| # taz.de -- Regisseur über B-Movies: „Für Gedanken braucht man kein Geld“ | |
| > Roger Corman, der große alte Mann der B-Movies, über Rebellion, | |
| > unabhängiges Filmemachen und die heutige Technik im Film. | |
| Bild: Spezialist für Horror- und Monsterfilme: Roger Corman. | |
| taz: Herr Corman, Sie haben als Kurier bei FOX angefangen und sind schnell | |
| zum Produzenten und Regisseur aufgestiegen. Ihre Beziehung zum Studiosystem | |
| war aber immer kompliziert, und Ihre Filme kamen am Ende nur in | |
| verstümmelten Fassungen ins Kino. | |
| Roger Corman: Ich habe mehrmals für die großen Studios gearbeitet und kam | |
| eigentlich ganz gut mit ihnen zurecht, abgesehen von der Tatsache, dass ich | |
| immer unter der Kontrolle der Studiobosse stand. Es waren also nicht alle | |
| Entscheidungen, die mit der Produktion meiner Filme zu tun hatten, auch | |
| meine eigenen, und ich entschloss mich zum unabhängigen Filmemachen, mit | |
| dem ich begonnen hatte, zurückzukehren. Ich wollte wieder die Kontrolle | |
| über meine eigenen Filme haben. Und selbst dort hatte ich nicht immer alle | |
| Freiheiten. | |
| War das der Grund, weshalb Sie dann in den 1970ern mit New World Ihre | |
| eigene Produktionsfirma gründeten? | |
| Ja. Die 60er Jahre waren eine Zeit der Rebellion, wie Sie sicherlich | |
| wissen. | |
| Davon zeugen ja auch viele Ihrer Filme wie „The Trip“ oder „The Wild | |
| Angels“. | |
| Meine Filme waren Bestandteil dieser Gegenkultur, und die Firma, für die | |
| ich diese Filme machte, war an die Börse gegangen, nachdem sie zuerst in | |
| Privatbesitz gewesen war. Die Leute dort wurden immer konservativer, | |
| während ich immer mehr zum radikalen Linken wurde. Das veranlasste die | |
| Firma dazu, einige meiner Filme neu zu schneiden, und es veranlasste mich | |
| zu der Entscheidung, nie wieder für jemand anderes zu arbeiten. Ich | |
| gründete also meine eigene Produktionsfirma, hatte aber zu diesem Zeitpunkt | |
| nie vor, mit dem Filmemachen aufzuhören. Ich wollte ein Jahr als Produzent | |
| arbeiten und dann zur Regie zurückkehren. Überraschenderweise war meine | |
| Firma aber vom ersten Film an so erfolgreich, dass ich die meiste Zeit mit | |
| der Produktion und dem Verleih neuer Filme beschäftigt war. Das nahm mich | |
| vollkommen in Anspruch, denn das Verleihsystem musste gefüttert werden. Als | |
| wir dann zehn bis zwölf Filme pro Jahr produzierten, hatte ich keine Zeit | |
| mehr für eigene Projekte. Und tatsächlich war „Roger Cormans Frankenstein“ | |
| 1990 der erste Film, bei dem ich wieder für ein großes Studio Regie führen | |
| sollte. Danach ging ich aber sofort wieder in die Produktion zurück. | |
| Sie werden oft als Rebell bezeichnet. Sehen Sie sich auch selbst so? | |
| In gewissem Maße schon. Man ist immer beschränkt darin, wie sehr man Rebell | |
| sein kann, wenn man kommerziell erfolgreich sein möchte. Ich würde also | |
| sagen, dass ich ein Rebell und Radikaler bin, der in einem System arbeitet, | |
| das mir bestimmte Grenzen setzt. | |
| Meist wird nur über die Quantität Ihrer Filme und deren | |
| Produktionsbedingungen gesprochen, dabei waren viele Filme wie „Der Mann | |
| mit den Röntgenaugen“ in der Bildsprache durchaus visionär. Interessierten | |
| Sie neue Seherfahrungen, oder ging es Ihnen vorranging darum, Ihr Publikum | |
| zu unterhalten? | |
| Es war eine Kombination von beidem. Natürlich ging es mir darum, das | |
| Publikum zu unterhalten, aber das Kino als filmische Sprache und Kunstform | |
| hat mich auch immer interessiert. Im Besonderen waren es die visuellen | |
| Aspekte des Films und das Experimentieren mit neuen Formen und Bildern, was | |
| mich in diesen Filmen reizte. Ich wollte die Spezialeffekte ausprobieren, | |
| die es zu jener Zeit gab und die ich mir leisten konnte. Ich würde sagen, | |
| dass ich im Rahmen meiner finanziellen Mittel so einfallsreich war, wie es | |
| mir eben möglich gewesen ist. | |
| Ihre Filme aus den 1950ern sind charmante B-Movies. Heutzutage wirken | |
| selbst die schlechtesten Filme sehr professionell. Wünschen Sie sich, dass | |
| FilmemacherInnen heutzutage weniger perfekt und dafür mit mehr Leidenschaft | |
| ans Werk gehen würden? | |
| Es gibt heutzutage zweifelsfrei eine Tendenz, sich von der modernen Technik | |
| abhängig zu machen. Das betrifft vor allem computergenerierte Effekte. | |
| Viele verlassen sich auf Kosten der Handlung darauf und sind von den | |
| Schauwerten geblendet. Man darf dabei aber nie die Geschichte aus den Augen | |
| verlieren. | |
| Gibt es Dinge, die Sie bereuen? | |
| Nichts Wesentliches. Manchmal glaube ich, dass ich nicht mit dem | |
| Filmemachen hätte aufhören sollen. Vielleicht hätte ich besser jemand | |
| anderes meine Firma überlassen sollen, um selbst wieder Regie zu führen. | |
| Ein paar Mal habe ich das probiert, aber die Leute haben sich nicht | |
| sonderlich gut angestellt, also bin ich in die Produktion zurückgekehrt. | |
| Könnte es denn heutzutage noch einen Roger Corman geben? | |
| Ja. Er – oder sie – würde sich allerdings anders entwickeln. Es gibt zwei | |
| große Unterschiede zwischen der Situation heute und der Zeit, in der ich | |
| begann, Filme zu machen. Einerseits ist es heute wesentlich leichter. Die | |
| Ausrüstung ist besser, leichter und tragbar geworden, und man kann | |
| problemlos an Originalschauplätzen und generell effizienter drehen. | |
| Technisch gesehen ist also vieles einfacher geworden, obwohl es natürlich | |
| nie leicht ist, einen Film zu machen. Auf der anderen Seite ist der Verleih | |
| von Filmen wesentlich schwieriger geworden. Zu Beginn meiner Karriere | |
| wurden selbst die Filme, die ich für 30.000 oder 40.000 US-Dollar gemacht | |
| habe, regulär im Kino gezeigt. Heute dominieren die großen Studios mit | |
| ihren manchmal mehr als 200 Millionen US-Dollar schweren Produktionen das | |
| Verleihgeschäft so sehr, dass die Independents größtenteils aus den Kinos | |
| verdrängt werden. Ab und zu gelingt es dann doch mal, aber 99 Prozent der | |
| Filme schaffen es gar nicht erst ins Kino. Das macht es immer schwieriger, | |
| mit kleinen Filmen ein Publikum zu erreichen. | |
| Was ist denn Ihrer Meinung nach ein unabhängiger Filmemacher? Der Begriff | |
| der Unabhängigkeit scheint – gerade in Hinblick auf Ihre Karriere – nicht | |
| ganz unproblematisch. | |
| Zuerst mal würde ich sagen, dass es so etwas wie einen hundertprozentig | |
| unabhängigen Filmemacher nicht gibt. Selbst wenn man außerhalb des Systems | |
| arbeitet, steht man immer noch mit einem Bein im System, denn jeder ist auf | |
| Finanzierung und einen Verleih angewiesen. Für mich ist ein unabhängiger | |
| Filmemacher jemand, der uneingeschränkt kreativ nach seinen eigenen | |
| Vorstellungen arbeiten kann. Geschichte, Thema, Machart, Kameraarbeit und | |
| Schnitt: Das sind Entscheidungen, die ein unabhängiger Filmemacher oder | |
| eine unabhängige Filmemacherin vollkommen allein trifft, ohne dabei von | |
| einem Studio abhängig zu sein. | |
| Haben Sie sich schon früh einen Panzer zugelegt, als Sie merkten, dass man | |
| Ihre Filme nicht ernst nimmt, obwohl Sie sehr hart dafür arbeiteten? | |
| Ich habe einfach immer weiter Filme gemacht. Und später wurde ich dann auch | |
| von den Kritikern ernst genommen. Das fing überraschenderweise bei der | |
| französischen Filmkritik zu einem kleinen Film an, den ich in zehn Tagen | |
| abgedreht hatte. Der Film hieß „Machine Gun Kelly“ und hatte einen | |
| unbekannten Schauspieler, Charles Bronson, in der Hauptrolle. In den USA | |
| wurden die meisten Low-Budget-Filme gar nicht erst besprochen, aber hier | |
| war das anders. Der Film bekam gute Kritiken und war kommerziell | |
| erfolgreich. Als er in Paris anlief, waren die Kritiken noch besser und der | |
| Film auch hier ein Erfolg. Durch diesen Film bekam ich dann später ein | |
| bisschen mehr Anerkennung. | |
| Halten Sie Ihre Arbeit im Allgemeinen für unterschätzt? | |
| Nicht unbedingt. Ich fühle mich schon recht fair behandelt. Meine Filme | |
| waren günstig produziert, und man konnte ihre Produktionsbedingungen selten | |
| verbergen. Aber hinter jedem Film steckten ein paar Gedanken, und für | |
| Gedanken braucht man kein Geld. Man braucht nur Geld, um die Gedanken | |
| umzusetzen. | |
| Ihre Kollegen Woody Allen und Alain Resnais stehen im hohen Alter immer | |
| noch hinter der Kamera. Haben Sie sich überlegt, auch noch mal Regie zu | |
| führen? | |
| Das würde ich, wenn ich eine Idee hätte, in die ich verliebt bin. Ich habe | |
| mehrmals darüber nachgedacht, aber ich würde es nicht nur für die Sache | |
| selbst tun. Im Moment habe ich keine Idee, aber das kann sich in zehn | |
| Minuten ändern. | |
| 25 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Toby Ashraf | |
| ## TAGS | |
| Film | |
| Horror | |
| Nachruf | |
| Filmproduktion | |
| Quentin Tarantino | |
| Film | |
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