# taz.de -- Die Wahrheit: Sieg der Leberwürste | |
> Die Zukunft der Deutschen Olympischen Spiele. | |
Bild: Jubel kommt auf, als die Deutschen bei der Disziplin „Getrenntzahlen im… | |
Die Olympischen Spiele sind vorbei, und Deutschland hat immer noch viel zu | |
wenige Goldmedaillen. Die direkte Nachbarschaft im Medaillenspiegel zu | |
Turnbeutelvergesser-Staaten, die man sonst abgrundtief verachtet, gilt | |
hierzulande als nationale Katastrophe, und das weiß man auch im Rest der | |
Welt. | |
Wer es noch nicht weiß, erfährt es nun mit schmerzendem Trommelfell: Denn | |
das laute Geheul der Deutschen ist gefürchtet – eine Mischung aus | |
Fliegeralarm, ins Fangeisen geratener Wolf und tausend Jahre alter | |
beleidigter Leberwurst bei einem gleichzeitigen Tränenausstoß, der Nord- | |
und Ostsee sowie sämtliche Grenzflüsse derart anschwellen lässt, dass die | |
Anrainerstaaten existenziell bedroht sind. Spätestens aber, wenn | |
Bundesinnenminister Friedrich mit einem verräterischen Zucken um Augen, | |
Mund und Pistolenholster vor die Presse tritt und die weit verfehlten | |
olympischen Zielvorgaben für die deutschen Sportler offenlegt, ist nicht | |
nur in Europa jedem klar, was nach dem Geheul erfahrungsgemäß blüht: ein | |
unerbittlicher Eroberungskrieg, um es allen anderen mal so richtig zu | |
zeigen. | |
Das klingt im ersten Moment schlimm, doch zum Glück gibt es bessere und | |
billigere Lösungen als Generalmobilmachung, Verstärkung der | |
Luftschutzbunker und provisorische Umwidmung städtischer Parkanlagen in | |
Friedhöfe: Die olympischen Spiele werden einfach verlängert. Angelehnt an | |
die Erfahrungen aus einer auffälligen Häufung deutscher Trostmedaillen im | |
Rudern und Dressurreiten während der olympischen Endphase in London, | |
besinnt man sich auf die Frage: Was können die Deutschen denn am besten? | |
Marschieren, Meckern, Getrenntzahlen und Dressurreiten. Ach, das hatten wir | |
schon? Dann machen wir das eben einfach nochmal, und damit auch ja nichts | |
schiefgehen kann, bestimmen die Deutschen die Regeln und Figuren. Der | |
siebzehnjährige Wallach Hurenson, geritten von Altmeister Britter Bärbaum, | |
beherrscht als einziges Pferd im Parcours sogar den kurzzeitigen Gang auf | |
zwei Beinen, den sogenannten „Drunken Sailor“. Wenn er dabei auch noch den | |
rechten Vorderhuf hebt, um die auf der Tribüne staunende Royal Family zu | |
grüßen, ist er praktisch unschlagbar. | |
Und das ist nur der Anfang. Eine deutsche Medaillenflut sondergleichen | |
setzt ein, das ganze Land gerät in einen Siegestaumel und vergisst alles | |
andere. Die Welt atmet auf. Geschenkt, dass die Fernsehbilder aus einem Pub | |
in Hackney, die eine Gruppe Deutscher zeigen, die zehn Glas Leitungswasser | |
mit je einer Fünfzig-Pfund-Note bezahlt und mit starkem Akzent und in sehr | |
unfreundlichem Tonfall Geschäftsquittungen verlangt und keinen Penny | |
Trinkgeld gibt, sterbenslangweilig anzusehen sind. Schließlich ist niemand | |
dazu gezwungen, das zu gucken. | |
Dafür erzielt die Übertragung des Zehners im „Getrenntzahlen mit Beleg“ in | |
Deutschland Rekordeinschaltquoten. Die Rechte wurden so teuer bezahlt, dass | |
damit Spanien und Griechenland quasi nebenbei saniert werden können – das | |
sind schon einige Fliegen mit einer Klappe. | |
Deutschland verarmt und verwahrlost hingegen komplett. Der olympische | |
Goldrausch verdrängt die Realität, alle Bürger sitzen nur noch vor der | |
Glotze, die Produktion steht still. Kurz vor Weihnachten – Hans-Peter | |
Friedrich ist längst zum Bundeskanzler auf Lebenszeit bestimmt und bekommt | |
nun das halbe Dr.-Oetker-Imperium dazu sowie die Tochter von VW zum Weibe – | |
ist es endlich so weit: die tausendste deutsche Goldmedaille. Stolz | |
schildert Hotte Koslowski aus Berlin-Moabit, Schlagmann im deutschen | |
Meckern-Vierer vor der internationalen Presse (Oranienburger | |
Generalanzeiger, Weser-Ems-Kurier und Oberbayerisches Volksblatt) die | |
entscheidenden Momente des Wettkampfs: „Ick hab nur jesacht: ’vaveif dir, | |
du Vo’el – dit is keen Radwech!‘ Hat der Franzosenpiepel natürli’ keene | |
Antwort mehr druffjehabt …“ | |
Der einzige Wermutstropfen im Siegerkelch bleibt im Grunde der Verlust der | |
Marschierer-Goldmedaille in der Klasse „Wahnsinnige unter 60 Kilogramm“ an | |
Nordkorea. Doch das lässt sich verschmerzen. | |
13 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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