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# taz.de -- Prostitutionsdebatte in Frankreich: 343 selbst ernannte Machos
> Eine sozialistische Abgeordnete will 3.000 Euro Bußgeld für Freier. Das
> Parlament berät darüber, Bordellkunden laufen derweil Sturm.
Bild: Wer in Frankreich Prostituierte besucht, könnte künftig dafür bestraft…
PARIS taz | Wer in Frankreich Prostituierte besucht, könnte künftig dafür
bestraft werden – falls Maud Olivier Erfolg hat. Die sozialistische
Abgeordnete hat Mitte Oktober eine Gesetzesvorlage eingereicht, derzufolge
bezahlter Sex für die Freier zu einem Delikt wird, auf dem eine Geldbuße
von 1.500 Euro stehen kann. Im Wiederholungsfall könnte sich die Strafe
verdoppeln.
Alternativ könnte sich der von der Polizei in flagranti ertappte Freier bei
einem – von sachkundigen Hilfsvereinen organisierten – Kurs über die
Realitäten und Hintergründe der Prostitution informieren lassen, heißt es
in dem Gesetzesentwurf. Das Ziel dieser Belehrung: Die Kunden sollen sich
darüber klar werden, dass nur sehr wenige das „Gewerbe“ aus freien Stücken
ausüben und dass viele Prostituierte Opfer von Menschenhandel und
Erpressung sind.
Laut einer Umfrage von Le Parisien würden 73 Prozent der Franzosen eine
solche erzieherischen Maßnahme im Kampf gegen die Prostitution bevorzugen.
Frankreichs Nationalversammlung soll die Vorlage noch in diesem Monat
debattieren. Unklar ist, ob sich die rot-grüne Regierungsmehrheit dafür
aussprechen wird.
## „Appell der 343 Schmutzfinken“
Die Freier nach schwedischem Vorbild zu bestrafen war mehrfach in den
letzten Jahren erwogen worden. In Frankreich ist Prostitution selber weder
legal noch illegal. Strafrechtlich verfolgt wird jedoch die Zuhälterei.
Darum wurden die Bordelle nach dem Zweiten Weltkrieg geschlossen.
2003 setzte der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy ein Gesetz durch,
das auch eine „passive“ Kundenwerbung (mit auffälliger Kleidung, Make-up
oder Verhalten) durch Straßenprostituierte strafbar machte. Die Bilanz war
negativ: Laut den Hilfsorganisationen wurden SexarbeiterInnen dadurch in
den Untergrund getrieben und vermehrt der Gewalt skrupelloser Freier und
Zuhälter ausgesetzt. Vergangene Woche hat der Senat dieses kontraproduktive
Gesetz aufgehoben.
Der jüngste Vorstoß der sozialistischen Abgeordneten Olivier zur Bestrafung
der Freier hat eine Grundsatzdebatte ausgelöst. Angeheizt werden dürfte sie
durch einen „Appell der 343 Schmutzfinken“. Die Unterzeichner dieses
Aufrufs outen sich als stolze Konsumenten der Prostitution, die nicht
wollen, dass bezahlter Sex in irgendeiner Weise aus moralischen
Überlegungen heraus geächtet wird. Sie betrachten sich als Verteidiger der
sexuellen Freiheit und warnen, nach der Prostitution würde von dieser
„Tugendliga“ als Nächstes auch Pornos verboten.
Publiziert wird der umstrittene Appell am kommenden Donnerstag im Magazin
Causeur („Schwätzer“). Bereits jetzt werden der Schriftsteller Frédéric
Beigbeder, der Humorist Nicolas Bedos oder der Publizist Éric Zemmour als
Autoren des erst auszugsweise bekannten Texts als Machos angeprangert – was
sie sich wegen ihres bewusst deplatzierten Humors selber zuzuschreiben
haben.
## „Manifest der 343 Schlampen“
Ihr Slogan „Touche pas à ma pute“ („Lass mir meine Hure“) ist eine
Abwandlung des bekannten Antirassismusspruchs „Touche pas à mon pote“
(„Lass meinen Kumpel in Ruhe“). Zudem versuchen die Autoren auch eine
völlig schräge Analogie herzustellen zu einem 1971 von Simone de Beauvoir
verfassten „Manifest der 343 Schlampen“, mit dem sich prominente
Französinnen öffentlich bezichtigt hatten, abgetrieben zu haben.
Das war damals ein entscheidender Beitrag, um den straflosen und
kostenlosen Schwangerschaftsabbruch in Frankreich durchzusetzen, und ist
für die feministische Bewegung geradezu ein Denkmal. Dass sich nun eine
Gruppe von Freiern dieses Vorbilds bedient, bringt verständlicherweise
nicht nur die Feministinnen in Rage. Mit Ironie antwortet Laurent Joffrin
vom Nouvel Observateur auf den Zynismus der Machos, „die nicht verstehen,
dass man sie mit so exotischen Vorstellungen belästigt wie Menschenrechte,
Würde der Frauen, Verbot von Menschenhandel und Kampf gegen
Mafiaorganisationen“.
„Das ist der letzte Aufschrei der Arrière-Garde“, meint zum Appell die
frühere Frauenministerin Yvette Rudy. Sie ist wie die meisten Feministinnen
in Frankreich dafür, den Freiern mit der Strafdrohung ihre Verantwortung
deutlich zu machen: „Bei der Prostitution geht’s um Geld. Wenn man die
Kunden vergrault, wird der Markt ausgetrocknet, und die Zuhälter gehen
anderswo hin.“
4 Nov 2013
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Prostitution
Schwerpunkt Frankreich
Zwangsprostitution
Francois Hollande
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Sexarbeit
Albert Camus
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