# taz.de -- Die Wahrheit: Die entführte Tür | |
> Martin hatte uns versetzt. Wir waren im Wirtshaus verabredet, aber er | |
> tauchte nicht auf. Ein paar Tage später traf ich ihn zufällig in der | |
> Dubliner Innenstadt … | |
Martin hatte uns versetzt. Wir waren im Wirtshaus verabredet, aber er | |
tauchte nicht auf. Ein paar Tage später traf ich ihn zufällig in der | |
Dubliner Innenstadt und stellte ihn zur Rede. „Ich konnte nicht kommen, | |
weil ich meine Haustür nicht abschließen konnte“, entschuldigte er sich. | |
Hatte er den Schlüssel verloren? „Nein“, antwortete er ein wenig gereizt. | |
„Die Tür war weg.“ | |
In Anbetracht meines ratlosen Gesichts schob er eine Erklärung nach, die | |
aber nicht wirklich Licht in die Sache brachte: „Man hatte sie als Geisel | |
genommen.“ Entführungen kommen in Irland nicht sehr häufig vor, und von | |
einer gekidnappten Tür hatte ich erst recht noch nie gehört. | |
Martin ist Anfang 60 und arbeitet seit rund 40 Jahren als Lehrer. Er ist | |
alleinstehend und lebt in einem hübschen Reihenhaus im Norden der irischen | |
Hauptstadt. Weil das Haus ziemlich geräumig ist, vermietete er ein Zimmer | |
an seinen Bekannten Brian. Als Sozialist war es Martin aber unangenehm, | |
Miete zu kassieren, noch dazu von einem Genossen. So schlug er Brian vor, | |
kostenlos bei ihm zu wohnen und als Gegenleistung kleinere | |
Instandhaltungsarbeiten am Haus zu verrichten. | |
Zunächst sollte Brian das Wohnzimmer streichen. Danach kamen Flur und Küche | |
dran. Weil noch Farbe übrig war, schlug Martin vor, im Treppenhaus | |
weiterzumachen. Dafür reichte die Farbe nicht ganz. Brian kaufte einen | |
weiteren Eimer, aber nun war nach der Renovierung des Treppenhauses erneut | |
Farbe übrig. So machte er im Obergeschoss weiter. | |
Nachdem das ganze Haus frisch gestrichen war, fiel Martin ein, dass die | |
Elektrik einer Generalüberholung bedurfte. Brian wandte ein, dass man dazu | |
die blütenweißen Wände aufreißen müsste. Martin antwortete ungerührt: „… | |
hast doch noch einen halben Eimer Farbe übrig. Das reicht doch locker, um | |
nach dem Verputzen nochmal mit einem Pinsel drüber zu gehen.“ | |
Als Brian dann auch noch zu Klempnerarbeiten im Badezimmer herangezogen | |
werden sollte, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den beiden so | |
sehr, dass Brian schließlich auszog. Er hatte in den kurzen fünf Wochen des | |
Zusammenlebens Martins Haus praktisch generalüberholt und präsentierte ihm | |
zum Abschied eine Rechnung – abzüglich der ortsüblichen Miete. Martin hatte | |
jedoch nicht die Absicht, zu bezahlen. | |
Er war stolz darauf, in seinem gesamten Berufsleben noch nie zu spät zur | |
Arbeit gekommen zu sein. Jeden Morgen um Punkt acht verließ er das Haus. An | |
diesem Morgen war jedoch alles anders. Die Haustür war verschwunden. Um | |
drei Minuten nach acht klingelte das Telefon. Es war Brian, der die | |
Gewohnheiten seines Exvermieters genau kannte. „Ich will 600 Euro, die von | |
einem Mittelsmann deiner Wahl zu übergeben sind“, verlangte er. „Dann | |
bekommst du die Tür wieder.“ Brian hatte sie nachts um fünf entwendet. Da | |
er noch einen Haustürschlüssel hatte, war es ein Kinderspiel. | |
„Was sollte ich machen“, meinte Martin erbost. „Ich musste zahlen. Und ich | |
bin zum ersten Mal in meinem Leben zu spät zur Schule gekommen.“ Kurz | |
darauf ließ er sich pensionieren. | |
13 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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