# taz.de -- Die Wahrheit: Marzipan im Garn | |
> Beim Jahrestreffen des Deutschen Wurstinstituts in Münster wurde die | |
> Frage eines mürben oder marzipanartigen Mundgefühls diskutiert. | |
Bild: Üppig beladene Wurstteller laden zur Verköstigung ein | |
Etwas stimmte nicht, als am letzten Wochenende das Jahrestreffen des | |
Deutschen Wurstinstituts (DWI) in Münster abgehalten wurde. Es war nicht | |
allein der westfälische Nieselregen, der den Mitgliedern des DWI | |
offensichtlich aufs Gemüt schlug. Der Rücktritt ihres allseits verehrten | |
Präsidenten Roland Tauber im vergangenen Sommer saß den DWI-Mitgliedern | |
noch in den Knochen. Hinter den Kulissen war sogar die Rede von einem | |
offenen Bekenntnis zur Fleischlosigkeit einiger Mitglieder. | |
Als sich gegen Mittag ein gutes Dutzend der angereisten DWI-Mitglieder | |
erwartungsvoll vor der vermeintlich besten Metzgerei Münsters zur | |
Wurstprobe einfand, hatte sich der neue DWI-Präsident Dr. Alexander Yendell | |
bereits in Interviews gegenüber Medien rechtfertigen müssen, warum | |
ausgerechnet in seinem Wurstinstitut „einige Mitglieder bekennende | |
Vegetarier“ sind. Ein unglücklicher Start zu dem „Wurst-Crawl“ in der | |
Münsteraner Innenstadt, bei dem die Mitglieder des Instituts einmal im Jahr | |
verschiedene Metzgereien sowie Stände auf dem Wochenmarkt aufsuchen und | |
Würste probieren. | |
Die anfangs angespannte Stimmung wurde besser, als die versammelten | |
DWI-Mitglieder durch das Herumreichen von drei üppig belegten | |
Probiertellern mit Wurstköstlichkeiten an den eigentlichen Grund der | |
Zusammenkunft erinnert wurden. Am Rande der Verköstigung entbrannte jedoch | |
ein Streit zwischen dem aus Nordhessen angereisten Ahle-Wurscht-Wart Klaus | |
Leweke und dem studierten Germanisten Roland Tauber. | |
Tauber hatte die hauseigene „Hessische Stracke“ der Metzgerei als | |
„marzipanartig“ im Mundgefühl gelobt. Dies hatte Leweke besserwisserisch zu | |
korrigieren versucht: Es müsse richtig „mürbe“ heißen. Mit einem | |
salomonischen „Jungs, nun ist aber gut, das ist doch Wurst!“ beruhigte | |
Präsident Yendell die beiden Hitzköpfe und verwies auf die Wurst, die er am | |
Revers seines Jacketts trug. | |
Die DWI-Mitglieder zogen weiter zum Münsteraner Wochenmarkt, um dort am | |
mutmaßlich besten Currywurststand Münsters den Mittagshunger zu stillen. | |
Tauber war nun ganz in seinem Element. Bei einer extragroßen Portion | |
Currywurst zitierte er Jean Paul: „Wurst ist eine Götterspeise. Denn nur | |
Gott weiß, was drin ist.“ Beim weiteren Rundgang über den Wochenmarkt | |
wurden spontan zahlreiche Nebeninstitute gegründet: das Brotinstitut, das | |
Senfinstitut, das Oliveninstitut, das Honiginstitut – und sogar ein | |
Kucheninstitut war in der Diskussion. Offiziell anerkannt ist derweil nur | |
das Bierinstitut des Frankfurters Dr. Jürgen Roth. | |
## Unqualifizierte Einwürfe | |
Am Stand des vorgeblich größten Spezialisten für Wurst- und Fleischwaren | |
der Republik war die Stimmung merklich entspannter. Fachkundig erläuterte | |
der Standinhaber die gereichten Wurstproben. Seine Ausführungen zur | |
Eichsfelder Stracken wurden wiederum vom Ahle-Wurscht-Wart Leweke durch | |
Zwischenbemerkungen gestört, die Stracke sei im Mundgefühl mürbe, aber | |
keinesfalls marzipanartig. Altpräsident Tauber, mittlerweile zum | |
Ehrenpräsidenten der Wurst geadelt, strafte die unqualifizierten Einwürfe | |
mit Nichtbeachtung. Sein Interesse galt der formidablen Salami des | |
ehemaligen Herta-Wurstwarenherstellers Karl Ludwig Schweisfurth, die dieser | |
nunmehr als geläuterter Bio-Landwirt unter Berücksichtigung artgerechter | |
Tierhaltung in seinen Herrmannsdorfer Landwerkstätten vermarktet. | |
Um den ambitionierten Zeitplan des „Wurst-Crawls“ einhalten zu können, | |
eilten die DWI-Mitglieder flugs zur vorgeblich besten innerstädtischen | |
Fleisch- und Wurstmanufaktur Münsters. Dort wurde eine schlachtwarm | |
verarbeitete und leicht geräucherte Fleischwurst verköstigt, die eine | |
einzigartige Nussnote im Abgang hat. Eine Diskussion über mürbes Marzipan | |
blieb allen Anwesenden somit erspart. | |
## Vorzeitiger Heimweg | |
Die Wurst-Tour endete im traditionellen DWI-Stammcafé Gasolin. Dort wurden | |
von den Mitgliedern mitgebrachte Wurstspezialitäten verkostet. Es hätte ein | |
harmonischer Ausklang werden können, wenn nicht der Neu- und der | |
Altpräsident in einen hungrigen Streit geraten wären über die mitgebrachten | |
Wurstköstlichkeiten – ob Naturalien als Monatsbeiträge gelten dürften oder | |
nicht. Bislang seien die Zusendungen jedenfalls nicht pünktlich und | |
regelmäßig eingegangen. So käme die Ahle-Wurscht von Wurst-Wart Leweke | |
immer knüppelhart in Münster an. Ungenießbar! | |
Trotzdem wurde der geliebte Ehrenpräsident Roland Tauber als „Botschafter | |
der Wurst“ ausgezeichnet. Darüber wie es schließlich zur Aussöhnung der | |
beiden führenden Wurst-Männer Tauber und Yendell kam, hat der Verfasser | |
dieser Zeilen leider keine Kenntnis. Denn in Fahrgemeinschaft mit dem | |
völlig konsternierten Ahle-Wurscht-Wart musste er vorzeitig den Heimweg | |
antreten. Unter Protest und mit einem mürben „Wurst ahoi“ als | |
Abschiedsgruß. | |
Das Deutsche Wurstinstitut wurde im Jahr 2009 gegründet und hat seinen Sitz | |
in Münster. Das Institut hat zurzeit 78 Mitglieder aus Deutschland, | |
Brasilien, Großbritannien, Spanien und Ungarn. Einige Mitglieder sind | |
Vegetarier. | |
25 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Lukas Schneider | |
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