# taz.de -- Social-Media-Forscherin über Netzkatzen: „Ich spreche Lolspeak“ | |
> Kate Miltner schrieb ihre Masterarbeit über Katzenfotos mit albernen | |
> Texten. Ein Gespräch zum Weltkatzentag über Allergie, Dummheit und | |
> Cheeseburger. | |
Bild: Die Katze des Interviewers zeigt Würde, wo andere Lolcats sehen wollen. | |
taz: Frau Miltner, Sie haben Ihre Masterarbeit über Katzenfotos | |
geschrieben, die mit albernen Texten in absichtlich falschem Englisch im | |
Internet verbreitet werden – allgemein als Lolcats bekannt. Sind Sie ein | |
Nerd, eine Katzenverrückte oder beides zusammen? | |
Kate Miltner: Also, meine erste Internetseite habe ich 1997 online | |
gestellt, als Teenagerin, das war eine Fanpage zur Fernsehserie „Akte X“. | |
Gegen Katzenhaare hingegen bin ich allergisch. Die Lolcats habe ich wegen | |
ihrer kulturellen Bedeutung als Thema gewählt– und nicht, weil ich so gerne | |
Katzen mag. | |
Und an welcher Uni kann man bitte zu Lolcats eine Abschlussarbeit | |
schreiben? | |
An der London School of Economics, im Fach „Media and Communications“. | |
Wie sind Sie auf Ihr Thema gekommen? | |
Der Ursprung war ein Seminar meiner Professorin Sonia Livingstone. Dort | |
habe ich gelernt, dass man bei der Untersuchung von Kulturerzeugnissen nie | |
auf den Inhalt – den „Text“ – schauen sollte, sondern immer nur auf die | |
Reaktion des Publikums, selbst wenn es sich um die dümmsten TV-Sendungen | |
handelt. Wenn etwas wirklich beliebt ist, erfüllt es für die Menschen | |
offensichtlich irgendeine Funktion, es befriedigt ein Bedürfnis. Der | |
Gedanke hat mich ziemlich gepackt, dieses Phänomen wollte ich untersuchen. | |
Und warum genau an Lolcats? | |
Ich wollte über etwas forschen, worüber noch nie jemand zuvor geforscht | |
hatte, zur Literatur etwas komplett Neues beisteuern. Außerdem | |
interessieren mich Internetmeme, und ich will verstehen, was dafür sorgt, | |
dass einzelne Meme durch die Decke gehen. Das wäre nun aber ein zu großes | |
Thema für eine Masterarbeit, also habe ich schließlich die Lolcats als | |
Fallstudie gewählt – wegen ihrer breiten und lang anhaltenden | |
Anziehungskraft. | |
Wie lange gibt es die Lolcats denn schon? | |
Zum ersten Mal sind sie im Internet 2005 aufgetaucht. Im August 2007 gab es | |
den ersten Zeitungstext über Lolcats, im Wall Street Journal, dadurch haben | |
sie noch mehr Fahrt aufgenommen und sind dann langsam in den Mainstream | |
übergegangen. | |
2005, das sind acht Internetjahre, also quasi achthundert Menschenjahre. | |
Wie konnten Lolcats so ungewöhnlich lange überleben? | |
Vor allem weil sie zwischendurch von einer Community zu einer anderen | |
gewechselt sind – was eigentlich nicht vorgesehen war. Ich habe bei meiner | |
Forschung drei verschiedene Lolcat-Nutzergruppen identifiziert. | |
Welche sind das? | |
Da sind einmal die „Casual User“, die Lolcats bloß nebenbei konsumieren, | |
meistens bei der Arbeit, wenn sie Fotos via Mail oder Facebook geschickt | |
bekommen. Sie haben sonst aber keine tiefere Bindung an Lolcats und | |
erzeugen auch keine eigenen Bilder. Die „Meme Geeks“ hingegen sind aktive | |
Nutzer, sie haben Lolcats in den Anfangsjahren groß gemacht, erst auf | |
Seiten wie [1][Something Awful] und dann vor allem bei [2][4chan]. | |
Normalerweise wäre das Mem irgendwann verbraucht gewesen, aber dann wurde | |
[3][icanhas.cheezburger.com] groß. | |
Was ist das für eine Seite und welche Rolle spielt sie? | |
Sie tauchte um den Jahreswechsel 2006/2007 auf und bestand zunächst nur aus | |
einem einzigen Foto. Es zeigte Happycat, eine graue Kurzhaarkatze aus | |
Russland, versehen mit dem Text „I can has cheezburger?“. Daraus hat sich | |
mit dem Cheezburger Network ein kleines Imperium gebildet, zu dem | |
zahlreiche Seiten gehören, außerdem ein Forum und ein Programm, mit dem man | |
auch ohne Fotobearbeitungskenntnisse sehr schnell eigene Lolcat-Bilder | |
bauen kann. So kamen die „Cheezfrenz“ als Fangruppe hinzu, die bis heute | |
aktiv sind. | |
Okay, die Casual User sind halbwegs klar. Aber Meme Geeks? Cheezfrenz? Was | |
soll das sein? Wie unterscheiden sich die Gruppen? | |
Die Meme Geeks sind eher männlich und zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie | |
sind sehr internetaffin und beschäftigen sich auch mit anderen Memen. Unter | |
den Cheezfrenz befinden sich hingegen überdurchschnittlich viele Frauen, | |
sie sind außerdem älter und eher durch ihre Liebe zu Katzen zu den Lolcats | |
gekommen. Früher war Lolcat-Humor auch bösartiger und aggressiver, das hat | |
sich durch die Cheezfrenz geändert. | |
Was macht den Lolcat-Humor denn überhaupt aus? | |
Im Wesentlichen zwei Aspekte. Zum Einen gibt es die anthropomorphe Distanz: | |
Wir lachen eigentlich über uns selbst, aber projizieren das auf Katzen, | |
weil uns das leichterfällt. So kann man Lolcats auch nutzen, um Gefühle | |
auszudrücken. | |
Wie das? | |
Ich habe von einer Frau gehört, deren Freund mit ihr Schluss gemacht hat. | |
Ihre Freundin schickte ihr eine Lolcat mit der Aussage: „Er ist ein | |
Trottel, es tut mir leid“, um sie aufzumuntern. Oder anstatt zu schreiben: | |
„Ich hatte einen schlechten Tag“, kann man eben auch eine Lolcat online | |
stellen. Mitunter verstehen dann nur gute Freunde die wirkliche Botschaft | |
und erkundigen sich nach dem Wohlbefinden, während Unbeteiligte denken, das | |
ist nur wieder so ein Katzenfoto – ein Phänomen, das Danah Boyd als | |
„soziale Steganographie“ bezeichnet hat. | |
Und was ist der andere Aspekt? | |
Insiderwitze. Sie sind ein wesentlicher Teil des Lolcat-Phänomens. Man | |
bringt kulturelle Referenzen an oder schafft sich eigene, die nur wenige | |
Menschen verstehen, und fühlt sich so als Teil eines exklusiven Clubs. | |
Hierbei ist auch Lolspeak wichtig, also das absichtlich falsche Englisch, | |
das die Katzen sprechen – es braucht einige Zeit, um alle Lolspeak-Regeln | |
zu meistern, was dabei hilft, die Grenze zwischen den Insidern und den | |
Leuten draußen zu definieren. Lolspeak benutzen die Cheezfrenz auch, um | |
untereinander zu kommunizieren, etwa auf ihrem Blog [4][“Cheeztown Cryer“], | |
wo sie sich mitunter auch über ernste Themen wie schwere Krankheiten oder | |
den Tod ihrer Tiere in Lolspeak austauschen. | |
Wie lange haben Sie gebraucht, um Lolspeak zu lernen? | |
Das weiß ich nicht mehr genau. Und ich spreche auch kein flüssiges | |
Lolspeak. Aber ich kann Mails verfassen, und sie werden akzeptiert. | |
Machen einem Lolcats überhaupt noch Spaß, wenn man sich so intensiv mit | |
ihnen beschäftigt? | |
Ich konnte mit Leuten stundenlang über Lolcats reden, manche brachten ihre | |
Katzen mit zum Videochat – ich hatte noch nie so viel Spaß bei der Arbeit | |
und mag Katzen jetzt sogar noch mehr! | |
Was können wir durch Lolcats lernen? | |
Sie helfen uns, zu verstehen, dass die Dinge, die wir online so machen, | |
vielleicht albern wirken, aber dennoch wichtige Funktionen erfüllen: mit | |
anderen Menschen in Kontakt treten, Gefühle ausdrücken, an kulturellem | |
Austausch teilhaben, Gemeinschaften bilden. Das alles geht mit jeder Art | |
von Inhalten, auch mit Katzenfotos. | |
Machen Sie denn auch selbst Lolcat-Bilder? | |
Ja. Bei meinem letzten Job haben wir ständig Lolcats im Büro ausgetauscht, | |
ich habe schon ganze Unterhaltungen nur durch den Einsatz von Lolcats | |
geführt. Das habe ich aber schon vor der Masterarbeit gemacht, 2008 war ich | |
sogar als Lolcat verkleidet bei Halloween. | |
Ach was. Als welche? | |
Als HappyCat. Mein damaliger Freund war ein Cheeseburger. | |
8 Aug 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.somethingawful.com/ | |
[2] http://www.4chan.org/ | |
[3] http://icanhas.cheezburger.com/ | |
[4] http://cheeztowncryer.wordpress.com/ | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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