| # taz.de -- Redaktionsbesuch bei der FR: Klitzeklein mit Haltung | |
| > Der „Frankfurter Rundschau“ machen die Sparzwänge nach der Übernahme | |
| > durch die FAZ-Gruppe zu schaffen. Doch der alte Anspruch ist geblieben. | |
| Bild: Muss mal wieder abgeschraubt werden: das Logo der FR. | |
| FRANKFURT AM MAIN taz | Eines müssen sie sich bei der Frankfurter Rundschau | |
| nun wirklich nicht vorwerfen: dass sie zu unbeweglich seien. In der | |
| kommenden Woche ziehen die Journalisten schon wieder um – zum dritten Mal | |
| in zehn Jahren. Nach dem FR-Haus am Eschenheimer Tor, nach dem sterilen | |
| Büro-Mix „Colosseo“ und zuletzt dem extra für sie umgebauten „Depot“ … | |
| Sachsenhausen steht jetzt eine neue Station an. | |
| In der kommenden Woche zieht die FR an die Mainzer Landstraße – zu den | |
| neuen Schwestern. Das Blatt entsteht damit künftig vis-à-vis der | |
| Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der regional ausgerichteten Frankfurter | |
| Neuen Presse. Viel schlimmer als diese anhaltende Rastlosigkeit ist | |
| allerdings der enorme Spardruck, der heute auf der Redaktion lastet. | |
| „Das ist, was wir gerade machen: Wir loten aus, wo die Grenze ist. Und ich | |
| glaube, dass wir dieser Grenze inzwischen ziemlich nahe gekommen sind“, | |
| sagt Arnd Festerling, der Chefredakteur. Festerling ist seit Anfang der | |
| neunziger Jahre bei der FR, er kommt also aus ihrer Mitte und hat alle | |
| Umzüge mitgemacht – diverse Sparprogramme inklusive. Seit Sommer des | |
| vergangenen Jahres leitet er die Redaktion, kurz danach kam es zur | |
| Beinahe-Pleite. Seit diesem Frühjahr, seit der Übernahme durch die FAZ und | |
| deren Frankfurter Societäts-Verlag, muss er die Arbeit verdichten, wo es | |
| nur geht. | |
| Es ist exakt das Umfeld an der Mainzer Landstraße, das die seit Jahren | |
| teils enorm defizitäre FR gerettet hat. Die bisherigen Eigner, die Kölner | |
| Mediengruppe DuMont Schauberg und – ausgerechnet – eine Medienholding der | |
| SPD, hatten das Blatt aufgegeben. Die FR stand vor dem Aus und meldete im | |
| November 2012 Insolvenz an. | |
| ## Am Ende angekommen | |
| Die linksliberale FR, die zwischenzeitlich aufs handliche Tabloid-Format | |
| schrumpfte, durfte dank Rettung durch die FAZ-Gruppe weitermachen, musste | |
| dafür aber noch einmal ihren Apparat ausdünnen. „Ich war schon der Meinung, | |
| dass wir ziemlich am Ende angekommen waren“, sagt Festerling. „Aber wir | |
| haben Sachen umgesetzt, von denen ich vorher nicht gedacht hätte, dass man | |
| das kann.“ | |
| Festerling ließ Konferenzen maximal komprimieren – für einige Mitarbeiter | |
| von gut drei auf nur noch eine Stunde am Tag. Und auch andere | |
| Stellschrauben saßen aller Not zum Trotz offensichtlich noch immer recht | |
| locker. Über das neue „System FR“ sagt der Chefredakteur: | |
| „Politikredakteurinnen sitzen nicht nur da und schrubben die Zeitung | |
| zusammen, sondern führen eben auch Interviews und schreiben Texte.“ | |
| Man könnte fast meinen, die FR wäre erst jetzt in der Realität angekommen. | |
| Doch wer sich mit Betroffenen unterhält, der hört schnell heraus, dass es | |
| an die Substanz geht. Das ist nicht zuletzt auch der Zeitung anzusehen: In | |
| ihr finden sich mehr Agenturtexte denn je, Massenware statt Exklusivität. | |
| Letztere ist der FR ohnehin kaum noch möglich: Ein eigenes | |
| Korrespondentennetz fehlt ihr außerhalb der Region gänzlich. | |
| Wer aus aller Welt oder eben dieser Tage auch aus dem politischen Berlin | |
| schreibt, arbeitet weiter für DuMont. Auch um die FR in den Bereich der | |
| schwarzen Zahlen zu lotsen, hatte die Kölner Gruppe vor einigen Jahren alle | |
| Hauptstadtbüros zusammengelegt. Es entstand die ReGe, die | |
| Redaktionsgemeinschaft, die sich vor allem aus früheren Redakteuren der | |
| Berliner Zeitung, aber eben auch aus einstigen Frankfurtern zusammensetzt. | |
| Die FR ist jetzt ihr Kunde – auch über einen bei der Übernahme durch die | |
| FAZ ursprünglich mal anvisierten Übergangszeitraum von wenigen Monaten | |
| hinaus. | |
| ## Nur abhängig oder gar Bittsteller? | |
| Die FR druckt also, was andere schreiben? Festerling betont: Seine | |
| Redaktion müsse nicht einfach nehmen, was die ReGe ohnehin für DuMont | |
| recherchiere. Sie könne sehr wohl direkt bestellen – und das sogar besser | |
| als früher: „Wir bezahlen jetzt viel Geld, ohne das die wirtschaftliche | |
| Situation der ReGe zumindest eine andere wäre.“ Ein Bittsteller ist | |
| Festerlings Redaktion demnach nicht, abhängig aber natürlich trotzdem. | |
| Kurz nach der Insolvenz musste die Redaktion außerdem den Newsroom | |
| verlassen, der ihr in Sachsenhausen einst eingerichtet worden war und der | |
| als Vorbild galt: Die Zeitung des nächsten Tages entstand an einem | |
| „News-Hub“, einem riesigen runden Tisch, von dem wiederum sternförmig die | |
| Tischreihen der einzelnen Ressorts in den Raum hineinwuchsen. Hier sollte | |
| modernster Journalismus entstehen – passé. | |
| In den provisorischen, dicht gedrängten Redaktionsräumen über der | |
| anderweitig vermieteten Halle läuft einem kurz vor dem Umzug Stephan Hebel | |
| über den Weg, die prominenteste Stimme der Zeitung. Er hat die Redaktion im | |
| Zuge der Insolvenz verlassen, bleibt aber als Autor präsent. „Die Redaktion | |
| ist zum großen Teil erschöpft“, sagt Hebel. | |
| Viele gute Kollegen fehlten nun: Opfer des Sparzwangs, Opfer anhaltender | |
| Fluchtbewegungen. „Aber auch wenn die Belegschaft immer kleiner und kleiner | |
| wurde, sie hat einen Kern der FR immer durchgekämpft“, sagt Hebel. „Und der | |
| hat jetzt die besten Chancen seit Langem, wieder zur Geltung zu kommen.“ | |
| ## Sorge um das Profil | |
| Tatsächlich lieferte der DuMont-eigene Dienstleister ReGe zuletzt nicht nur | |
| einzelne Geschichten zu, sondern den ganzen sogenannten Mantel: fertige | |
| Seiten zum Weltgeschehen. Jetzt, nach der Rettung durch die FAZ-Gruppe, | |
| macht die FR ihr Blatt wieder selbst. „Der Mantel ist heimgekehrt“, sagt | |
| Chefredakteur Festerling. „Die Rundschau ist wieder komplett die | |
| Rundschau.“ | |
| Dass sie dennoch außerhalb des Regionalen kaum etwas selbst schreiben | |
| könnten, sei nicht tragisch. „Zeitung machen heißt ja auch, zu entscheiden, | |
| welches Thema groß gefahren wird und welches klein“, erklärt Festerling. | |
| Dabei habe die FR nun wieder „maximalen Handlungsspielraum“ – etwa für | |
| Schwerpunkte zu sozialen Schieflagen. Einige Leser sorgten sich nach der | |
| Übernahme, dass das Profil im Verbund mit den konservativen Titeln | |
| verschwimme: Aus ihrer FR werde eine „Frankfurter Allgemeine Rundschau“. | |
| Alles Quatsch, sagt Festerling: „Nach meinen Erfahrungen wird | |
| Eigenständigkeit in der Redaktion fast schon zu groß geschrieben.“ Ein | |
| Geschäftsführer wolle ihm noch nicht mal sagen, wie er die FR finde, um | |
| sich nicht einzumischen. „Dabei will ich von ihm eigentlich nur mal hören, | |
| ob das jetzt gut ist oder schlecht.“ | |
| Das mag Geschmackssache sein, harte Kenngrößen indes nicht: die FR verkauft | |
| täglich nur noch halb so viele Exemplare wie noch vor zehn Jahren. Statt | |
| etwa 180.000 nur noch 90.000 Stück. Auch wenn sie zuletzt aufhörte, die | |
| Zahlen etwa mit Bordexemplaren für Fluggäste künstlich in die Höhe zu | |
| treiben, wie das viele in der Branche tun, bleibt das ein dramatischer | |
| Verfall. | |
| ## Wenig Mittel, großer Anspruch | |
| Ob sie den Trend stoppen kann, etwa mit gutem Journalismus? Das dürfte ein | |
| harter Kampf werden, denn Festerling, der demnächst wieder ins zweite Glied | |
| zurück will, beschäftigt keine 100 Redakteure mehr – und die kümmern sich | |
| vor allem ums Lokale, das Kerngeschäft im Rhein-Main-Gebiet. | |
| „Im Vergleich mit der Süddeutschen oder der FAZ sind wir natürlich eine | |
| klitzekleine Zeitung“, sagt Festerling. „Aber wir geben uns Mühe und haben | |
| den Anspruch, unsere Leser umfassend zu informieren, egal ob sie uns in | |
| Frankfurt, Detmold, Köln oder München lesen.“ | |
| Hebel berichtet unterdessen, dass die Redaktion nach vielen Monaten der | |
| Ungewissheit nun wieder darüber nachdenke, wie es inhaltlich weitergehen | |
| kann. Die linksliberale Haltung soll wieder stärker herauskommen. So, wie | |
| es mal war, zu den Hochzeiten der Rundschau. | |
| „Haltung ist nicht teuer“, sagt FR-Autor Hebel, der sich denken kann, dass | |
| die Redaktion auch langfristig wohl überschaubar bleibt. „Haltung kostet | |
| nur Kraft.“ | |
| 20 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bouhs | |
| ## TAGS | |
| Frankfurter Rundschau | |
| Frankfurter Allgemeine Zeitung | |
| Schwerpunkt Zeitungskrise | |
| Funke Mediengruppe | |
| DuMont | |
| Tarifverhandlungen | |
| Madsack | |
| Frankfurter Rundschau | |
| FAZ | |
| Frankfurter Rundschau | |
| Frankfurter Allgemeine Zeitung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ein herzliches Hallo der Funke-Gruppe: Wir lieben euch alle | |
| Funke heißt seine neuen Mitarbeiter von Springer willkommen. Diese wissen | |
| allerdings noch gar nicht, wo sie demnächst arbeiten werden. | |
| Entlassungsplan bei DuMont: Ein Bruch mit der Firmenkultur | |
| Beim Kölner DuMont-Konzern drohen mindestens 84 Kündigungen. In einem Brief | |
| bitten die Mitarbeiter den Verlagspatriarch, darauf zu verzichten. | |
| Tarifverhandlungen bei Zeitungen: Auf, auf zum Kampf | |
| Immer mehr Verlage steigen aus Tarifverträgen aus, zuletzt auch der | |
| Berliner Verlag. Zum Ärger der Gewerkschaften. Erste Streiks sind | |
| angekündigt. | |
| Madsack-Gruppe mit Zentralredaktion: Alles aus keiner Hand | |
| 18 Zeitungen – ein überregionaler Teil. Die Madsack-Mediengruppe zeigt, | |
| dass sich viele Verleger kaum noch um eigene Recherchen kümmern. | |
| „Frankfurter Rundschau“: Hohn und Spott | |
| Die Entscheidung ist gefallen: Die „FAZ“ übernimmt die „Frankfurter | |
| Rundschau“. Die betroffenen Mitarbeiter haben aber ganz andere Sorgen. | |
| „FAZ“ will Profil der „FR“ erhalten: Frankfurter grüne Soße | |
| Die neuen Eigentümer der „Frankfurter Rundschau“ sind optimistisch: Die | |
| neue FR soll regional stark werden, der Mantelteil zunächst weiter aus | |
| Berlin kommen. | |
| Zeitungssterben in Deutschland: Sie ist Geschichte | |
| Die „Frankfurter Rundschau“ vereinte einst Katholiken und Kommunisten im | |
| Ringen um ein besseres Land. Nun ist sie am Ende. Ein Nachruf. | |
| Medienforscher zur Übernahme der „FR“: „Dann wird es dramatisch“ | |
| Eine linksliberale FR und die konservative FAZ? Wie soll das gehen? Und | |
| wird die neue FR ein Blatt, was von Leiharbeitsredakteuren gemacht wird? |