# taz.de -- Essay Liberalismus in Deutschland: Die wandelbare Idee der Freiheit | |
> Die FDP war schon vieles: Umfallerpartei, Königsmacherin, | |
> Bürgerrechtspartei. Jetzt muss sie sich neu erfinden und hat Luft für die | |
> Frage: Was ist Freiheit? | |
Bild: Die Parteivorsitzenden Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU), Hans-Dietri… | |
Wer hätte gedacht, dass prominente Grüne eine so hohe Meinung von der FDP | |
haben? „Der Platz der FDP als Freiheits- und Bürgerrechtspartei im | |
Bundestag ist frei“, erklärte die ehemalige grüne Spitzenkandidatin Katrin | |
Göring-Eckardt. Und der Rechtspolitiker Volker Beck, langjähriger | |
Parlamentarischer Geschäftsführer, begründete seine Rückkehr in die | |
Fachpolitik unter anderem damit, dass nach dem Verschwinden der FDP aus dem | |
Bundestag das Feld der Bürgerrechte nun allein den Grünen überlassen sei. | |
Oha. Die FDP ist also nicht etwa die Partei der Hotelbesitzer, sondern | |
Gralshüter der individuellen Freiheit. Es hätte die glücklosen Rivalen | |
sicher gefreut, wenn die Grünen diese verblüffende Einschätzung bereits | |
während des Wahlkampfs verlautbart hätten – vielleicht hätte es ja dann | |
sogar zum Sprung über die Fünfprozenthürde gereicht. | |
Allerdings ist davon auszugehen, dass Göring-Eckardt und Beck behaupten | |
würden, ihre Äußerungen völlig anders gemeint zu haben. Nämlich lediglich | |
als Hinweis darauf, wie wichtig eine liberale Bürgerrechtspartei in | |
Deutschland sei. Interessant nur, dass ihnen in diesem Zusammenhang die FDP | |
eingefallen ist. Zu Recht? Das ist eine Frage des Blickwinkels. | |
Parteien werden zur Identifizierung stets auf Stichworte reduziert und | |
behalten diese Zuschreibung oft noch lange nach einem Kurswechsel – auch | |
deshalb, weil Journalisten stets für Synonyme dankbar sind. | |
## In der Tradition des Vormärz | |
So wurden die Grünen selbst nach dem Kosovokrieg gelegentlich noch als | |
„pazifistisch“ bezeichnet, und die FDP wurde seit ihrer Gründung „libera… | |
genannt, ohne dass damit zwangsläufig eine inhaltliche Wertung verbunden | |
war. Die Parteigranden hatten dagegen allerdings zu keiner Zeit etwas | |
einzuwenden. Während sich nämlich manche CDU-Politiker inzwischen mit | |
Händen und Füßen gegen ihr Stichwort – „konservativ“ – wehren, war d… | |
zu allen Zeiten mit der Zuschreibung „liberal“ zufrieden. Verstand sie sich | |
doch stets als Partei, die in der Tradition des Vormärz stand, also gegen | |
autoritäre Übergriffe des Staates und für die Freiheitsrechte der Einzelnen | |
kämpfte. | |
Zu manchen Zeiten dürften die Gründerväter des Liberalismus angesichts | |
dieser Selbstbeschreibung im Grabe rotiert haben. In den 50er Jahren war | |
die FDP ein Sammelbecken alter Nazis und Nationalisten. | |
In den 60er Jahren wurden die sogenannten Liberalen erstmals zur | |
Funktionspartei – also zu einer Gruppe, die nicht wegen eigener Inhalte, | |
sondern lediglich als Mehrheitsbeschafferin für eine der Großen gebraucht | |
wurde: 1961 bildete sie eine Koalition mit der CDU, obwohl sie sich vor den | |
Wahlen darauf festgelegt hatte, keinesfalls mit einem Bundeskanzler Konrad | |
Adenauer an einem Kabinettstisch sitzen zu wollen. Das böse Wort von der | |
„Umfallerpartei“ im Hinblick auf die FDP, seither immer wieder gern und zu | |
Recht recycelt, wurde damals erstmals benutzt. | |
Die „Freiburger Thesen“ in den 70er Jahren standen für den Versuch, | |
individuelle Freiheitsrechte mit dem Thema sozialer Gerechtigkeit zu | |
verknüpfen. Kritiker des wirtschaftsliberalen Kurses seit der | |
Jahrtausendwende, der vor allem mit dem Namen Guido Westerwelle verknüpft | |
wird, beziehen sich oft auf diesen Teil der Parteigeschichte, wenn sie | |
begründen wollen, dass die FDP ihre Tradition und ihre Inhalte verraten | |
habe. Aber das ist nicht gerecht. | |
## Nie eine homogene Bewegung | |
Der Liberalismus war nie eine homogene Bewegung – und auch die FDP war nie | |
ohne Richtungs-und Grabenkämpfe denkbar. In den Gründerjahren der | |
Bundesrepublik war sie die einzige Partei, die schon damals für die | |
Marktwirtschaft eintrat, alle anderen, übrigens auch die CDU, vertraten | |
damals noch ein Modell der staatsgelenkten Wirtschaft. | |
Insofern kann sich auch der Marktradikalismus durchaus zu Recht auf einen | |
Traditionsstrang der „Liberalen“ berufen. Vielleicht ist das unvermeidlich | |
bei einer Partei, die das Recht des Individuums auf freie Selbstentfaltung | |
als das höchste aller Güter betrachtet. Individuen neigen eher zu Streit | |
als festgefügte Gruppierungen. | |
Aber was genau ist „Selbstentfaltung“? Das hängt – vermutlich stärker a… | |
jeder andere politische Begriff – vom Zeitgeist und vom Entwicklungsstand | |
einer Gesellschaft ab. Den Vormärzkämpfern war die Gleichberechtigung der | |
Frau kein Anliegen, die Grünen hatten in ihren Gründerjahren mit | |
Datenschutz sehr viel weniger am Hut als heute, schließlich gab es | |
seinerzeit noch nicht einmal das Internet. | |
Die Frage, welche Rechte ein Individuum hat und wo diese Rechte ihre | |
Grenzen finden, ist heute vermutlich noch komplizierter als zu Zeiten von | |
John Locke, einem Begründer des Liberalismus. Er hatte Leben, Freiheit und | |
Eigentum als unveräußerliche Rechte definiert. Sehr schön. Aber wie | |
brauchbar ist diese Definition heute? Was ist Freiheit? | |
## Eine Feststellung, kein sarkastischer Seitenhieb | |
Die FDP hat nun etwas Luft gewonnen, um diese Frage zu erörtern. Das ist | |
eine Feststellung, kein sarkastischer Seitenhieb. Da „die Liberalen“ nach | |
wie vor in zahlreichen Landesparlamenten vertreten sind, werden sie sich | |
öffentlich Gehör verschaffen können. Ob das, was die FDP programmatisch | |
entwickelt, in vier Jahren mehr als 5 Prozent der Bevölkerung attraktiv | |
finden: Das ist offen. | |
Manche Leitartikel lesen sich in diesen Tagen so, als sei mit dem Abschied | |
der FDP aus dem Bundestag der Tod eines nahen Verwandten zu beklagen. Den | |
man zwar nicht leiden konnte, über den man jetzt aber auch nichts allzu | |
Böses sagen möchte. Das trifft die Situation nicht. | |
Auch andere kleine Parteien wie Grüne und PDS sind schon einmal an der | |
Fünfprozenthürde gescheitert – und dennoch ins Parlament zurückgekehrt. Es | |
gibt keinen Verfassungsgrundsatz, der da lautet: „Die Parteien wirken bei | |
der politischen Willensbildung des Volkes mit. Die FDP muss immer im | |
Bundestag sitzen. Sonst ist sie für immer weg.“ | |
Nein, die FDP kann abgewählt werden, und sie kann auch erneut in den | |
Bundestag gewählt werden. Ob ihr das gelingt, liegt bei ihr. Dass es einen | |
Bedarf an einer liberalen Partei in Deutschland gibt: Davon zeugen die | |
Äußerungen der grünen Führungsspitze. Ob es den Grünen gelingt, die FDP | |
überflüssig zu machen, liegt hingegen bei ihnen. Dieser Wettkampf wird noch | |
interessant – und liegt im Interesse freiheitsliebender Bürgerinnen und | |
Bürger. | |
25 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
## TAGS | |
FDP | |
Liberalismus | |
Grüne | |
Bundestag | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Grüne | |
Guido Westerwelle | |
Interview | |
Grüne | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
FDP | |
FDP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüne und Liberalismus: „Die Farbe der Freiheit ist Grün“ | |
Bundestagsabgeordnete der Grünen äußern sich darüber, wie ein Liberalismus | |
jenseits der FDP aussehen könnte. Neue Ideen liefern sie leider nicht. | |
Westerwelle sagt der UNO Good bye: Mehr Diplomatie wagen | |
Die Syrien-Resolution als Vorbild: Bei seinem letzten Auftritt vor der UNO | |
mahnte der scheidende Außenminister wieder stärker politische | |
Konfliktlösungen anzustreben. | |
Ökonom über Koalitionsverhandlungen: „Merkel hat links überholt“ | |
Der Wirtschaftsflügel der CDU ist jetzt gefordert, damit die neue | |
Regierungskoalition nicht zu weit nach links abdriftet, meint Ökonom Thomas | |
Straubhaar. | |
Grüne Personalpolitik: Die neuen Hoffnungsträger | |
Die alte Generation der Partei tritt ab. Welche Frauen und Männer sie | |
beerben könnten, wer bleiben will – und wer schon abwinkt: Wir stellen sie | |
vor. | |
Tendenz zur Großen Koalition: Merkel muss noch mal wählen | |
Die CDU braucht einen neuen Partner. Sie tendiert zur SPD. Doch die ziert | |
sich. „Rote Linien“ will die Kanzlerin vorsorglich nicht ziehen. | |
Führungswechsel bei der FDP: Der Heiland heißt Lindner | |
Brüderle und Rösler sind grandios gescheitert. Die neue Hoffnung der FDP | |
heißt Christian Lindner. Der 34-Jährige kandidiert für den Parteivorsitz. | |
Bittere Wahlniederlage: Wähler schicken FDP mit 65 in Rente | |
Die FDP unterbietet ihr schlechtestes Wahlergebnis von 1969. Sie scheidet | |
damit erstmals aus dem Bundestag aus. Eine Chance für Christian Lindner. |