben haben sie gemacht und auf Festivals | |
| nochmals ihre alten Hits gespielt. | |
| Er gehe jetzt direkt zur Probe, kündigt Taylor dann auch zum Abschluss des | |
| Gesprächs an. Um in Form zu bleiben, spiele man noch, so oft man könne, | |
| wenn er in London sei. | |
| Als der schmale Mann mit den etwas wächsernen Falten aus der Tür tritt, | |
| fällt keine der nach 1980 geborenen Rezeptionistinnen in Ohnmacht. Sein im | |
| Original „In the Pleasure Groove“ betiteltes Buch ist auf vielen Seiten | |
| nicht mehr als symptomatisches Popstargeschwätz. Aber auf den anderen | |
| erzählt es ehrlich, gut lesbar und nachdenklich von einem Jahrzehnt, in dem | |
| die Sache mit dem Pop und den Stirnbändern noch ernst gemeint war. In dem | |
| einen der „Wild Boys“-Pathos immer zum Grinsen brachte. | |
| 22 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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