# taz.de -- Anschlag in der Nacht des 9. November: Pinneberger Synagoge angegri… | |
> Der Sachschaden wird bald behoben sein. Schlimmer ist die symbolische und | |
> psychologische Wirkung der Tat am Jahrestag der Reichspogromnacht. | |
Bild: Heil geblieben: Das Porzellan der jüdischen Gemeinde Pinneberg. | |
HAMBURG taz | Der Tatzeitpunkt legt den Täterkreis nahe. Am 9. November | |
haben Unbekannte einen Anschlag auf die Synagoge in Pinneberg verübt. 75 | |
Jahre nach der Reichspogromnacht wurde die Eingangtür zu dem jüdischen | |
Gemeindezentrum beschädigt. „Der Täter oder die Täter dürften aus der | |
rechtsextremen Szene kommen“, vermutet Gemeindevorsteher Wolfgang Seibert. | |
Sie hätten an diesem besonderen Datum wohl zeigen wollen: „Sie sind noch | |
da, sie können es immer noch tun – uns angreifen, uns vernichten.“ | |
Am Sonntagmorgen gegen 8.30 Uhr hatte ein Gemeindemitglied den Schaden | |
entdeckt. Bei einem Kontrollgang am Abend zuvor gegen 19 Uhr sei nichts | |
aufgefallen. Dass die Scheiben nicht zerbarsten, dürfte daran gelegen | |
haben, dass sie aus Sicherheitsglas sind. Drei dicht beieinander liegende | |
Einschläge mit unterschiedlichen Tiefen finden sich im Glas am Eingang. | |
„Mit einem spitzen Hammer könnte jemand den Schaden verübt haben“, sagt | |
Seibert. Von einem Einbruchsversuch gehe er nicht aus. Denn Einbrecher | |
würden nicht versuchen, an der Vorderfront, sondern übers Hinterhaus in das | |
Gebäude einzudringen. | |
Am Sonntag hat die Abteilung Staatsschutz der Polizei die Ermittlungen | |
aufgenommen. Am Clara-Bartram-Weg sicherten die Beamten Spuren. | |
Patronenhülsen, die auf Schüsse hinweisen könnten, fanden sie nicht. Ob die | |
Tat wirklich in der Nacht vom 9. auf den 10. November stattfand, werde noch | |
überprüft, sagt Sandra Mohr, Pressesprecherin der Polizeidirektion Bad | |
Segeberg. Sicher sei das bisher nicht, sagt Mohr. Von einem Anschlag möchte | |
die Pressesprecherin nicht sprechen. „Es liegt eine Sachbeschädigung vor“, | |
betont sie gegenüber der taz. | |
Eine erste Schätzung eines Architekten gehe von Reparaturkosten von bis zu | |
1.000 Euro aus, sagt Seibert. Doch der materielle Schaden sei bloß das | |
eine. Viel verheerender sei die symbolische Wirkung, sagt der 66-Jährige, | |
dessen Großeltern das Vernichtungslager Auschwitz überlebten. „Mir geht es | |
nicht gut“, sagt Seiber denn auch. Die 260 Mietglieder zählende Gemeinde, | |
die seit 2002 besteht, sei „geschockt“. | |
Das Datum für den Anschlag, da ist Seibert sich sicher, wurde bewusst | |
gewählt. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 klirrten in | |
Deutschland während der sogenannten „Reichskristallnacht“ die Scheiben von | |
jüdischen Geschäften. Die nationalsozialistische Regierung ließ Synagogen | |
und Bethäuser in Brand setzen – zum Teil mit Hilfe der Anwohner und unter | |
deren Applaus. Mehr als 400 jüdischen Menschen kam Studien zufolge in | |
dieser Nacht um. | |
Der Anschlag in Pinneberg ist nicht der einzige in jüngerer Zeit. 2008 | |
schleuderten Unbekannte einen Pflasterstein mit so großer Kraft gegen die | |
doppelt verglaste Scheibe des Betsaals, dass diese kaputt ging. Nach dem | |
Anschlag kamen Drohanrufe: An „Sieg Heil“ erinnert sich Seibert noch gut | |
und, dass es die Stimme eines „jungen Mannes“ war. | |
Seit Jahrzehnten bestehen in der schleswig-holsteinischen Stadt nahe | |
Hamburg rechtsextreme Strukturen in Gestalt von Parteien oder | |
Kameradschaften. Erst im April machte eine örtliche Antifa-Initiative | |
öffentlich, dass der NPD-Kreisverband West seinen „politischen Klönschnack�… | |
in der Gaststätte Rondo ausrichtet. Die Pächterin, die kein NPD-Mitglied | |
ist, behauptet mit der Partei keine Probleme gehabt zu haben, die | |
Mitglieder hätten sich immer „ordentlich benommen“. | |
Vor Ort agiert auch die „Jugend für Pinneberg“. Auf ihrer Webseite hetzt | |
ein „Hannibal“ über den Vorsitzenden der Gemeinde. Seibert kennt das. Bis | |
vor kurzen hatte er Personenschutz wegen Übergriffen von Rechtsextremen und | |
auch radikalen Islamisten. Einschüchtern lässt er sich aber nicht. „Man | |
muss den Rechtsextremen ihre Grenzen zeigen“, sagt Seibert. | |
12 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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