Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Außenpolitik der EU: Nur eine Schönwetterorganisation
> Der EU-Kommission fällt zu den Krisen im Nahen Osten so gut wie nichts
> ein. Ihre Förderkriterien helfen vor allem dem Establishment.
Bild: Die EU ist uneinig im Auftreten nach außen
Seit Anfang der 1990er versucht die EU mehr System in ihre Außenpolitik zu
bringen, Stichwort Barcelona-Prozess oder Europäische
Nachbarschaftspolitik. Spätestens seit 2004 finden sich in sämtlichen
Abkommen mit Ländern des Mittleren und Nahen Ostens Klauseln zu
Menschenrechten und Demokratisierung. Der Haken: Die EU drang nie auf ihre
Umsetzung.
Man arrangierte sich mit der politischen Friedhofsruhe, die die Autokraten
in ihren Ländern geschaffen hatten, und die wirtschaftlichen Beziehungen
verbesserten sich ein wenig.
Nur vage war das Bewusstsein vorhanden, dass auf lange Sicht allein
demokratische Reformen die auch im Interesse der EU liegende Stabilität in
der Region sichern könnten. An dieser ist der EU gelegen, denn sie braucht
die Energiesicherheit und will möglichst nicht mit größeren
Flüchtlingsströmen konfrontiert werden und mit Terroranschlägen natürlich
auch nicht.
Doch da die EU-Granden die kulturellen Veränderungen an der Basis der
Länder nicht bemerkten, vertagte man das Problem. Das Ausmaß dieser
Fehleinschätzung wurde mit der Arabellion schlagartig offensichtlich.
## Für NGOs nicht zu machen
Innerhalb weniger Monate erzwangen die Bevölkerungen von Tunesien, Ägypten,
Libyen und Jemen den Sturz der jeweiligen Regime – und in keinem der von
Aufständen erfassten Länder waren die wenigen von der EU unterstützten
zivilgesellschaftlichen Partner die treibende Kraft. Das lag nicht zuletzt
am Zuschnitt der Förderprogramme: Der in den Ausschreibungen verlangte
finanzielle und administrative Aufwand war für viele der NGOs nicht zu
stemmen. So profitierten von ihnen vor allem die staatstragenden
First-Lady-Organisationen.
Angesichts der Revolutionen unterzog die EU die Nachbarschaftspolitik einer
„grundlegenden Revision“, deren Ergebnisse im Mai 2011 vorgestellt wurden.
Außer der Begriffskreation „vertiefte Demokratie“ bot das Programm wenig
Neues. Bei allen Staaten der Arabellion tat und tut sich die EU schwer,
eine einheitliche Politik zu finden. Bislang am deutlichsten wurde dies im
Falle Libyens. Einige südeuropäische Staaten standen aufgrund der zu
erwartenden Flüchtlingswelle einem Regimewechsel grundsätzlich kritisch
gegenüber.
Frankreich und Großbritannien unterstützten die Revolution, stritten sich
aber insbesondere mit Deutschland darüber, ob man militärisch eingreifen
sollte. Das Unwohlsein mit der Intervention führte dazu, dass man bei
Syrien keinen Zweifel daran ließ, dass man nicht militärisch eingreifen
werde – was Damaskus als Freibrief für jedwede Art der Gewalt gegen die
syrische Bevölkerung verstand.
Dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi hatte die EU Monate nach seiner
Wahl massive Transformationshilfe zugesagt. Als dann seine
antidemokratische Regierungsweise deutlich wurde, verurteilte die EU diese,
zog aber keine Konsequenzen daraus. Denn die menschenrechtlichen Auflagen
sollten erst 2014 angewandt werden, mithin nachdem die neue Verfassung in
Kraft wäre. Unlängst versuchte Catherine Asthon im Konflikt zwischen Mursi
und der Opposition zu verhandeln – ein positiver Ansatz, doch wie immer
fehlte eine weitergehende Vision. Der Vorstoß hat zu keinem sichtbaren
Ergebnis geführt.
## Das Chaos der Diktaturen
Mit dieser Haltung sind die Europäer nicht allein: So pries
US-Vizepräsident John Kerry den Militärputsch gegen Mursi als ein
„Wiederherstellen der Demokratie“. Dabei gibt sich die Übergangsregierung
noch nicht einmal den Anschein, Menschenrechte zu respektieren. Wie in
diesen Tagen die extrem brutale Räumung der Camps der Mursi-Anhänger mit
hunderten Toten grausam vor Augen führt. Statt sich mit den demokratisch
Gewählten über ihre Menschenrechtsverletzungen auseinanderzusetzen,
arrangieren sich die USA erneut mit den Despoten.
Dabei zeigt Ägypten genauso wie Syrien, dass Diktaturen als
Stabilitätsgaranten reine Fiktion sind. Baschar al-Assad etwa ist nicht nur
gewillt, das eigene Land in den Abgrund zu reißen, sondern er nimmt auch
einen regionalen Flächenbrand in Kauf. Obschon der Konflikt und seine
bereits spürbaren regionalen Auswirkungen eine der größten
Herausforderungen internationaler Politik darstellen, fasst die EU ihn nur
mit spitzen Fingern an.
Gefragt wenige Tage nach Beginn der syrischen Revolution im März 2011, wann
sie nach Syrien reisen werde, um das Gespräch mit Assad zu suchen und eine
ähnliche Eskalation wie in Libyen zu verhindern, erwiderte die Beauftragte
für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, indigniert: „Warum
ich? Die EU hat 27 Außenminister.“ Es dauerte zwei Jahre, bis die EU im
Juni 2013 endlich ein Dokument zu ihrer Syrien-Politik vorlegte. Darin wird
ausführlich dargestellt, wie Brüssel die humanitären Folgen des Konfliktes
auffängt; hinsichtlich politischer Maßnahmen zur seiner Beendigung fällt
der Kommission allerdings kaum etwas ein. Erst Anfang des Monats hat Assad
erneut verkündet, die Revolution mit „eiserner Hand“ niederschlagen zu
wollen. Trotzdem setzt die EU auf eine in immer weitere Ferne rückende
Konferenz „Genf II“.
## Kein Blick für die konkrete Lage
Im gleichen Papier heißt es, dass der Konflikt die Region und insbesondere
die Stabilität des Libanon gefährde und dass die EU alles tun werde, dem
entgegenzuwirken. Kaum einen Monat später, im Juli 2013, konterkarierte sie
dies, in dem sie den – so nicht existierenden – militärischen Arm der
Hisbollah auf die Terrorliste setzte. Die Folgen dieses Schrittes sind
schwer abzuschätzen, aber er hat das Potenzial, das ohnehin prekäre
Kräfteverhältnis im Libanon empfindlich zu stören.
Die Hisbollah ist hier der mächtigste politische Akteur und auch an der
Regierung beteiligt. Jede Veränderung bezüglich der Hisbollah verschiebt
das Koordinatensystem, in dem sich alle politischen Parteien bewegen. Hinzu
kommt die Angst aller konfessionellen Gruppen, dass sich durch die vielen
syrischen Flüchtlinge der schwelende Konflikt zwischen Sunniten und
Schiiten ausweitet. Bis Jahresende dürften es über eine Million sein, und
die meisten von ihnen sind sunnitisch (im Gegensatz zur schiitischen
Hisbollah). Das ist eine explosive Mischung.
Immer wieder zeigt sich: Bei den Entscheidungen der EU geht es weder um den
Nahen Osten als Region noch um die betreffenden Länder. Sondern um eine
komplexe Mischung innen- und außenpolitischer Interessen der EU, die
außenpolitischen Strategien und deren Umsetzung im Wege stehen. Während es
im Interesse der Mitgliedstaaten wäre, Krisen bereits im Entstehen
abzufedern, hinken sie den Ereignissen hinterher. Statt, wie im Falle der
Osterweiterung der EU, die Unterstützung an klare und erfüllbare Kriterien
zu knüpfen, bleibt die Kommission so zögerlich wie einzelfallbezogen.
Damit wird sie im Vergleich zu den USA oder Russland ein außenpolitisches
Leichtgewicht bleiben. Für die Demokraten im Nahen Osten ist das keine gute
Nachricht.
16 Aug 2013
## AUTOREN
Bente Scheller
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
John Kerry
Libanon
EU Außenpolitik
Catherine Ashton
Mohammed Mursi
Ägypten
Ägypten
Schwerpunkt Syrien
Aleppo
Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gewalt in Ägypten: Im Gotteshaus verbarrikadiert
Nach den Protesten vom Freitag weigern sich Hunderte von Islamisten Kairos
Al-Fateh-Moschee zu verlassen. Ägypten soll vorerst keine deutschen
Rüstungsgüter mehr erhalten.
Politologin über Lage in Ägypten: „Kriege fallen nicht vom Himmel“
Das Militär lasse die Ägypter bewusst aufeinander losgehen, sagt die
Politikwissenschaftlerin Cilja Harders. Alle Seiten handelten
verantwortungslos.
Experte über die Eskalation in Ägypten: „Opfer wirken mobilisierend“
Nach den jüngsten Gewaltakten werden Mursi-Anhänger erst recht Widerstand
leisten, sagt der Ägypten-Experte Stephan Roll.
Kommentar Anschläge in Nahost: Die fernen Opfer
Wenn heute im Irak oder auch in Syrien jeden Tag Dutzende von Opfern zu
beklagen sind, scheint das kaum noch jemanden zu rühren.
Bürgerkrieg in Syrien: Rebellen attackieren Assads Konvoi
Syrische Rebellen haben in Damaskus den Konvoi von Präsident Baschar
al-Assad angegriffen. Assad blieb bei der Attacke angeblich unverletzt.
Bürgerkrieg in Syrien: Syrische Luftwaffen im Libanon
Der Bürgerkrieg im Reich von Baschar al-Assad schwappt immer wieder auf den
benachbarten Libanon über. Die Bundesregierung stockt ihre Hilfe für
Flüchtlinge auf.
Libanesische Hisbollah auf EU-Terrorliste: Viel Symbolpolitik, wenig Konsequenz
Die Erklärung der EU war dürftig. Wie sie den militärischen Arm der
libanesischen Hisbollah sanktionieren will, bleibt deshalb ein Rätsel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.