| # taz.de -- Die Wahrheit: Christlicher Kamillenmetal | |
| > Der Blick auf die Bühne zeigt nur eines – gemächlich Kabel abrollende | |
| > Tontechniker. Eine Stunde später steht die jungfräuliche Schießbude. | |
| Bild: Schleswig-Holstein-Spiele in Flensburg. Hier die Disziplin Bierathlon. | |
| Wie in Trance laufe ich auf die Umrisse einer grauen Metalltür zu. Meine | |
| Augenlider hängen immer noch auf halb acht, obwohl es mittlerweile kurz vor | |
| neun ist. Warum in aller Welt, müssen wir für ein Abendkonzert schon | |
| vormittags um elf zum Soundcheck anrücken!?! | |
| Ich habe kaum geschlafen, weil mich ein festsitzender Husten zwang, das | |
| ARD-Nachtprogramm anzusehen. Es lief der verflucht unchristliche Film | |
| „Embryo des Bösen“ von 1973 – ein Klassiker des Geisterbefruchtungsgenre… | |
| Der Film war mindestens so unchristlich wie diese Uhrzeit, denke ich, vor | |
| allem für einen Metal-Drummer. Oder ist dies eine christliche Uhrzeit? Weil | |
| im Metal ist ja der Teufel der Coole und Gott der Langweiler. Apropos: | |
| Wieso zum Teufel fange ich mir jedes Mal rechtzeitig zum Konzert eine üble | |
| Seuche ein? Ist es ein Fluch? | |
| So philosophiere ich vor mich hin, während ich schlecht gelaunt Becken, | |
| Sticks und Schlagzeug-Verschleißteile einpacke und zum Auto schleppe. Dabei | |
| gehen mir die Argumente des Veranstalters im Kopf herum: Schuld seien | |
| organisatorische Gründe, behauptete er und murmelte dann noch was von | |
| Mittagsruhe, Argentinier und Bratwurst. Meinetwegen, dafür sollte ja | |
| immerhin ein Schlagzeug gestellt werden. | |
| Zwei Stunden später ist klar: Gestellt wird hier gar nichts. Der Blick auf | |
| die Bühne zeigt nur eines – gemächlich Kabel abrollende Tontechniker. Wo | |
| das Schlagzeug denn sei, will ich wissen. „Was für ein Schlagzeug?“, fragt | |
| einer der Roadies. Das geht ja gut los. Der Chef, der uns zur Morgenandacht | |
| bestellt hatte, ist im Übrigen auch nicht da – und mit ihm der Schlüssel | |
| für den Raum, in dem die Mikrofone und die Verstärker sein sollen. | |
| Eine Stunde später hat einer der Tonmenschen sein privates Drumset aus dem | |
| Keller geholt, wo es seit ein paar Monaten verstaubte – ungestimmt und noch | |
| mit Preisschildern dran. Ich bekommen einen Hustenanfall. Eine Stunde | |
| später steht die jungfräuliche Schießbude, und man hat auch die Mikrofone | |
| gefunden. Leider herrscht jetzt Mittagsruhe und Soundcheck ist nicht. Es | |
| liegt wirklich ein Fluch auf mir, der mich für das Anbeten des Metal-Gottes | |
| strafen soll. Statt Soundcheck schwitze ich in der glühenden Höllensonne | |
| den Erkältungsbalsam aus. | |
| Als ich Stunden später wieder aufwache, habe ich kurz das Gefühl, nicht in | |
| meinem eigenen Körper zu stecken. Die anderen Bands sind aufgetaucht – und | |
| sogar der Veranstalter ist da! Er entschuldigt sich bei mir und meint, dass | |
| wegen der Verzögerungen leider keine Zeit für einen Soundcheck bleibt. Dann | |
| fragt er, ob er mir einen Schnaps ausgeben kann. Ich bestelle | |
| Pfefferminztee, weil ich fürchte, dass sich Whiskey nicht mit meinen Pillen | |
| verträgt. Dann brüllt man mich von hinten an: „Dein Auto steht in der | |
| Feuerwehreinfahrt!“ Ich muss es wegfahren, fünf Minuten vor dem Auftritt. | |
| Als ich zurückkomme, steht eine Tasse Kamillentee am Bühnenrand. | |
| Kamillentee ist nicht Metal! Egal, ich nehme es als Wink des Schicksals. Ab | |
| sofort spiele ich nur noch christlichen Kamillenmetal, das wird den Fluch | |
| sicher brechen. | |
| 12 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Gückel | |
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