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# taz.de -- Die Wahrheit: Der mit den Würstchen spricht
> Oft denkt man, feindliche Übernahmen und Konkurse sind das Los großer
> Industrieunternehmen.
Oft denkt man, feindliche Übernahmen und Konkurse sind das Los großer
Industrieunternehmen. Für mich ist es weit tragischer, wenn in der
Nachbarschaft Ein-Mann-Betriebe oder kleine Krauter schließen. Zwar geht es
um weit weniger Stellen, aber trotzdem um Existenzen. Und mehr noch, um
Identifikation, Geschichte und Traditionen. Meine Traditionen.
Der erste Konkurs, den ich erlebte, war der einer Kegelbahn. Ich hatte dort
meinen ersten Job. Mit zwölf. Ich stellte die Kegel auf. Das war damals
noch „Handarbeit“. Es waren zwei Kegelbahnen nebeneinander. Während auf der
linken geworfen wurde, musste man blitzschnell auf der rechten die Kegel
aufstellen und dann zurück in die andere Bahn springen. Oft flogen einem
die Kegel an die Knochen.
Ich wohnte auf dem Dorf, sechseinhalb Kilometer entfernt, und fuhr immer
dienstagabends mit dem Fahrrad zur Kegelbahn. Drei Stunden Arbeit, von
sieben bis zehn. Wenn man Glück hatte, hatten sie schon um halb zehn genug.
Wenn man Pech hatte, waren sie schon ab halb neun so besoffen, dass einige
bereits warfen, während man noch aufstellte. Dann wusste man gar nicht
mehr, wohin man noch springen sollte, um der Kugel und den Kegeln
auszuweichen.
Ich verdiente 50 Pfennig die Stunde. Das schönste an diesen Abenden war,
danach zu Potthoff zu fahren. Potthoff ist eine von zwei legendären
Mindener Pommesbuden. Es gibt Potthoff bis heute, und die gebrühte Curry
mit Pommes rot ist weit besser als alles, was Fernsehköche der Nation
täglich vorbrutzeln.
Nach einer Portion Pommes bei Potthof fuhr ich noch eine Runde durch die
Stadt, vorbei an den geheimnisvollen Kathedralen, die „Big Ben“ und „Stud…
M“ hießen und in die Mädchen mit unfassbar langen Beinen und unglaublich
kurzen Miniröcken gingen, um sich von älteren Schülern, Lehrlingen und
anderen Nachwuchskräften anbeten zu lassen.
Zu Hause sagte ich: „Die haben wieder länger gekegelt.“ Es war ein Drama,
als die Kegelbahn schloss, die Herren auf automatische Bahnen umstiegen und
ich mir einen neuen Job suchen musste. Ich hatte mich an das zusätzliche
Geld gewöhnt. An den kleinen Luxus extra.
Wenn ich von der Schule nach Hause fuhr, kam ich an der zweiten legendären
Pommesbude vorbei. An Klemens’s Grillimbiss. Mit Apostroph und Doppel-s.
Orthografisch ein Desaster, ostwestfälisch-umgangssprachlich aber absolut
korrekt. Klemens seiner! Auch hier waren Bratwurst mit Currypulver,
zähflüssiger Ketchup und krosse Pommes das, was für den Gourmet Trüffel und
Kobe-Rind sind. Ich halte dort heute noch, wenn ich meine Eltern besuche.
Vor zwei, drei Jahren hat Klemens den Laden abgegeben, an seinen Sohn.
Vorbei waren Aura und Aroma. Es musste an Klemens gelegen haben. Der mit
den Würsten spricht. Nun schrieb mir mein Freund Jürgen: „Wolfgang vom
’Bauernstübchen‘ hat ’Klemens’s Grillimbiss‘ gekauft und in ’Iss w…
umbenannt!“ Ich bin geschockt! Das ist eine feindliche Übernahme. Eine
Epoche ist beendet. Hoffentlich hält wenigstens Potthoff durch.
24 Apr 2012
## AUTOREN
Bernd Gieseking
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