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# taz.de -- Alte Katzen zum Weltkatzentag: Max, 19 Jahre, leicht dement
> Wenn greise Katzen und Kater raus sind aus dem lustigen
> YouTube-Clip-Alter und noch dazu dement, ist das nicht immer komisch.
Bild: Haustiere werden immer älter. Und bekommen mehr Alterskrankheiten. Genau…
Berlin taz | Es kommt direkt aus dem Bauch: Wiauurouhh-aah!! Wiauurouhhhaa!
Selbstvergessen, Oooommm pur sozusagen. Minutenlang. Ein sattes Röhren, das
am Ende oft in haltloses Geschrei kippt. Ziege? Pfau? Baby? Nein! „Was Sie
da hören, ist meine Katze.“ Fast jedes meiner Telefoninterviews startet mit
diesem Hinweis. Und immer öfter höre ich dann: „Oh ja, kenne ich. Wir haben
auch so eine.“ Max und seine greisen Mitkatzen und Mitkater sind raus aus
dem lustigen YouTube-Clip-Alter, sie sind dement, und das ist nicht immer
komisch.
Bis vor fünf Jahren noch redete niemand von dementen Haustieren. Doch je
besser die medizinische Versorgung, die stressfreie Haltung, das Futter,
desto älter werden Haustiere. Und desto mehr Alterskrankheiten bekommen
sie. Ganz wie der Mensch. Tierärzte beobachten das schon länger, doch die
Tierbesitzer trifft der Elchtest in Sachen Pflege meist unvorbereitet. So
wie uns an Silvester. Unser älterer Kater war schon immer sehr speziell in
Sachen Futter. Kleine Häppchen, am liebsten vom Feinsten, bloß nix
Unbekanntes, aber auch bloß nicht immer dasselbe. Doch nun ging gar nichts
rein. Dafür kotzte er sich die Seele aus dem Leib. Also Tierarzt.
Aufbauspritze. Bluttest. „Kommense morgen wieder, wenn er nicht frisst.“ Am
Neujahrstag? „Ja klar.“
Der Kater fraß nicht, war nur mehr ein Häufchen Elend. Also tatsächlich an
Neujahr wieder zum Arzt. Wieder Spritze. Wieder „Kommense morgen wieder“.
Und dann die Diagnose „Niereninsuffizienz“, verbunden mit dem Kommentar:
„Als Mensch müsste er zur Dialyse. Als Hund wär er schon tot.“
Und als Katze? Kriegt er bis heute Elektrolytlösung unter die Haut
gespritzt, denn diese Flüssigkeit bleibt dem Stoffwechsel erhalten, auch
wenn der Magen sich umstülpt. Dazu Nierentabletten, Diätfutter (dreimal so
teuer wie normal), Verdauungspaste. Nach vier kostenintensiven Tagen kam
mir der Arzt entgegen: Wenn wir das Spritzen selber übernehmen wollen,
würde er mir jetzt zeigen, wie es geht. Was? Mir?
## Katzenpflege
An jenem Tag war ich mit dem Kater allein da. Also bekam ich den
Exklusivworkshop, und seitdem ist Spritzen mein Ding. Anfangs zweimal
täglich vier Ampullen à 20 Milliliter. Ausgerechnet. Ich. Die früher beim
Tierarzt umkippte. Kann kein Blut sehen, da macht mein Blutdruck schlapp.
Tja. Was dann so alles doch geht. Die Arschkarte habe übrigens der, der den
Kater festhalten muss, merkte der Tierarzt an. Und die hat mein Mann. Dem
sollte man jetzt übrigens nicht blöd kommen, gibt ordentlich Muckis, die
Katzenhalterei. Max, dieses alte Knochenhemd, das kaum noch drei Kilo
wiegt, kann noch gut gegenhalten. Alles im Kopf kann eben Willenskraft
werden. Selbst bei Katzens.
Das Aufreibendste aber war, die Balance wiederherzustellen. Da Max immer
knochiger wurde, kriegte er zu fressen, wann und was immer er wollte. Sein
Katerkumpel Robbie dagegen, der immerhin auch schon 12 Jahre bei uns ist,
bekam dann nichts. War ich besorgt oder genervt oder besorgt und genervt,
wurde er schon auch mal weggeschubst. Das Ergebnis war wenig überraschend:
voll neurotisch. Keiner liebt mich, dachte er und leckte so lange an seinem
Bauch, bis der wund war.
Mittlerweile haben wir Routine. Robbie ist rund und gesund, und Max bekommt
Spritzen, sobald wir erfühlen, dass er sie braucht. Als bester Ort dafür
hat sich, entgegen allen Empfehlungen, ein Weidenkorb erwiesen, der auf dem
Boden steht und sein Rückzugsort ist. Wir warten, bis er richtig schläft,
und überraschen ihn dann. Klappt nicht immer, denn Max Holzauge ist
wachsam. Da er taub ist, muss er geradezu riechen, was wir vorhaben.
Manchmal meckert er. Anfangs hab ich das mit „Aua!“ übersetzt, geschwitzt
und gedacht: Der Arme! Aber unser Tierarzt schüttelte nur den Kopf. „Der
kennt Sie und trickst. Es tut nicht weh.“
Manche Verwandte und Freunde denken bei Spritzen nur an Schmerzen und Blut.
Und fragen immer wieder: Wie lange wollt ihr das noch machen? Soll heißen:
Wann lasst ihr ihn endlich einschläfern? Mich nervt diese Frage mehr als
Max. Und die Tierarztcrew betont: „Dürfen wir gar nicht. Seit 2013 gibt es
ein Gesetz, das vorschreibt: Einschläfern nur bei Indikation.“ Immer mehr
Leute aber kämen, weil sie genug hätten von der Arbeit mit dem alten,
kranken Tier. „Wir machen das nicht, aber es gibt genug andere.“
## Pflegekatze
Überraschende Erkenntnis: Tiere machen Arbeit. Vor allem wenn einer wie Max
das Katzenklo nicht findet. Vielleicht auch gar nicht sucht. In einem
Katzenratgeber den Tipp gelesen, alten Katzen einfach mehr Klos
hinzustellen … Öhm. Wir haben zwei, die ständig gesäubert werden. Dazu
bräuchte Max eins vorm Bad, eins vor der Haustür, allein drei im ehemaligen
Kinderzimmer: eins vorm Fernsehsofa, eins in der stillen Ecke und eins vor
der Heizung, dazu schließlich noch je eins vorm Herd und vorm Kühlschrank.
Meist kotzt oder pisst er frühmorgens, was die Sauberkeit unseres Haushalts
enorm erhöht. Luft anhalten, gelbe Gummihandschuhe überstülpen, einatmen,
lila Putzmittel ins Wasser spritzen, ausatmen, nicht aufregen – und alles
wird gut. Domestic Stories. Urlaub gibt’s seit zwei Jahren nicht mehr. Denn
natürlich kann man die beiden so niemandem zumuten.
Dass unser Mäxchen das noch mitmacht, liegt an seiner Zähigkeit, unserem
Arzt und unserer Flexibilität, dessen Anweisungen situationsgerecht
umzusetzen. Daran, dass wir es schaffen, Spritzen zu verabreichen, selbst
bei Streit oder Stress oder gar unter dem Schulterblick von
Schwiegermüttern; sowie an der Fähigkeit, zu arbeiten, auch wenn der
Schreikater an schlechten Tagen jeden kreativen Gedanken niederplärrt.
Bei alten Katzen ist es ähnlich wie bei Menschen: Demente schreien. Hunde
tun das nicht, die stehen eher versonnen vor der Tür und haben vergessen,
warum. Unsere Tierarztassistentin findet deshalb demente Katzen „viel
interessanter“. Stimmt. Ist kaum zu toppen: Vom Röhren übers Maulen zum
Quäken, das ich nun wirklich hasse. Denn es meint mich. Trifft zielsicher
mein Ich-raste-gleich-aus-Zentrum. In Kurzintervallen ausgestoßen, will es
mich aus dem Bett, vom Bildschirm oder Telefon sprengen. Einatmen,
ausatmen, ruhig bleiben. Schließlich ist es die Ansage, die wir schon seit
Jahren kennen: Personaa-al! Essen hin-stel-len! Sofo-ort! Nur penetranter.
Obwohl, wenn ich zurückdenke, als Max noch ein süßes, federleichtes
Katzenbaby war, raste er ratzratz die Wände hoch. Zum Prusten komisch, wenn
man von den Kratzspuren auf der Tapete absah. Als die Wohnung renoviert
war, der Kater älter und schwerer, rupfte er die Tapete dann einfach auf
Tatzenhöhe in Fetzen. Immer genau neben der Tür, die gerade geschlossen
war. „Mensch, ey, raus aus dem Bad!“, hieß das dann oder: „Kommt endlich
nach Hause!“, oder eben: „Raus aus dem Bett! Verdammte Kralle!“
Wie lange noch? So lange, wie er frisst, keine Schmerzen hat, aus vollem
Hals brüllt, sich uns trotz all der blöden Spritzen auf den Schoß schmeißt
und allerliebst schnurrt, sich also offensichtlich wohlfühlt. Wir wetten,
er wird 20. Wahrhorrouruhu!
8 Aug 2015
## AUTOREN
Sylvia Meise
## TAGS
Katzen
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