| # taz.de -- Die Wahrheit: Wenn Gott lästert | |
| > Das exklusive Wahrheit-Interview: Auf Du und Du mit dem Allmächtigsten | |
| > aller Zeiten. | |
| Bild: Der Dingenskirchen aus Limburg kann sich schon mal warm anziehen. | |
| Gott: Huch! Wer sind Sie?! Wie kommen Sie hierher? | |
| taz: Guten Tag, mein Name ist Peter Köhler und … | |
| Nie gehört. Sie sehen seltsam aus! So was habe ich noch nie gesehen. Wer | |
| oder was sind Sie?! | |
| Äh … ich bin ein Mensch. | |
| Das sagt mir nichts. | |
| Ich bin von der Erde. | |
| Von welcher? | |
| Die Erde ist der dritte Planet von innen, der eine mittelgroße Sonne in | |
| einem Seitenarm der Milchstraße umkreist. | |
| Milchstraße? Milchstraße … ja, ich erinnere mich … die Erde gibt es noch?! | |
| Ja, noch. Lieber Gott, wie soll ich dich anreden? | |
| Du duzt mich?! | |
| Oh, Entschuldigung! Das ist bei uns auf der Erde so üblich. Man siezt sich | |
| zwar, aber Verwandte, Freunde, den Hund, den Goldhamster und … äh … es soll | |
| nicht wieder vorkommen, oh Allgewaltiger! Ich weiß, dass du mich wie eine | |
| räudige Stinklaus mit deinem riesigen … äh, ich wollte sagen, dass Sie … | |
| Ihr in Eurer unendlichen Erhabenheit mich räudige … | |
| So wichtig bist du mir nicht. | |
| Danke, oh Herr. Gelobt sei dein Name! Gepriesen sei deine … äh, Ihre … Eure | |
| … | |
| Jetzt halt mal die Luft an und lass das Süßholzraspeln. Das bringt bei mir | |
| nichts. | |
| Es ist aber ziemlich voll hier oben. Ist das da hinten nicht Jahwe? | |
| Ja. Mit dem er sich unterhält, ist übrigens sein bester Freund Baal. Da | |
| links kommt gerade Huitzilopochtli. | |
| Äh … | |
| Wisse, ich schuf in meiner Allmacht eine Menge Götter neben mir. Wär sonst | |
| ziemlich einsam hier! Aber dank Ahura Masda, Allah, Apollo und der ganzen | |
| Rasselbande ist es auszuhalten. | |
| Aber was werden die Juden, Christen, Moslems dazu sagen? | |
| Wer? | |
| Na, deine Anbeter! | |
| Anbeter? Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst. Sind das auch | |
| Menschen? Von der Milchstraßen-Erde? | |
| Aber ja, das sind deine Leute! Sie beten dich an, lobpreisen dich, besingen | |
| dich! | |
| So? Na, wenn’s ihnen Spaß macht! Mir ist es schnurz. Ich höre seit Langem | |
| nicht mehr hin, wenn irgendjemand in einem dieser vielen Universen bei mir | |
| anruft. Diese Nervensägen sollen mich in Ruhe lassen. | |
| Aber die Namen sagen dir schon was? Juden, Christen, Moslems? | |
| Namen habe ich in 15 Milliarden Jahren viele gehört. Wie gesagt, darum | |
| kümmere ich mich seit einer Ewigkeit nicht mehr. | |
| Aber die Fatwas, Enzykliken und so weiter? | |
| Die was?! | |
| Nein, Fatwas! So Vorschriften, Richtlinien und Strafen, ja sogar | |
| Mordaufrufe, die in deinem Namen … | |
| In meinem Namen?! Das ist ja Gotteslästerung! | |
| Wir nennen es Religion. | |
| Religion, was ist das jetzt wieder? Ich jedenfalls habe keine. | |
| Oh. Bei uns auf der Erde gibt es sogar Leute, die alle umbringen wollen, | |
| die keine oder eine andere Religion haben! | |
| Heiliges Kanonenrohr! Und diese Arschlöcher berufen sich auf mich? Für was | |
| halten die mich?! (Gott greift in die Luft, holt einen kleinen blauen | |
| Planeten hervor und zerknüllt ihn.) | |
| Ach du liebes Herrgottle von Biberach! | |
| War nur Spaß! (Gott entfaltet die Erde wieder und schnippt sie zurück.) Ist | |
| alles heil geblieben. Niemand hat was gemerkt. Es ist mir doch piepegal, | |
| was ihr treibt! | |
| Puh! Aber vielleicht kannst du trotzdem wieder mal über die Erde wandeln | |
| und wie Jesus die Menschen lehren, dass … | |
| Wie wer? | |
| Na, Jesus! Dein Sohn! | |
| Ach der. Ich könnte zur Abwechslung auch mal meinen Vater oder meine | |
| Großtante dritten Grades schicken. | |
| Du hast eine Großtante?! | |
| So allmächtig, wie ich bin, kann ich alles haben. | |
| Aber Tanten und Väter und wer weiß, was noch … das geht über meinen | |
| Horizont. | |
| Na und? Merk dir eins: Ich bin keinen Bedingungen unterworfen, und selbst | |
| Paradoxien haben für mich keine Bedeutung. Was ihr Menschlein euch denkt, | |
| spielt keine Rolle. Einem Allmächtigen ist nichts unmöglich! Schreibt also | |
| eure Beschränktheit nicht mir zu. | |
| Ja, ja, schon klar … Aber das alles ist für die Leute viel zu schwierig. | |
| Sie glauben lieber, dass … | |
| Man soll nicht alles glauben, was einem erzählt wird. | |
| Immerhin sind wir die Einzigen auf der Erde, die an dich glauben. | |
| Müsst ihr nicht. Was versprecht ihr euch davon? | |
| Na ja, dass wir nach dem Tod gemütlich weiterleben. | |
| Was habe ich damit zu tun? | |
| Allmächt! Vielleicht könntest du trotzdem, aus purer Freundlichkeit … | |
| Könnte ich. Und ich kann noch viel mehr. Zum Beispiel kann ich, derart | |
| allmächtig, wie ich bin, meine Allmacht auch mal aufgeben, weil mir das so | |
| langsam auf den Keks geht. Und überhaupt Schluss machen. Pass mal auf! | |
| (Abrupt endet das Gespräch, und es weiß immer noch niemand: Ist Gott nun | |
| tot oder lebendig? War er allmächtig geblieben? Egal – es machte ja sowieso | |
| keinen Unterschied.) | |
| 22 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Köhler | |
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