Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 20 Jahre US-Dollar auf Kuba: Zwei Währungen, zwei Welten
> Die Einführung des US-Dollars vor 20 Jahren hat in Kuba soziale Gräben
> aufgerissen. Die Ärmsten brauchen Unterstützung. Aurora Valestero sorgt
> für sie.
Bild: Die Kubaner leben täglich mit einer starken und einer schwachen Währung
CÁRDENAS taz | Geschickt fährt Aurora Valestero mit der Klinge über das
stoppelige Kinn von Alberto Franchi. Der 54-jährige ehemaliger
Agrartechniker ist nach einem Hirnschlag auf Hilfe angewiesen und gehört zu
den Patienten der 51-jährigen Frau, die für die protestantische
Kirchengemeinde in Cárdenas arbeitet.
Die Hafenstadt im Nordwesten der Insel liegt nur ein gutes Dutzend
Kilometer von Varadero, Kubas wichtigstem Tourismusort, entfernt. Früher
war Cárdenas eine lebendige Industriestadt. An den Kais wurde Zucker
verladen, es gab mehrere Werften, eine Waggonfabrik und eine große
Destillerie. „Heute gibt es hier kaum mehr Arbeit. Die jungen Leute wandern
nach Varadero oder gleich nach Havanna ab“, erzählt Aurora Valestero und
reinigt die Wangen von Alberto Franchi von Rasierschaumresten.
Seit einigen Jahren arbeitet die diplomierte Ökonomin für die Kirche. Diese
unterhält in Cárdenas ein großes Zentrum, eine eigene Farm und eben den
Pflegedienst, der bei Alberto Franchi täglich nach dem Rechten sieht.
Franchi ist infolge eines Hirnschlags behindert. Er lebt allein in der
kleinen Parterrewohnung im Stadtzentrum. Sein 22-jähriger Sohn ist nach
Havanna umgezogen, und eine Frau gibt es in seinem Leben auch nicht mehr.
120 kubanische Peso Rente bekommt Franchi im Monat. „Die reicht hinten und
vorne nicht, denn allein für Strom muss er rund 30 Peso ausgeben und ein
normales Mittagessen kostet 25 Peso in einem einfachen Restaurant. Ohne die
Hilfe der Kirche wäre er aufgeschmissen“, sagt die Pflegerin.
## Der CUC wurde 2004 eingeführt
Sie ist jeden Tag mit dem Fahrrad in Cárdenas unterwegs und versorgt
gemeinsam mit einer Kollegin 120 Hilfsbedürftige. Bei manchen fahren sie
täglich vorbei, bei anderen nur einmal die Woche. Aber alle erhalten gegen
Mittag ihren Henkelmann, in dem das Mittagessen aus der Kirchenkantine
angeliefert wird. „Ohne geht es nicht, denn die Lebenshaltungskosten kennen
in Kuba derzeit nur eine Richtung und für immer mehr Produkte werden
Devisen verlangt“, sagt Aurora Valestero. Seife, Rasierklingen, Deodorant
oder auch Milchpulver sind oft nur in Devisensupermärkten des Staates zu
haben. Dort zählt nur der CUC, der nur in Kuba gültige Devisenpeso.
Diese Währung wurde 2004 eingeführt, um den als Hartwährung kursierenden
US-Dollar abzulösen. „Die Legalisierung des US-Dollars im Sommer 1993 war
traumatisch. Es gab kaum mehr etwas zu kaufen, der Schwarzmarktkurs des
US-Dollars pendelte um die 140 Peso. Das war fast ein Monatslohn“, erinnert
sich die ehemalige Ökonomin.
Damals stand Kuba kurz vor der Pleite und so stellte sich Staatschef Fidel
Castro am 26. Juli 1993, dem Nationalfeiertag, vor die Mikrofone und gab
bekannt, dass der Besitz von US-Dollar fortan legal sei. Die Maßnahme sei
unumgänglich, um die Errungenschaften der Revolution zu bewahren, erklärte
er kleinlaut.
Seine Regierung benötigte Devisen, denn mit der Auflösung des
sozialistischen Staatenblocks hatte die Insel ihre Handelspartner, ihre
Lieferanten und auch ihre Kreditgeber verloren. Überlebenswichtig war es
nun, die auf der Insel kursierenden US-Dollar abzuschöpfen, um damit
Nahrungsmittel und Erdöl auf dem Weltmarkt einkaufen zu können. Die
Rechnung ging auf, die Staatspleite konnte gerade so abgewendet werden.
## Auroras Mann ist nach Miami geflohen
Doch den Preis dafür zahlen die Kubaner heute noch. Denn seither leben sie
mit einer starken und einer schwachen Währung. „Die schwache ist leider
die, in der die meisten Kubaner entlohnt und auch die Renten ausgezahlt
werden“, sagt Aurora.
Sie ist inzwischen bei Orestes Muñiz angekommen, der mit seiner Schwester
Irma in einer einfachen Neubauwohnung wohnt. „Wer heute in Kuba gut leben
will, braucht entweder Verwandte im Ausland oder hat beste Kontakte nach
oben“, erzählt der 67-jährige ehemalige Lehrer. Er hat weder das eine noch
das andere. Seine Ehe blieb kinderlos und Verwandte im Ausland hat der Mann
mit der hohen, von weißen Haaren umrandeten Stirn nicht. Ein Dilemma, denn
monatliche Geldsendungen halten viele Familien in der Nachbarschaft über
Wasser. „Dabei hat die hellhäutige Bevölkerung die Nase vorn“, sagt die
blasse Aurora Valestero lachend.
Ihre Großeltern kamen aus Spanien und ihr Exmann hat die Reise über den
Golf von Florida gewagt und lebt seit 2007 in Miami. Doch von ihm und auch
von der ihr unbekannten Verwandtschaft in Spanien hat die Frau mit den
hochgesteckten blonden Haaren nichts zu erwarten. „Ich muss mit dem
auskommen, was die Kirche mir zahlt, und zum Glück erhalte ich einen
kleinen Teil meines Lohns in CUC.“
Nichts Ungewöhnliches in Kuba, wo seit der Einführung der doppelten Währung
Prämien und Anreize in Devisen durchaus üblich sind. Gerade weil die
Kaufkraft der nationalen Währung seit der Krise Mitte der neunziger Jahre
nie wieder das Niveau vor der Krise erreicht hat.
Das belegen auch die Studien kubanischer Sozialwissenschaftler. Die
bestätigen auch, dass sich das Gesellschaftsgefüge in den letzten Jahren
merklich verändert hat. Zu den Verlierern der anhaltenden Wirtschaftskrise
und der doppelten Währung zählen auch die, die einst von der Revolution
überproportional profitierten. Farbige Lehrer wie Orestes Muñiz oder
engagierte Frauen wie Aurora Valestero. Die ist schon wieder auf dem Weg zu
ihren nächsten Patienten. Und die Zahl der Bedürftigen wird nicht weniger.
3 Aug 2013
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Schwerpunkt Fidel Castro
Währung
Kuba
Kuba
Raul Castro
Kuba
Kuba
Kuba
Yoani Sánchez
Kuba
Kuba
Kuba
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schuldenkrise in Kuba: Russland verzichtet auf Altschulden
Die Pro-Kopf-Verschuldung Kubas ist die höchste der Welt. Nun sorgt
Russland für Entlastung. Die Regierung in Havanna hat auch mit anderen
verhandelt.
Ausreisewelle in Kuba bleibt aus: Sie fliehen nicht, sie reisen
Nach der Lockerung der Ausreisebestimmungen Anfang 2013 fürchtete Kuba,
dass viele Bürger das Land verlassen. Das ist nicht passiert, berichten
jetzt die Behörden.
Tiefwasserport in Kuba: Hafen mit Haken
Im Zuge des Komplettumbaus des kubanischen Wirtschaftssystems wird ein
riesiger Hafen errichtet. Und der hat einen fatalen Konstruktionsfehler.
Reformen auf Kuba: Weg frei in die Major League Baseball
Kuba will seinen Sportlern zukünftig Tätigkeiten bei ausländischen Vereinen
erlauben. Zudem sollen weitere 18 Berufe selbstständig ausgeübt werden
dürfen.
Gesundheitswesen in Brasilien und Kuba: Tausche Mediziner gegen Devisen
Mit 4.000 kubanischen Ärzten will Brasilien seine medizinischen Mängel
beheben. Kubas Gesundheitswesen braucht die Einnahmen.
Kubanische Bloggerin in Berlin: „Ich bin Beschimpfung gewöhnt“
Yoani Sánchez, die berühmteste Kritikerin der kubanischen Regierung, ist zu
Besuch in Berlin. Anhänger des Castro-Regime demonstrieren gegen sie.
Kubanische Bloggerin in Brasilien: Castro-Freunde verhindern Debatte
Bei ihrer ersten Veranstaltung in Brasilien wurde die kubanische Bloggerin
Sánchez von regierungsfreundlichen Demonstranten niedergebrüllt.
Reggaeton in Kuba: Auf dem Index der Revolution
Reggaeton ist der Sound der Jugend Lateinamerikas. Im nicht prüden Kuba ist
der Musikstil nun in Radio und Fernsehen verboten.
Wahl in Kuba: Fidel zeigt sich an der Urne
Ein Jahr lang hatte man den „Revolutionsführer“ nicht in der Öffentlichke…
gesehen. Am Sonntag gab er vor der Kamera seine Stimme ab. Dissidenten
nannten die Wahl ein Farce.
Kubanische Bloggerin darf ausreisen: Reisefieber in Havanna
Seit Montag geben die kubanischen Migrationsbehörden Reisepässe aus. Selbst
Kritiker der Regierung wie Yoani Sánchez erhalten die Papiere – und wollen
bald los.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.