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# taz.de -- Anschläge im Irak: Der Spielraum für al-Qaida wächst
> Bei Anschlägen auf Zivilisten sterben im Irak immer mehr Menschen.
> Al-Qaida gewinnt weiter an Boden. Die Regierung trägt eine Mitschuld.
Bild: Nach dem Autobomben-Anschlag in Kerbala
ISTANBUL taz | Es sollten Tage der Freude und der Familienfeste werden –
doch sie endeten in Gewalt und Zerstörung: die Feiern zum Ende des
Fastenmonats Ramadan. Mindestens 16 Autobomben explodierten allein am
Samstag in verschiedenen Teilen des Irak. Am schwersten betroffen war die
Hauptstadt Bagdad.
Die Täter wandten sich aber auch in den Orten Hilla, Kerbala und Naseriya
im – überwiegend von Schiiten bewohnten – Südirak gezielt gegen zivile
Orte: Cafés, Restaurants, Geschäfte, Straßen und Plätze. In nordirakischen
Städten wie Kirkuk, Tuz Khurmatu und Mossul, in denen viele Kurden und
Araber leben, explodierten ebenfalls Bomben. Laut der Webseite „[1][Iraq
Body Count]“ starben bei diesen offenbar aufeinander abgestimmten Angriffen
95 Menschen, die irakischen Behörden zählten mindestens 70 Todesopfer.
Für die Iraker endete der Ramadan damit so grausam, wie er begonnen hatte:
Mindestens 900 Personen sind während des Fastenmonats Opfer der Gewalt im
Irak geworden, so viele wie seit vielen Jahren nicht mehr. Nach Angaben von
Unami, der UNO-Vertretung in Bagdad, war der Juli mit 1.057 Toten der
opferreichste Monat seit mehr als fünf Jahren.
Das amerikanische Außenministerium macht das islamistische Terrornetzwerk
al-Qaida verantwortlich und verurteilte die Anschlagsserie am Samstag
scharf. Die Täter seien „Feinde der Vereinigten Staaten, des Irak und der
internationalen Gemeinschaft“. Gleichzeitig unterstrich das
US-State-Department, dass Washington ein Kopfgeld in Höhe von zehn
Millionen Dollar auf den Chef der irakischen al-Qaida, Abu Bakr
al-Baghdadi, ausgesetzt hat. Dessen wirklicher Name soll Ibrahim Awwad
Ibrahim Ali al-Badri lauten.
## Seit Jahren gesucht
Der nun per Kopfgeld gesuchte Mann steht seit Jahren auf den Terrorlisten
der UNO und der Amerikaner. Auf sein Konto geht der Zusammenschluss der
irakischen al-Qaida mit gewalttätigen Islamisten aus dem Nachbarland
Syrien. Die irakische al-Qaida und Teile der syrischen Nusra-Front treten
seither als „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ auf.
Baghdadi hält sich laut Washington in Syrien versteckt. Dorthin flohen
vermutlich auch zahlreiche ehemalige Häftlinge, die am 21. Juli aus dem
berüchtigten irakischen Gefängnis Abu Ghraib entkommen sind. An jenem Tag
war bei einem gezielten Angriff auf das Gefängnis zwischen 300 und 1.000
Häftlingen die Flucht gelungen. Mindestens 68 Polizisten und Gefangene
kamen bei der Aktion ums Leben.
Kurz darauf drohte Baghdadi mit weiteren Anschlägen. Die irakische
Regierung besteht mehrheitlich aus schiitischen Muslimen. Sie werde einen
„hohen Preis“ für die Unterdrückung der Sunniten zahlen, hieß es in einer
online verbreiteten Erklärung.
Derzeit diktiere die al-Qaida das Kampfgeschehen, schrieb Jessica Lewis vom
Institute for the Study of War, das die Kriege im Irak und Afghanistan
verfolgt, in einem Blog-Eintrag Ende Juli. Was immer die al-Qaida im Irak
oder gemeinsam mit der Nusra-Front in Syrien plane, im Irak seien die
Extremisten erstmals seit 2006 in der Lage, ihre strategischen Ziele zu
erreichen.
Ein Anschlag auf das schiitische Heiligtum in Samarra, nördlich von Bagdad,
hatte damals den Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten ausgelöst, dem
Zehntausende Iraker zum Opfer fielen. Hunderttausende Iraker beider
Konfessionen wurden vertrieben, in vielen der ehemals gemischten Viertel in
Bagdad lebt heute nur noch eine der beiden großen islamischen
Religionsgemeinschaften.
## Rückfall in dunkle Zeiten
Der stellvertretende Leiter der UNO im Irak (Unami) warnte am Sonntag vor
einem Rückfall in die dunkle Vergangenheit. Das Blutbad zeige den
unmenschlichen Charakter der Täter, erklärte Gyorgy Busztin. „Alle
rechtschaffenen Iraker müssen zusammenstehen, um dieser mörderischen Gewalt
ein Ende zu bereiten, die darauf zielt, das Land in einen konfessionellen
Konflikt zu stürzen.“
Den Amerikanern war es damals nur mit einem enormen Kraftakt gelungen, dem
Blutvergießen ein Ende zu bereiten. Die aufgestockten US-Truppen änderten
ihre Taktik und setzten statt auf militärische Unterwerfung auf eine
Mischung aus gezielten Angriffen auf die Extremisten auf beiden Seiten und
lokale Vereinbarungen mit Stammesscheichs.
Damit stärkten sie besonders in den damaligen Hochburgen der al-Qaida im
westirakischen Anbar, im nordirakischen Mossul und in Diyala sowie Tikrit
die sunnitischen Gegner der Extremisten. Dies gab Nuri al-Maliki, der schon
damals Ministerpräsident war, den Spielraum, gegen die schiitischen Milizen
vorzugehen.
Der große Nachbar Iran machte seinen Einfluss geltend, um die radikalen
Schiiten zur Niederlegung ihrer Waffen zu bewegen. Seit dem Abzug der
Amerikaner im Dezember 2011 hat sich das Blatt jedoch gewendet. Durch den
Krieg in Syrien haben sich die konfessionellen Gräben im Irak erneut
vertieft – irakische Sunniten kämpfen aufseiten der Aufständischen,
Schiiten aufseiten des Regimes.
## Folge der Sunniten-Politik
Maliki, ein Schiit, hat immer wieder den Krieg im Nachbarland für die
Zunahme der Gewalt im eigenen Land verantwortlich gemacht. Damit lenkt er
freilich davon ab, dass es in erster Linie seine Politik gegenüber den
Sunniten ist, die der al-Qaida zu neuem Spielraum verholfen hat. Das State
Department stellte Bagdad weiter Unterstützung im Kampf gegen die al-Qaida
in Aussicht. Den irakischen Sicherheitskräften fehlt es seit dem US-Abzug
an den technischen Aufklärungsmitteln, die logistischen Probleme sind
teilweise verheerend.
Seit dem US-Abzug hat Maliki zudem mehrere führende sunnitische Politiker
mit fragwürdigen Haftbefehlen aus der Regierung gedrängt. Gleichzeitig
tragen die schiitisch dominierten Sicherheitskräfte dazu bei, dass der
Unmut unter den Sunniten ständig gewachsen ist.
Ende April stürmten sie in Hawjia bei Kirkuk ein Protestcamp und erschossen
mehr als 50 Zivilisten. Seit den Überfällen auf Abu Ghraib und ein weiteres
Gefängnis in Tajji kam es zu zahlreichen Razzien, bei denen hunderte
Sunniten verhaftet wurden, gleichzeitig werden sunnitische Gebiete
abgeriegelt. Folter und Misshandlungen sind in Iraks Gefängnissen an der
Tagesordnung. Die Regierung müsse die drakonischen Maßnahmen beenden und
die Sicherheitskräfte zur Verantwortung ziehen, forderte HRW am Sonntag.
Die Rechtlosigkeit schürt unter der sunnitischen Minderheit das ohnehin
verbreitete Gefühl, im Irak Bürger zweiter Klasse zu sein. Darauf setzt die
al-Qaida. In einigen Gebieten an der syrischen Grenze haben Stammesscheichs
in ihrer Not wie früher Stillhalteabkommen mit den Extremisten geschlossen.
Gleichzeitig bedrohen schiitische Milizen, mit denen Maliki einen Pakt
geschlossen hat, die Sunniten in der Region. Mehrere hundert Familien
wurden bereits vertrieben.
11 Aug 2013
## LINKS
[1] http://www.iraqbodycount.org/
## AUTOREN
Inga Rogg
## TAGS
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