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# taz.de -- Fußball und Gesellschaft: Schöpfer im Drecksgeschäft
> Der Fußballtrainer wird zur letzten Projektionsfläche. Heynckes,
> Guardiola und Streich sind Vater, Sohn und Heiliger Geist der
> postsäkularen Fußballkirche.
Bild: Überfordert? Muster eines hart arbeitenden, ehrgeizigen, aber dabei sozi…
Die deutsche Gesellschaft, das unterscheidet sie von den dynamischen
Gesellschaften, ist getrieben von dem Wunsch, dass alles bleibe, wie es
ist. Und dem nostalgischen Seufzen, dass etwas doch wieder so werden könne,
wie es mal war. Die SPD. Das Gymnasium. Das Fernsehen. Die Stromerzeugung.
Überall Altbauten, die eingestürzt sind oder grade einstürzen, und
bestenfalls Leute, die darüber streiten, ob man oben noch ein Stockwerk
anbauen sollte oder besser nicht. Es wird schlimm enden, das scheint klar.
Die Gesellschaft gewöhnt sich die Beschäftigung mit der Zukunft ab, weil
sie sie individuell und kollektiv für nicht händelbar hält. Und schafft
deshalb positive Leitbilder und Projektionsflächen ab. Das ist in dieser
Situation kein emanzipativer Fortschritt, sondern nur Ausdruck der
Desillusionierung.
Es ist eine Gesellschaft, die in der Politik keine Figuren mehr sucht, in
die man wünschenswerte Veränderung projizieren könnte. Sondern nur noch
Halt – was der Erfolg Merkels zeigt – und Sündenböcke – was die Treibja…
der letzten Zeit erklärt. Es ist eine Gesellschaft, die Künstler, die sich
engagieren, nicht wertschätzt, sondern als Bedrohung des Status quo
empfindet – so wie den Schauspieler Hannes Jaenicke, der sich gegen den
Klimawandel engagiert und dafür zynisch abgewertet wird.
## Projektion
In dieser Situation wird der Fußballtrainer zur letzten Projektionsfläche.
Zu Beginn der 51. Bundesligasaison an diesem Wochenende sind Josef „Jupp“
Heynckes, Josep „Pep“ Guardiola und Christian Streich Vater, Sohn und
Heiliger Geist einer postsäkularen Fußballkirche, der inzwischen erhebliche
Teile der Gesellschaft angehören.
Wem das zu dick ist: Grundlage der Entwicklung ist das Bedürfnis nach
integren Figuren in einem Fußball, der analog zu Politik und Wirtschaft
auch immer mehr zu einem Drecksgeschäft zu verkommen scheint. Die
Heiligsprechung des abgetretenen Bayern-Trainers Heynckes scheint bereits
prae mortem vollzogen. Die Grundlage dafür war der Erfolg, das Triple aus
deutscher Meisterschaft, DFB-Pokal und Gewinn der Champions League. Aber
das allein hätte nicht gereicht.
Es mussten jene Werte dazukommen, die seit einiger Zeit in ihn projiziert
werden: Integrität, Solidarität, Ehrlichkeit, (Alters-)Weisheit,
Menschlichkeit. Und Demut. Heynckes nahm sein Schicksal (die Beförderung in
den Ruhestand zugunsten eines Jüngeren) demütig an und machte das Beste
draus. Aber dann brauchte es – analog zum christlichen Wunder – immer noch
ein erstaunliches Ereignis, dessen die Augenzeugen (und dank Fernsehkameras
sind das sehr viele) noch in Jahren gedenken werden. Dieses trug sich zu,
als Heynckes im Frühjahr nach einem Spiel in seiner Heimat Mönchengladbach
von Rührung geschüttelt bei einer Pressekonferenz weinen musste. Seither
gilt: Ecce deus.
Sein Nachfolger Pep Guardiola wird seit Jahren in Katalonien und im
Real-Madrid-skeptischen Teil Spaniens als Muster eines hart arbeitenden,
ehrgeizigen, aber dabei sozialen und demütigen Menschen rezipiert, der die
Werte seiner Kirche (bisher Barça) und Region (Katalonien) vorbildlich lebt
und voranbringt. Dass er seinen krebskranken Freund und Kollegen Tito
Vilanova nicht besucht haben soll, ist ein neues Kapitel, das an den
Grundfesten dieser Erzählung zu kratzen versucht.
## Demut
Auch beim Freiburger Trainer Christian Streich geht es in diesem Kontext
nicht darum, wie er „wirklich“ ist, sondern wie er und warum er so gesehen
wird. Auch hier ist die Zuschreibung von Demut und Treue ein zentraler
Aspekt. Streich nimmt die schwierigen Umstände auf Erden und bei seinem SC
Freiburg (wenig Geld, weggekaufte Spieler) demütig an. Auch ihm werden
Bescheidenheit, Integrität, Heimatverwurzelung, Menschlichkeit und eine
bodenständige und daher erträgliche Art von Weisheit zugeschrieben.
Zwar kann er auch schon mal als Feuer über seine Feinde (u. a.
Schiedsrichter) herniederfahren, aber es überwiegt die Vorstellung vom
zielstrebigen, aber gütigen Vater, der jedes Kind für dessen Qualitäten
(und auch Defizite) liebt und damit die Grundlage für eine harmonierende
und funktionierende Familie schafft.
Bei Streich wie auch bei Guardiola vermischen sich diese Sehnsüchte mit dem
Wunsch einer akademischen Kundschaft nach einem intellektuellen
Fußballtrainer, der die Welt zu erklären versteht, wo es Marx, Adorno und
Woody Allen anscheinend nicht mehr vermögen.
Diese Sehnsucht verkennt, dass ein moderner Trainer – analog zu einem
Silicon-Valley-Unternehmer – nur erfolgreich sein kann, wenn er möglichst
wenig schläft und sich in seiner wachen Zeit praktisch ausschließlich mit
der fußballerischen und charakterlichen Entwicklung seines Teams
beschäftigt.
## Dynamik
Wie die Welt, so wird auch der Fußball immer komplizierter, sodass selbst
manche Profis nicht mehr mitkommen. Das Spiel in dieser Lage global zu
revolutionieren (Guardiolas neue Definition von Ballbesitz-Fußball mit
Barça), im Schwarzwald an der Spitze der Innovation zu arbeiten (Streichs
identitärer Freiburger Teamfußball) oder ein etabliertes,
innovationsfeindliches Weltunternehmen sozial- und kulturverträglich zu
modernisieren (Heynckes’ leise Transformation des Bayern-Geschäftsmodells
vom kalten Heldenfußball zum Team mit Spirit), das sind geglückte und
tatsächlich vorbildhafte Modernisierungsprojekte, deren Dynamik allesamt
der Verknüpfung von Innovation und Sozialgedanken entspringen.
Dafür könnten Fußballtrainer gesellschaftliche Leitbilder sein. Aber diese
Neuerfindung des deutschen Fußballs kommt durch genau jene Veränderungen
zustande, die sich Politik oder Gesellschaft eben nicht zumuten möchten
oder können. Konkret: Individualist Robben vom FC Bayern hat (in einem
autoritären System, okay) persönliche Privilegien abgegeben (rumstehen,
wenn der Gegner den Ball hat) und Sozialarbeit übernommen (Laufwege nach
hinten), bevor er wusste, dass es dadurch für alle besser wird, auch für
ihn. Welcher freie Bürger würde das noch riskieren? Deshalb wird der
Trainer nicht für das erfolgreiche Neue bewundert, sondern
sicherheitshalber nur für klassische Werte wie Menschlichkeit und
Integrität.
Auch die Sehnsucht, die der Fußball weckt, ist im Normalfall, also bei
Anhängern der Erfolglosen, rückwärtsgewandt und speist sich aus dem Wunsch
nach der Rückkehr einer goldenen und immer einfacheren Zeit, als die
Schlote noch rauchten und die Spieler von der Schicht auf den
Trainingsplatz kamen. Im seltenen Erfolgsfall – wie nun in München und
Freiburg – geht es um das Verweilen des Augenblicks.
Faktisch aber entwickelt sich der Fußball noch rasanter als die
Digitalisierung – wie man an Barça sieht, das seinen Innovationsvorsprung
längst wieder verloren hat. Guardiolas größte Aufgabe wird es sein, so zu
tun, als verlängere er nur die Gegenwart, während er in Wahrheit das Werk
des Vaters Heynckes’ zügig – und erfolgreich – überarbeiten muss.
## Macht
Es gibt noch eine weitere Dimension der Traineridolisierung: der Trainer
als potenter Schöpfer. In einer Welt, in der Merkel, Kretschmann und selbst
Obama kaum mehr vermögen, als Befindlichkeiten und Interessen von Macht-
und Lobbygruppen zu Kompromissen zu verhandeln, erscheint der Trainer nicht
nur als Monteur oder Moderator, sondern als Autor, der im Kopf, am Computer
und auf dem Trainingsplatz entwickelt, was tatsächlich dann auch so auf den
Rasen kommt.
Zwar arbeitet er inmitten eines Autorenkollektivs von Trainern, Analysten
und Wissenschaftlern, die alle komplexes Spezialwissen einbringen; aber
letztlich ist ein erfolgreiches Fußballteam heute ein Geschöpf, das sein
Dasein in voller Abhängigkeit von seinem Trainer führt.
Aber die Projektion und Identifikation ist immer abhängig vom sportlichen
Erfolg. Jupp Heynckes dürfte durch seinen klugen Abgang für die Ewigkeit
vorgesorgt haben. Bei Abstieg (Streich) oder gar nur einer
Vizemeisterschaft (Guardiola) nützen auch die authentischste Demut und
Hingabe nichts.
10 Aug 2013
## AUTOREN
Peter Unfried
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