# taz.de -- Dem Hirschkäfer auf den Spuren: Säufer und Brandstifter | |
> Wo der Hirschkäfer lebt, ist die Welt noch in Ordnung. Unser Autor | |
> rüstete eine Expedition aus und machte sich auf die Suche. | |
Bild: Die Deutschen glaubten einmal, Hirschkäfer würden Häuser in Brand stec… | |
Ich kann die Besitzerin eines großen Automobils für die | |
Hirschkäfer-Expedition begeistern, praktisch, da wir darin übernachten | |
können. Eine kräftige Taschenlampe brauchen wir, mehr Ausrüstung ist nicht | |
nötig. | |
Die meisten Menschen haben Grillen, merkwürdige Ideen, und meine Grille ist | |
in diesem Jahr der Hirschkäfer. Ich versuche, in jedes Buch, das ich 2013 | |
signiere, einen Hirschkäfer hineinzuzeichnen. Schon im Januar fand ich dann | |
einen echten „Lucanus cervus“ in Berlin. In der Choriner Straße, 100 Meter | |
von meiner Wohnung entfernt. Er hängt im dortigen Treppenhaus, ist weiß und | |
besteht aus einem VW-Käfer-Modell mit Geweih. | |
Heute ist der Hirschkäfer die Nachweisart schlechthin. Wo man ein solches | |
Tier dokumentieren kann, ist etwas in der Natur noch erstaunlich in | |
Ordnung. Die größte Bedrohung für den fetten Brummer sind nicht Pestizide, | |
Sammler oder Autos, sondern die Ordnungsliebe. Die Larven ernähren sich von | |
vermodertem Eichenholz, und wenn die Wälder so aufgeräumt werden wie in | |
Deutschland, findet der Käfer keine Nahrung. | |
Ich kam mit dem Hirschkäferforscher Ingo Fritzsche aus Wernigerode in | |
Korrespondenz. Als ich ihm von meinem Wunsch schrieb, Hirschkäfer zu sehen, | |
lud er mich ein, dort bei ihm im Harz sei einer der Hotspots. | |
## OSRAM wollte nicht mit Kakerlaken werben | |
Wir treffen Ingo Fritzsche in Hasserode, einer Ortschaft, die sich entlang | |
des Flüsschens Holtemme erstreckt. Perfektes Wetter sei heute, sagt er uns, | |
jetzt zur Abendstunde fliegen sie aus in der Hoffnung, ein Weibchen zu | |
finden. Fritzsche, Jahrgang 1972, hat Biologie, Naturschutz, | |
Landschaftsplanung und -nutzung studiert und viele neue Arten als Erster | |
beschrieben. | |
Normalerweise züchtet er Schnecken. Sein Spezialgebiet sind aber Schaben, | |
eine leuchtende Art hat er entdeckt und sogar OSRAM angeboten, sie nach dem | |
Leuchtmittelhersteller zu benennen, aber die Marketingleute lehnten ab, | |
wohl weil sie Kakerlaken für nicht werbeträchtig hielten. | |
Außerdem ist Fritzsche Chefredakteur von Bugs, einem Hochglanzmagazin über | |
Wirbellose, mit Artikeln wie „Auf Hirschkäfersuche im Süden Indiens“, in | |
dem Benjamin Harink von seinen Abenteuern mit Blutegeln berichtet, die ihn | |
bei lebendigem Leibe zu verzehren drohen, bis er einige der seltensten | |
Hirschkäfer vom Stamme der Odontolabis delesserti entdeckt. | |
Wir fahren in den Wald, einen von Teichen flankierten Weg mit dem schönen | |
Namen Himmelpforte Richtung Nordwesten und schlagen das Hirschkäfer-Camp | |
auf, indem wir die Autos abstellen. Ingo versprüht den Köder an die | |
Eichenstämme, einen braunen aufgekochten Saft aus Malzbier, Schwarzbier, | |
Honig, Sirup und Zucker. Möglichst nahe soll der intensive Duft dem vom | |
Leibtrunk der Käfer kommen: gegorenem Eichensaft. Unsere Hoffnung ist, dass | |
den Schrötern dieser Wohlgeruch vor die Geschmacksborsten kommt und sie | |
bald einfliegen. | |
## Alkohol für die Fruchtbarkeit | |
Die Vorliebe für Alkohol hat der Hirschkäfer mit vielen anderen Tieren | |
gemeinsam, in Maßen genossen, fördert die Naturdroge die Fruchtbarkeit. Bei | |
Wilhelm Busch kredenzt ein Hirschkäfer den Insektendamen Leckereien: | |
„Da macht ja wohl Herr Schröter / Den angenehmen Schwerenöter!“ | |
In Wirklichkeit ist es umgekehrt, kommen doch etliche männliche Hirschkäfer | |
auf ein Weibchen. Wegen der Kämpfe ums Recht der Befruchtung wuchsen den | |
Schrötern die gewaltigen Mundwerkzeuge, es sind die Oberkiefer, die der | |
Laie als Geweih und der Fachmann als Mandibeln bezeichnet. Schröter als | |
Bezeichnung für Hirschkäfer ist fast ausgestorben, aber die Familie | |
Lucanidae, Waldbewohner, ist im Deutschen noch immer die der Schröter, also | |
der „Abschneider“. In Schillers „Kabale und Liebe“ liest man: | |
„Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerey wie den Schröter am Faden!“ | |
Heutzutage wird es Kindern schwerfallen, überhaupt einen Schröter zu sehen, | |
ganz abgesehen davon, ihn an einem Faden zu halten. Zusammengesetzt waren | |
die Namen Baum-, Holz-, Horn- oder Feuerschröter üblich. Auch Haußbrenner | |
oder Donnerpuppe nannte man ihn, und in einer alten Quelle heißt es: | |
„im Nider-Teutschland heißt diß Insect an einigen Orten Feurwurm.“ | |
Noch sind keine Hirschkäfer in Sicht, und Ingo Fritzsche erklärt uns, wie | |
es kam, dass die Deutschen früher glaubten, die Hirschkäfer kämen mit | |
glühenden Kohlen angeflogen und würden die Häuser in Brand stecken. Bei | |
schwülem Wetter schwärmen die fetten Brummer besonders gern auf der Suche | |
nach gegorenem Eichensaft aus, Gewitterstimmung ist am besten. Und wenn | |
unseren Vorfahren Blitzschlag das Dach in Flammen setzte und sie die vom | |
Licht angelockten Käfer sahen, verwechselten sie Ursache und Wirkung. | |
## Größter Käfer Europas | |
Hier im Harz sind aber keine in Sicht, wir lassen den Köder duften und | |
gehen suchend dorthin, wo einst das Kloster Himmelpfort gestanden hatte, | |
Rüssel- und Marienkäfer fangen wir ein, Wanzen und Raupen verschiedener | |
Schmetterlinge. | |
Ein Gedenkstein kündet von einem Besuch Martin Luthers in dem Kloster 1517. | |
Noch davor hatte der Philologe Antonius Hulsius im 15. Jahrhundert den | |
größten europäischen Käfer beschrieben: | |
„Ein großer fliegender Wurm, hat Hörner“ | |
Wir gehen zurück zu den mit Bier besprühten Eichen, Fritzsche rät, nach | |
oben zu sehen, die Käfer seien selbst über den Eichen zu entdecken. | |
Immerhin seien sie größer als manche Kolibris. Aber es sind keine in Sicht. | |
Mit Pheromonen würde man die Erfolgschancen noch erhöhen, aber dafür müsste | |
man einen vierstelligen Betrag ausgeben. Da bleiben wir doch bei Bier. | |
Die Sonne ist untergegangen, die Unken singen die Ouvertüre fürs | |
Froschkonzert. In der Nacht suchen wir immer wieder die Köderflächen und | |
die Stellen ab, an denen Eichensaft ausläuft, aber außer Motten sind keine | |
Insekten unterwegs. Doch am Morgen sehen wir wirklich einen lebenden | |
Hirschkäfer! | |
Ingo hat Mitleid mit uns gehabt und einen von zu Hause mitgebracht. Ein | |
echter Hirschkäfer der Gattung Dorcus titanus, in der indonesischen Wildnis | |
gefangen. Seit einem halben Jahr hat Fritzsche ihn, damit ist er schon | |
recht alt, einen Fühler hat er verloren, und bald werden ihm auch die | |
ersten Beine ausfallen. Aber mit seinen Mandibeln kann er noch kräftig | |
zubeißen. So stark, dass er einen hingehaltenen Finger bis auf den Knochen | |
durchs Fleisch kneifen würde. Fritzsche führt es mit einem Holzstück vor, | |
das danach beeindruckende Einkerbungen aufweist. | |
Erschöpft, aber glücklich fahren wir zurück. | |
6 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Falko Hennig | |
## TAGS | |
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