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# taz.de -- Die Wahrheit: Durch Hessen fressen
> Bei einer großen Wurstexpedition begibt sich ein Forscherteam in
> Nordhessen auf die Suche nach der einzigartigen und perfekten Ahlen
> Wurscht.
Bild: Eine Wurst, ein Brötchen und ein Klacks Senf – schon ist der Wurstfreu…
Über Jahre, ja beinahe Jahrzehnte zogen sich die Planungen hin. Immer
wieder wurden Termine ausgemacht, verschoben und wieder fallen gelassen.
Umso überraschender kam der Anruf Roland Taubers, des Präsidenten des
Deutschen Wurstinstituts in Münster. Nun habe er eine Zeit, das Wetter
solle überdies herrlich werden und er wolle endlich ins Nordhessische, ins
Mutterland der „besten Rohwurst weltweit“, kommen, um dort die viel
gepriesene Ahle Wurscht zu verköstigen. Schnell wurde eine Expeditionsroute
geplant, aufgereiht wie eine verführerische Wurstkette wollten die
Verköstigungsstationen angesteuert werden: Metzgerei Raabe in Breuna,
Landfleischerei Koch in Calden, Feinkost Köhler in Hofgeismar und
Fleischerei & Feinkost Barthel in Kassel.
Der werte Wurstpräsident hatte sich selbstverständlich den schwülsten Tag
des heurigen Sommers ausgewählt. Aber was will man auch erwarten von einem
Institutsleiter, dessen Wurstinstitut ebenso halbamtlich wie teilfiktional
ist. Einmal im Monat treffen sich in einem Münsteraner Café die Mitglieder
des Deutschen Wurstinstituts und testen zum Beispiel die Wurst des Monats
oder philosophieren über die Wurst an sich. Wer Mitglied werden möchte,
muss sich zunächst einmal eine Aufgabe wählen. Dann ernennt er sich selbst
etwa zum Senfwart. Der Wurstpräsident aber thront wie ein Fürst über allem
und repräsentiert das Institut nach innen und nach außen. Mit und ohne
Pelle.
So kam Präsident Tauber morgens mit Kühltasche und heimatlichem Pinkus-Bier
bepackt am Warburger Bahnhof im Grenzgebiet zu Nordhessen an. Nachdem die
Gattin des Expeditionsleiters ebenfalls mit einer Kühltasche die Ausrüstung
vervollständigt hatte, ging es direkt ins benachbarte Breuna, in „die
letzte Metzgerei vor der Autobahn“, so Tauber. Kaum aber war ein Parkplatz
gefunden, wehklagte Herr Tauber, man wäre leider einen Tag zu spät zu
dieser Expedition aufgebrochen, er wolle doch besser den nächsten Zug nach
Münster zurücknehmen. Was war geschehen?
Tauber hatte am Eingang der Landmetzgerei ein Schild mit der Aufschrift
„Jeden Dienstag: kostenlos Wurstesuppe“ entdeckt. Doch es war bereits
Mittwoch! Fast weinend schleppte er sich in den klimatisierten
Verkaufsraum, wo er umgehend vom überwältigenden Angebot an „dürren Runden…
und „Stracken“ getröstet wurde. Als er zwei Ahle Würschte sowie eine grobe
Leberwurst später – und die letzten Reste eines ordentlichen Mettbrötchens
mit Zwiebeln im Mundwinkel – sich wieder gutgelaunt auf dem Weg nach Calden
befand, konnte er allein die Straßenzustände kritisieren: „Schlechte
Straßen und nichts zu fressen, das ist Nordhessen.“
Noch bevor er über das „mürbe Mundgefühl“ der Ahlen Wurscht völlig ufer…
ins Philosophieren kam, ward die Kulturmetzgerei Koch erreicht. Hier weckte
eine fliegende Putte Taubers Interesse, die ein Schildchen um den Hals
trug: „Besuchen Sie doch mal unseren Wurstehimmel!“ Wenig später stand El
Presidente mit dem Expeditionsleiter im Aufzug zum weltweit einzigen
Wurstehimmel. Das Paradies für den weitgereisten Westfalen.
Offenen Mundes hörte er dem Meister zu, wie dieser alles über die
Geschichte der Ahlen Wurscht kundtat, die richtige Luftfeuchtigkeit sowie
die einzig wahre Lagerung („Lehmwände, niemals eine Klimaanlage“), das
stressfreie Töten („bloß kein Adrenalin, davon wird die Wurst sauer“) und
welche Zutat in Bomben und Würste gehört („Salpeter“).
Wäre nicht eine Landfrauengruppe für elf Uhr angesagt gewesen,
Metzgermeister Thomas Koch und Wurstpräsident Tauber hätten bis spät in die
Nacht bei Wurstesuppe auf ewige Freundschaft angestoßen.
Nächste Ausfahrt Feinkost Köhler in Hofgeismar. Vom Firmenslogan „So
schmeckt Heimat“ ließ sich Herr Tauber gar nicht erst blenden und lief ohne
jegliche Regung an den polierten Goldmedaillen, den ungezählten Urkunden
sowie an den mickrigen Probierhäppchen vorbei. Zartrosa und gülden
leuchtete es ihm aus der Textilienabteilung entgegen, wo es T-Shirts mit
Aufdrucken anzuprobieren galt: „Weggewerg un Ahle Wurscht vertreiben Hunger
und machen Durscht!“ oder „Last night a Stracke saved my life“.
„Jungs, auf nach Kassel!“, drängte die Gattin des Expeditionsleiters
ungeduldig. Sie wollte nach so viel Ahler Wurscht endlich mal etwas anderes
verspeisen. Die berühmte Kasseler Kochwurst war ihr Ziel. Natürlich mit
einer extra großen Portion Senf. Also stand die Reisegesellschaft nach
zwanzig Minuten Fahrzeit in der Fleischerei & Feinkost Barthel, um den
Mittagshunger zu stillen. Verwundert schaute Präsident Tauber der
Fleischereifachverkäuferin zu, wie diese Wurst nebst Senf abwog, um den
Verkaufspreis zu bestimmen. Die Portion Senf schlug erheblich zu Buche.
Hätte der Wurstpräsident doch nur die Instituts-Senfwartin Fräulein Britta
mitgenommen, sie hätte bestimmt ein paar mahnende Worte an die Verkäuferin
gerichtet und sie darauf hingewiesen, dass die kostenlose Portion Senf zu
den unveräußerlichen Grundrechten des Wurst verzehrenden Menschen gehört.
Hat es sich doch das Deutsche Wurstinstitut zur Lebensaufgabe gemacht, die
wurstenen Missstände in unserem Lande zu beseitigen. Dafür war man
angetreten, da gab es kein Pardon: eklige Autobahnraststättenwürste,
widerliche Massenwursthaltung und erst recht Senfabzocke gehörten täglich
angeprangert, um irgendwann den Wursthimmel auf Erden zu realisieren!
Präsident Tauber ging im Geiste noch einmal die 77 glorreichen
Institutsmitglieder durch: Wer könnte sich dem Senfproblem erfolgreich
widmen? Zum Beispiel der Chefideologe des Wurstinstituts Dr. Roth war genau
der richtige Mann für diese heikle Aufgabe, er würde einen grundsätzlichen
Senfessay verfassen, wenige, aber fein gewürzte Seiten, die keine Fragen
mehr offen ließen. Das konnte der Universalgelehrte, dem Biertrinken und
Rauchen hatte er auch schon überbordend gehuldigt. Er müsste nur seine
fränkischen Wurzeln ein wenig außer Acht lassen, dort schien man dem Sinn
des Senfs nicht richtig zu trauen. Erst kürzlich hatte er sogar die
Notwendigkeit der Senfwartin angezweifelt. Ach, die Sache war doch wirklich
arg vertrackt.
Voll und zufrieden fuhr man heim, vorbei an Windhosen, Hagelschauern und
quer durch einen ausgemachten Gewittersturm. Die Kühltaschen im Kofferraum
waren reichlich mit Ahler Wurscht gefüllt, die Zukunft gloriolte rosig.
Präsident Tauber trank durstig noch ein Wegebier auf die gelungene
Expedition, deren Leiter nebst Gattin er schließlich glücklich
verabschiedete: „Auch ohne Wurstesuppe eine vollendeter Tag.“
15 Sep 2013
## AUTOREN
Lukas Schneider
## TAGS
Wurst
Hessen
Wurst
Vegetarismus
Grüne
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