| # taz.de -- Die Wahrheit: Auf der Suche nach Dingsbums | |
| > Jeder wusste, dass Raimund noch immer daran glaubte, eines Tages für den | |
| > Film entdeckt zu werden und eine grandiose Schauspielerkarriere zu | |
| > starten. | |
| „Mann, Raimund“, sagte ich: „Du weißt nicht, wie er aussieht, du weißt | |
| nicht, wie er heißt – wie sollen wir ihn finden?!“ „Phh!“, machte Raim… | |
| „So einen Giganten erkennt man doch! Man hätte schließlich auch Truffaut | |
| erkannt, wenn man neben ihm an der Ampel gestanden hätte. Oder Hitchcock, | |
| diesen Charakterkopf!“ – „Quatsch!“, sagte ich: „Auch Hitchcock hätt… | |
| nur erkannt, wenn man vorher mal ein Foto seines Charakterkopfs gesehen | |
| hätte. Ansonsten hätte man ihn bestenfalls für ein Double von Winston | |
| Churchill gehalten.“ | |
| Jeder wusste, dass Raimund noch immer daran glaubte, eines Tages für den | |
| Film entdeckt zu werden und eine grandiose Schauspielerkarriere zu machen. | |
| Jetzt, da er gehört hatte, dass ein berühmter Regisseur in der Stadt sei, | |
| hielt er den Moment für gekommen. „Und wie“, fragte ich, „willst du ihn … | |
| dich aufmerksam machen? Ich glaube ja, dass du als Klaus Kinski mit | |
| Stan-Laurel-Einschlag eine gute Figur machen würdest. Vielleicht solltest | |
| du auf die Schnelle eine Slapstick-Version einer Fitzcarraldo-Szene | |
| einstudieren.“ Raimund schüttelte den Kopf. „Du wirst sehen, es reicht | |
| völlig aus, wenn ich mich ganz natürlich verhalte. Denn ich“, er machte | |
| eine Kunstpause, „besitze eben dieses gewisse ’Je-ne-sais-quoi‘.“ | |
| Wir erreichten den Goetheplatz. Raimund blieb stehen und zeigte auf einen | |
| dunkelhaarigen Herrn, der an einem der Tische vor der Bäckerei Brüser saß | |
| und tatsächlich aussah wie François Truffaut. „Aber Truffaut ist seit 30 | |
| Jahren tot!“ – „Klar“, erwiderte Raimund: „Trotzdem – das da ist me… | |
| Mann!“ – „Aber nicht jeder, der Truffaut ähnlich sieht, muss deshalb …… | |
| „Pst!“, machte Raimund, zog mich zu einem anderen von Brüsers Tischen und | |
| bestellte Kaffee. | |
| „Und nun?“, flüsterte ich: „Willst du nicht vielleicht doch ein bisschen | |
| kinskihaft herumhampeln?“ – „Pst!“, machte er wieder. „Pardon“, sag… | |
| plötzlich ein kleiner Herr, der unbemerkt von hinten an uns herangetreten | |
| war und eine nicht angezündete Zigarette in den Fingern hielt: „Hätten Sie | |
| wohl Feuer für mich?“ – „Nein, äh … wir rauchen nicht mehr.“ – �… | |
| schade! Warum nicht?“ – „Weil, na ja, weil’s schädlich ist.“ – „… | |
| Schädlich? Aber nicht doch! Es schadet überhaupt nicht, im Gegenteil, es …�… | |
| – „Hören Sie“, unterbrach ihn Raimund unwirsch, „wir sind beschäftigt… | |
| Dann wies er auf Rudi, den Blödmann, der gerade rauchend vorbeiging. „Da, | |
| fragen Sie den!“ | |
| Der kleine Herr lief Rudi hinterher, und wir drehten uns wieder um. „Das | |
| gibt’s doch nicht!“, japste Raimund. Der Dunkelhaarige war verschwunden. | |
| „Da trifft man einmal im Leben einen berühmten Regisseur, und dann kommt so | |
| ein Kerlchen und versaut einem alles!“ Er sprang auf, irrlichterte hin und | |
| her, rannte – während der kleine Herr und Rudi plaudernd zur Bar Centrale | |
| hinübergingen – schließlich fluchend und suchend davon und wäre, als wir | |
| ein Jahr später einen „Tatort“ sahen, in dem Rudi, der Blödmann, immerhin | |
| die Leiche spielen durfte, fast an einem hysterischen Lachkrampf erstickt. | |
| 20 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Joachim Schulz | |
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