# taz.de -- Chemiewaffen im syrischen Ghouta: „Es muss etwas passieren!“ | |
> Nach den Angriffen zählen die Bewohner die Opfer. Chemiewaffen-Experten | |
> versuchen nun die verwendeten Gifte zu identifizieren. | |
Bild: Rebellen, Mitte August in der Nähe von Ghouta | |
BERLIN taz | Einen Tag nach den Berichten über einen verheerenden | |
Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierungstruppen kommt Ghouta im Osten | |
von Damaskus nicht zur Ruhe. Die Armee hat ihre Angriffe auf die dortigen | |
Rebellenbastionen sowie Ziele im Westen der Hauptstadt fortgesetzt. | |
Die Zahl der Opfer blieb zunächst unklar, es gab auch keine Hinweise auf | |
einen neuen Giftgasangriff. Aus Angst vor weiteren Attacken hatten viele | |
Menschen in Ghouta am Vorabend nasse Handtücher neben ihre Betten gelegt, | |
um notfalls ihr Gesicht schützen zu können. | |
Die Zahlen der Opfer vom Mittwoch gingen weiter auseinander. Im Liveblog | |
der deutschen Solidaritätskampgane „Adopt a Revolution“ wird unter Berufung | |
auf einen Aktivisten der syrischen Lokalen Koordinationskomitees (LCC) | |
deutlich, wie deren Zahl von 1.338 Opfern zustande kam: Zunächst hätten die | |
Aktivisten alle verfügbaren Informationen gesammelt und die Zahlen der | |
Toten addiert. | |
Um doppelte Zählungen auszuschließen, hätten sie später nur noch die Zahlen | |
von Opfern in festen Sammelpunkten wie Krankenhäusern berücksichtigt. Die | |
Website der Organisation ([1][www.lccsyria.org]) dokumentiert das Ergebnis. | |
Inzwischen sind die Aktivisten dabei, genaue Namenlisten aufzustellen. | |
## Vermutlich giftige Stoffe | |
Zugleich beginnen Chemiewaffenexperten damit, die zahlreichen | |
Videoaufnahmen, die Aktivisten ins Internet gestellt hatten, zu | |
analysieren. Die Aufnahmen können nicht belegen, ob und welche chemischen | |
Substanzen eingesetzt wurden. Doch mehrere von der britischen Zeitung | |
Guardian befragte Experten – darunter auch solche, die angesichts früherer | |
Berichte von Giftgaseinsätzen skeptisch waren – gehen davon aus, dass | |
vermutlich giftige Stoffe eingesetzt wurden. Die Bandbreite aufgrund der | |
Symptome reicht dabei von Sarin über Blausäure bis hin zu Pestiziden. | |
Jean Pascal Zanders, einer dieser Experten, weist zudem darauf hin, dass | |
die Fotos und Videos eine deutlich bessere Qualität hatten als bei früheren | |
Anlässen. „Man kann deutlich die typischen Anzeichen für Erstickung | |
erkennen“, sagte er dem Guardian. „Neu ist auch, dass wir in diesen | |
Aufnahmen das Chaos der ersten Reaktionen auf die Geschehnisse sehen. Wir | |
sehen die Notfalldienste, wie sie überwältigt sind von den unschuldigen | |
Opfern. Das wirkt sehr authentisch.“ | |
## Nicht mehr reden | |
Angesichts der Ereignisse äußern mehrere Aktivisten inzwischen auch ihren | |
Unmut über das Verhalten der internationalen Gemeinschaft. Sami aus dem Ort | |
Irbin im Osten von Damaskus sagte beispielsweise zu Adopt a Revolution: | |
„Wir dachten immer, dass der Druck auf Assad wachsen wird, wenn er brutaler | |
gegen die Opposition vorgeht. Erst sind wir auf Demonstrationen beschossen | |
worden, dann wurden wir mit schweren Waffen in unseren Städten angegriffen, | |
jetzt sieht es nach Massenvernichtungswaffen aus. Es muss etwas passieren!“ | |
Noch deutlicher wird ein Aktivist aus Zamalka, dem von den Angriffen der | |
Regierungstruppen am stärksten betroffenen Ort. Auf die Frage von Adopt a | |
Revolution, ob man seine Nummer an Journalisten weitergeben könne, | |
antwortete er: „Tut mir leid, aber ich will nicht mehr reden. Wir haben in | |
den letzten Monaten immer alle Fragen beantwortet, die wir gestellt | |
bekommen haben. Aber jetzt brauchen wir einfach Hilfe: Medikamente, | |
Gasmasken. Wir brauchen Sicherheit. Was bringt es, noch weiterzureden.“ | |
Der Aktivist Bara Abdelraman äußerte sich gegenüber Reuters ausgesprochen | |
frustriert über eine mögliche Untersuchung der Gegend durch das Team der | |
UN-Experten: „Die Familien von Ghouta haben die Hoffnung auf irgendwelche | |
Untersuchungsteams aufgegeben, die uns seit dem Beginn der Revolution vor | |
zwei Jahren keine Hilfe gebracht haben … Wir sind sieben Kilometer weit | |
weg, nur fünf Minuten im Auto von dem Ort, an dem sie sich aufhalten. Wir | |
werden mit Giftgas getötet, während sie Kaffee trinken und in ihren Hotels | |
sitzen. Als Führer der Aktivisten und der Opposition fordern wir natürlich | |
trotzdem, dass die Inspektoren kommen, und wir versprechen, sie zu | |
schützen. Das ist eine Verantwortung gegenüber Gott, alles für unsere | |
Leute, die massakriert werden, zu tun, was wir können.“ | |
22 Aug 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.lccsyria.org | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
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