# taz.de -- Guter böser Wolf: „Es ist eine stinknormale Wildtierart“ | |
> Frank Faß versteht sich als Aufklärer: Wie man mit dem Konfliktpotenzial | |
> zwischen Wolf und Mensch umgehen kann, zeigt er seit drei Jahren im | |
> Wolfcenter im niedersächsischen Dörverden. | |
Bild: Das Wichtigste ist die Ängste ernst zu nehmen, sagt Frank Faß, der das … | |
taz: Herr Faß, wie sind Sie auf den Wolf gekommen? | |
Frank Faß: Sie meinen persönlich? | |
Ja. | |
Also, das war letztlich 2005, gemeinsam mit meiner Frau, bei einer | |
Rundreise mit dem Wohnmobil durch die kanadischen Rocky Mountains. Wir | |
waren uns vorher sicher gewesen: Wir werden Schwarzbären sehen, vielleicht | |
auch Braunbären und Elche. Aber wenn uns jemand vorher gesagt hätte, dass | |
wir auch Wölfe antreffen – da wäre ich doch skeptisch gewesen … | |
… und – Sie sind dann doch Wölfen begegnet? | |
Ja, mehrfach. Das hatten wir nicht erwartet. Und wie es halt so ist, dann | |
nimmt man den Fotoapparat und hat natürlich immer gerade das falsche | |
Objektiv drauf … | |
… und dann sind die Tiere weg. | |
Na, die Fotos sind halt nicht so toll geworden. Aber das Erlebnis war ja | |
viel wichtiger. Ich bin selbst gelernter Luft- und Raumfahrtingenieur, ich | |
bin es gewohnt, nüchterner zu denken, technikorientiert und in Prozessen. | |
Aber diese Begegnung – die hat uns vom Hocker gehauen. | |
Und deshalb halten Sie hier Wölfe in Gehegen? | |
Nein, so einfach war’s nicht. Allerdings haben wir danach ein kanadisches | |
Wolfcenter besucht. Wir wussten überhaupt nicht, was das ist. Und dort hat | |
uns dann eine Biologin direkt an einem Gehege eine halbe Stunde lang | |
erzählt, was Wölfe eigentlich sind – wie sie leben, wie sie sich verhalten. | |
Und: wo die Konflikte liegen. Das fanden wir großartig: Diese Offenheit, | |
diese Ehrlichkeit auch in oft so kontroversen Fragen – das hat uns | |
gefallen. | |
Und das wollten Sie nach Deutschland übertragen? | |
Ja, das war für uns der Auslöser – vor dem Hintergrund, dass der Wolf | |
damals begann, sich auch hier wieder auszubreiten. | |
Und die Ängste …? | |
Es sind nicht nur Ängste. Es gibt tatsächliche Konflikte, die man nicht als | |
irrational abtun sollte. Wir verstehen uns hier als Öffentlichkeitsarbeiter | |
für den Wolf – und sehen unsere Aufgabe darin, alle Seiten zusammen ins | |
Gespräch zu bringen, um aufzuklären – durch die Ausstellung, mit dem großen | |
Internationalen Wolfssymposion dieses Wochenende und indem wir die | |
Begegnung mit dem Wolf ermöglichen. Denn wir müssen in Deutschland erst | |
wieder lernen, mit dem Wolf zu leben, seit er vor 13 Jahren begonnen hat, | |
hier wieder heimisch zu werden. | |
Warum nicht vorher? | |
Das hat wohl mit dem Fall der Mauer zu tun … | |
… was ja auch noch mal rückblickend zeigt, wie abgeschottet die Blöcke | |
waren – denn normale Grenzen halten Wölfe ja nicht auf: Die wandern ja | |
teilweise bis Weißrussland … | |
… mitunter sogar noch darüber hinaus, ja. Sie haben völlig recht: Wölfe | |
orientieren sich nicht an Staats- , Landkreis- oder Bundeslandgrenzen. Das | |
hat in föderalen Staaten wie Deutschland ja durchaus auch einen Nachteil – | |
schließlich braucht dann jedes Bundesland, sobald die Wölfe dort gesichtet | |
werden, einen eigenen Plan fürs Wolfs-Management. | |
Wozu das? | |
Der Wolf steht unter dem höchstmöglichen Schutz, den eine Tierart bei uns | |
genießen kann. Also muss geklärt sein, wie mit den Konflikten umzugehen | |
ist, die er mit sich bringt. | |
Und das wären? | |
Es sind im Wesentlichen drei Konfliktkreise. Zunächst machen sich die | |
zweibeinigen Jäger Sorgen, zu denen ich auch selbst gehöre, weil er Rehe, | |
Hirsche und Wildschweine als Beute greift – also die Tiere, die als | |
Wildbret sehr begehrt sind. | |
Der Wolf als Konkurrent. | |
Genau. Das ist eine direkte Konkurrenz um Beute, und einige Jäger stört das | |
sehr. Der gravierendste Konfliktkreis ist aber die Landwirtschaft … | |
… also die Schäfer? | |
Genau. Da geht es um Schadensausgleichszahlungen und darum, wie sich Herden | |
wirksam schützen lassen. Außerdem gibt es noch den Bereich Rinder. | |
Sind die nicht zu groß? | |
Also, wenn Kälber alleine auf der Weide stehen, das ist nicht so ideal, | |
hinter einer Reihe Stromdraht. Für die Kälber reicht das, die laufen nicht | |
weg. | |
Und wenn der Wolf kommt? | |
Die könnten zumindest eine Beute sein. Solch einen Übergriff hatten wir in | |
den vergangenen 13 Jahren in Deutschland allerdings bisher nur ein Mal, von | |
einem zweiten Fall kursieren Gerüchte. | |
Aber das reicht ja, um die Diskussion in Gang zu bringen. | |
Ich bin gebürtiger Ostfriese, ich bin mit den schwarzbunten Tieren | |
aufgewachsen: Ich finde es sehr schwer vorstellbar, dass Wölfe sich da | |
rantrauen. Aber in Einzelfällen passiert es offenbar. In der Schweiz hat | |
vor einiger Zeit eine Wölfin zwei acht Monate alte Kühe alleine | |
runtergezogen. | |
Krass. | |
Das ist natürlich so nicht hinnehmbar. Und da sagen wir hier auch ganz | |
klar: Wölfe sind keine Kuscheltiere. Wer so im Geiste unterwegs ist, dem | |
sagen wir: Nein, die Vorstellung ist genauso falsch wie das andere Extrem, | |
zu fordern, diese Viecher auszurotten. Der Wolf ist letztlich eine | |
stinknormale Wildtierart. | |
Aber eine, die Angst macht? | |
Das ist genau der dritte Konfliktkreis: die eigene Sicherheit. Die Frage | |
stellen sich viele, ob wir noch ungestört durch unsere Wälder spazieren | |
können, joggen, reiten und unsere Kinder draußen butschern lassen – oder | |
besteht die Gefahr, dass uns der Wolf angreift oder gar tötet. | |
Macht er aber nicht, weil er selbst Angst vor Menschen hat, oder? | |
Das glaube ich so nicht. Er ist einfach nicht interessiert am Menschen. Er | |
will keinen Kontakt, und er wird im Grunde nicht für den Menschen | |
gefährlich, außer, wenn Tollwut im Spiel ist, die man in Westeuropa seit | |
2006 nicht mehr festgestellt hat … | |
Also eine Tollwutinfektion wäre die Voraussetzung …? | |
Bei fast allen bestätigten Übergriffen von Wölfen auf Menschen war Tollwut | |
im Spiel, oder es hatte vorher menschliches Fehlverhalten gegeben. | |
Welcher Art? | |
Vor allem, dass die Tiere angefüttert wurden, das erhöht das Risiko. Es | |
gibt noch eine sehr dichte Region in Indien, in der Wölfe angeblich des | |
öfteren Kinder töten, dort scheinen aber sehr besondere Umstände | |
vorzuliegen. Aus den westlichen Ländern kenne ich nur einen bestätigten | |
Fall, wo solche Gründe ausgeschlossen werden können – von einer | |
[1][Joggerin in Alaska]. Die war 32 Jahre alt, ist morgens losgelaufen, mit | |
Walkman, durch ein Gebiet, wo bekanntermaßen Polarwölfe lebten – und nicht | |
mehr heimgekehrt. | |
Es kann also passieren? | |
Ja. Aber es ist so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto – und | |
selbstverständlich sind die Tiere, das halte ich in so einem Fall für die | |
einzige Lösung, auch abgeschossen worden. Das hilft den Angehörigen | |
natürlich nicht. Und das macht erst recht die junge Frau nicht wieder | |
lebendig. Aber wir fahren auch Auto – trotz vieler Millionen Verkehrstoter | |
im Jahr. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. | |
Mehr zum Thema lesen Sie in der taz.am Wochenende am Kiosk oder [2][hier] | |
27 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.adfg.alaska.gov/index.cfm?adfg=pressreleases.pr12062011 | |
[2] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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