| # taz.de -- Die Wahrheit: Besuch aus Zukunft und Vergangenheit | |
| > Der doppelte Raimund im Café Gum zwingt zu logischen Schlussfolgerungen | |
| > und noch logischeren Handlungen. Dürfen wir diesen Espresso trinken? | |
| Bild: Nicht jeder kann mit Bohrmaschinen. | |
| Ich staunte nicht schlecht, als Raimund ins Café Gum hereinkam, denn | |
| erstens stand er im selben Moment schon neben mir an der Theke, und | |
| zweitens war der eintretende Raimund locker zwanzig Jahre älter als der, | |
| der neben mir stand, weshalb es nur eine logische Schlussfolgerung gab: | |
| Dass nämlich der eintretende Raimund ein Zukunftsraimund war, der sich per | |
| Zeitmaschine in unsere Gegenwart hatte zurückschießen lassen, um zu | |
| verhindern, dass der Gegenwartsraimund und ich sogleich einen Espresso zu | |
| uns nehmen würden, weil eben dieser scheinbar unschuldige Espresso zwanzig | |
| Jahre später die Apokalypse der Zukunftswelt zur Folge hätte - oder so … | |
| Tatsächlich aber gab es noch eine zweite logische Schlussfolgerung. | |
| "Vater!", sagte der Gegenwartsraimund. "Sohn!", sagte der Zukunftsraimund, | |
| und damit war klar, dass die beiden nicht zwei verschiedenen Abschnitten | |
| der Geschichte entstammten, sondern in einer ordinären | |
| Erzeuger-Sprössling-Beziehung zueinander standen. | |
| "Was machst du hier?", stammelte Raimund. "Pause", sagte sein Vater. "Pause | |
| …", wiederholte Raimund tonlos: "Und was ist das da?" Er wies hinaus. "Mein | |
| Fahrrad." Das Rad war schwer mit Taschen bepackt. "Das heißt, du machst | |
| eine Tour?" - "Jawohl: Ich fahre einmal um die Welt." - "Du … - was?! | |
| Vater, du bist zweiundsiebzig!" - "Ich weiß, wie alt ich bin." - "Und was | |
| meint Mutter dazu?" - "Keine Ahnung." - "Du hast es ihr nicht gesagt?" Der | |
| alte Mann sah Raimund an. "Deine Mutter ist vor sechs Wochen mit Döring, | |
| dem Drecksack, durchgebrannt. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört." | |
| Raimund wankte. Sie hatten wohl länger nicht mehr miteinander gesprochen, | |
| und ich überlegte, wie lange es her war, dass ich zu Hause angerufen hatte. | |
| "Gut!", sagte Raimunds Vater: "Ich will dich nicht aufhalten, du musst | |
| sicher noch zu einer Konferenz oder so." - "Konferenz?" Ich blickte Raimund | |
| fragend an. "Ja … - klar", sagte er, "eine Besprechung in Zürich, es stehen | |
| Millionen auf dem Spiel! Mein Flieger geht in einer Stunde, ich muss gleich | |
| los." - "Also", sagte sein Vater, "weshalb ich hier bin: Kannst du mir Geld | |
| borgen? Tausend wären gut. Bei deinen Bezügen sollte das doch ein Klacks | |
| sein." - "Logo …", murmelte Raimund. Er blickte erst mich an, dann Petris, | |
| den Gum-Wirt, und Petris, durch seine Stammkunden längst zu Reichtum | |
| gekommen, tauchte kurz hinter die Theke, um mit einem Bündel Scheine in der | |
| Hand wieder hochzukommen. "Danke!", sagte Raimunds Vater, nachdem sein Sohn | |
| das Bündel an ihn weitergereicht hatte, und während er zu seinem Fahrrad | |
| zurückkehrte, sagte ich zu Raimund: "Ist es wohl möglich, dass dein Vater | |
| nicht so ganz weiß, was aus dir geworden ist? Beziehungsweise nicht | |
| geworden ist?" - "Ja, so könnte man es sagen", nickte Raimund, und dann | |
| tippte Petris, unser griechischer Freund, ihn an und sagte: "So, mein | |
| Lieber, und nun zu den Bedingungen des Kredits, die selbstverständlich | |
| nicht unberücksichtigt lassen können, wie eure unerweichliche Merkel mit | |
| meinen armen Landsleuten umgesprungen ist." | |
| 19 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Joachim Schulz | |
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