# taz.de -- Berlins Antifa ALB wird 10: Alte Schule | |
> Anti-Nazi-Demos, 1. Mai: Die Antifaschistische Linke Berlin prägt die | |
> alternative Szene der Stadt. Heute feiert sie ihr Zehnjähriges. | |
Bild: Auch bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2007 war die ALB in vorderster… | |
Anna Laumeyer und Nick Reinhardt lassen sich auf das schwarze Ledersofa | |
fallen, im „Red Stuff“, dem selbsternannten „Antifa-Kaufhaus“. Das ist … | |
Wirklichkeit ein heller, aufgeräumter Ladenraum. Schwarze T-Shirts, | |
ordentlich aufgereiht, Pullover, Buttons und Stoffbeutel. Darauf: geballte | |
Fäuste und Antifa-Embleme, Slogans wie „Still not loving police“ oder | |
„Refugees welcome“. Laumeyer und Reinhardt schieben einen Flyer über den | |
Tisch: „10 Jahre ALB“, daneben eine vermummte Frau, „für immer Antifa.“ | |
Seit Jahren gehören der Endzwanziger mit dem tätowierten Arm und die etwa | |
Vierzigjährige, die Brille in die kurzen Haare geschoben, zur ALB, der | |
Antifaschistischen Linken Berlin. Der Laden, mitten in Kreuzberg in der | |
Waldemarstraße, gehört ihrer Gruppe. Nicht nur das zeigt, wie etabliert | |
diese heute ist. Die ALB ist die tonangebende Antifa der Stadt, auch | |
bundesweit einflussreich. Nicht zufällig führt die Webadresse | |
[1][www.antifa.de] direkt zur ALB. 1. Mai, Silvio-Meier-Demo, | |
Anti-Nazi-Blockaden: die Gruppe organisiert mit. Am Samstag nun wird das | |
Zehnjährige gefeiert. Natürlich auch das in Kreuzberg, im SO36. | |
Andere sehen weniger Grund zur Party. „Interne Zerwürfnisse“ attestierte | |
der Verfassungsschutz zuletzt der ALB: Die Gruppe habe an Einfluss | |
verloren. Und aus der autonomen Szene kam am 1. Mai die Kritik, dass dieser | |
alljährliche Aufzug inzwischen zu beliebig, zu „versöhnlich“ sei. | |
Anna Laumeyer und Nick Reinhardt bringt all das nicht aus der Ruhe. Der | |
Verfassungsschutz? „Ein politisches Kampforgan“, sagt Laumeyer. „Wer ist | |
denn nach dem NSU in der Krise?“ Und die Kritiker von Seiten der Autonomen, | |
deren Forderung nach mehr Härte? „Viel Erfolg.“ Sie meint es nicht | |
ironisch. Die radikale Linke sei immer verschiedene Wege gegangen, sagt | |
Laumeyer. Sollen es die Militanten doch so versuchen. Die ALB versucht es | |
anders. | |
Das zeigt sich etwa daran, dass dieses Gespräch im „Red Stuff“ überhaupt | |
stattfindet. Schon als sich 1993 die ALB-Vorgängerin gründete, die | |
„Antifaschistische Aktion Berlin“ (AAB), wollte man die Vermummung lockern: | |
weg mit Dogmatiken, raus aus der Szene-Insel. Ansprechbar sein, auch für | |
die Presse. | |
Auch Laumeyer und Reinhardt geben heute Auskunft über sich. Beide tragen | |
locker Jeans und Sneakers. Psychologin sei sie, sagt Laumeyer, mit Anfang | |
vierzig eine der Gruppenältesten und über die klassisch autonome Szene zur | |
Antifa gekommen. Reinhardt ist Soziologiestudent, Hohenschönhausener. Als | |
junger Skater wurde er dort von Nazis verprügelt, ging zur lokalen Antifa, | |
vor vier Jahren zur ALB. Nur ihre wahren Namen nennen beide nicht. Soviel | |
alte Schule ist dann doch. | |
Es waren Zugezogene, die die AAB damals gründeten. Eine davon kam eigens | |
dafür aus NRW: Anna Laumeyer. „Berlin war antifa-mäßig vorher Brachland.“ | |
Die Gruppe hatte bald 80 Mitglieder, prägte die linken Großevents und den | |
1. Mai. Plötzlich beschallten Trucks statt kleiner Lautis die Demos, man | |
durfte tanzen. „Pop-Antifa“, nannten das einige. Viele meinten es als | |
Vorwurf. | |
Laumeyer und Reinhardt stört der Begriff nicht. „Wir wollen ja | |
gesamtgesellschaftlich etwas erreichen“, sagt Reinhardt. Dieser Anschluss | |
werde bewusst gesucht. Mit den Bündnissen verknüpfen sich auch die größten | |
Erfolge der ALB. Zwei Jahre saß Laumeyer im Vorbereitungskreis gegen den | |
G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Am Ende stand eines der größten | |
Protestereignisse der jüngsten Zeit. In Dresden war man dabei, bei den | |
erfolgreichen Massenblockaden gegen die alljährlichen Nazi-Aufmärsche. Und | |
zuletzt in Frankfurt/Main, bei „Blockupy“, wo Tausende gegen die | |
europäische Krisen- und Bankenpolitik demonstrierten. | |
Mit Gewerkschaftern saßen die ALBler an einem Tisch, mit Jusos und Kirchen. | |
Es ist diese Kooperation, die den Verfassungsschutz beunruhigt: Ein | |
Scharnier entstehe zwischen „gewaltbereiten“ und „gemäßigten“ Linken,… | |
der Geheimdienst. Genau dieses Scharnier, sagt Reinhardt, sei entscheidend. | |
„Gerade Dresden hat gezeigt, das dann was geht.“ | |
Die Frage, wie weit sich die Gruppe öffnen sollte, ist der Grund, warum die | |
ALB heute erst ihr Zehnjähriges feiert. 2003 hatte sich die Vorgängerin AAB | |
gespalten. Es war das Jahr des Irakkrieges – zu „aktionistisch“, zu | |
„inhaltlich leer“ sei die Gruppe geworden, kritisierte die eine Hälfte. Sie | |
schlug sich auf die Seite der Antideutschen, lehnte eine Irak-Invasion | |
nicht ab und gründete die KP, „Kritik und Praxis“, die sich später weiter | |
fragmentierte. Die andere Hälfte blieb bei der Kriegsablehnung, verteidigte | |
auch die Praxisarbeit. Sie wurde, vor zehn Jahren, zur ALB. | |
„Die Spaltung war richtig“, sagt Laumeyer heute. „Das hat das gegenseitige | |
Totgenerve gelöst und gab beiden Strömungen Raum zum Entfalten.“ Warum sie | |
heute, nach zwanzig Jahren, noch dabei ist? „Weil mich immer noch Sachen | |
aufregen.“ Gerade der NSU-Komplex. Noch in den Neunzigern habe sie in | |
Thüringen gegen den dortigen rechtsextremen „Heimatschutz“ demonstriert, | |
erzählt Laumeyer, wurde von der Polizei „zwei Tage in den Bau gesteckt“. | |
Heute weiß man, dass die Kameradschaft Ursprung der Terrorzelle war. „Die | |
Geheimdienste“, sagt Laumeyer, „hatten einen Kokon um die Gruppe gebildet.�… | |
Anderweitig organisieren, parteilich gar, wollen sich Laumeyer und | |
Reinhardt nicht: „Zu öde. Unsere Kritik ist fundamentaler.“ Dagegen steht | |
auch ihr Verhältnis zur Militanz. Wo sie selbst stehen, wenn auf Demos | |
Steine fliegen, sagen sie nicht. „Die Gesellschaft ist nicht gewaltfrei“, | |
sagt Laumeyer aber. „Und soziale Umbrüche gänzlich ohne Militanz hat es | |
noch nie gegeben.“ | |
Trotzdem: Im autonomen Spektrum gehört die ALB zu den Moderaten, zu den | |
bündnisorientierten „Interventionistischen Linken“. Deren Mittel sind | |
Großdemos und Sitzblockaden, Polizeiketten werden „durchflossen“. Als am 1. | |
Mai Neonazis in Schöneweide marschierten, kettete sich ein ALBler an eine | |
Steinpyramide auf der Route. „Keine Eskalation“, lautet der Aktionskonsens. | |
Wohl aber breiter ziviler Ungehorsam. | |
Es ist dieser Weg, den die ALB künftig verstärkt gehen will. Auch weil die | |
große Hochphase eben doch vorbei ist, rund 40 Mitglieder bleiben heute. | |
Eine Krise ihrer Gruppe weisen Reinhardt und Laumeyer dennoch zurück. Sehr | |
wohl aber sprechen sie von einem „Transformationsprozess“. Mehr bundesweite | |
Vernetzung, mehr die großen Probleme angehen, mehr Protest gegen die | |
europäische Sparpolitik. | |
Parallel demonstrierten Laumeyer und Reinhardt zuletzt in Hellersdorf gegen | |
die NPD, schoben Nachtwachen im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz. | |
Demnächst geht’s wieder mit der Silvio-Meier-Demo auf die Straße. Und | |
Samstag wird gefeiert. Sage niemand, es gebe nach zehn Jahren nicht mehr | |
genug zu tun. | |
2 Nov 2013 | |
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[1] http://www.antifa.de | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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