# taz.de -- Traditionsclub muss gehen: Tanzen für den Standort | |
> In Leipzig entsteht ein neues Wohngebiet rund um den Bayerischen Bahnhof. | |
> Mittendrin kämpft die Techno-Institution „Distillery“ um ihren Erhalt. | |
Bild: Für die Leipziger Techno-Szene sieht es düster aus. Getanzt wird trotzd… | |
Sphärische elektronische Klänge erfüllen das Gewölbe. Ein kurzer Break – | |
der nächste Track setzt mit hämmernden Bässen ein –, die Tanzenden pfeifen | |
und jubeln. Ein Uhr nachts beginnt im Leipziger Club Distillery gerade erst | |
die Party, aber die Stimmung ist schon gut. Am Rand der Tanzfläche stehen | |
die, die noch abwarten und mit den Füßen wippen, am langen Tresen werden | |
Drinks bestellt, und auf den Ledersofas am Rand unterhalten sich Pärchen. | |
Eine typische Clubszene, wie sie sich seit nunmehr 21 Jahren in der Tille, | |
wie der Club von seinen Gästen genannt wird, abspielt. | |
Erst im Oktober wurde drei Tage lang Jubiläum gefeiert und im September war | |
die Filmpremiere zur Club-Doku „Willkommen zuhause“. Doch über die Zukunft | |
der Distillery wird derzeit viel gemutmaßt. Seit auf dem Gelände des | |
Bayerischen Bahnhofs Umbauten begonnen haben, heißt es immer wieder, am | |
jetzigen Standort könne der Club nicht bleiben. Erst kam der City-Tunnel, | |
dann wurde aus der Sackgasse neben dem Club eine große Verbindungsstraße. | |
Nun soll ein neues Wohnviertel auf dem Gelände entstehen. Leipzig wächst | |
und somit bleibt auch Gentrifizierung nicht aus. Aus der einstigen | |
Kuschelmetropole wurde Hypezig, seit die New York Times die Stadt zu den | |
Top Ten der Places to Go zählte. | |
Steffen Kache, Betreiber und letzter verbliebener Mitbegründer der | |
Distillery, erscheint in einem Café in der Nähe. Er sieht frisch und erholt | |
aus, obwohl er wie so oft die Schicht der Afterhour ab sechs Uhr bis weit | |
in den Vormittag übernommen hat. Dass er im Laden vor allem arbeitet und | |
weniger feiert, zahlt sich aus. Kache erzählt, dass die Unsicherheit um den | |
Standort 2011 anfing, als die Stadt einen Wettbewerb ausschrieb, was auf | |
dem etwa 36 Hektar großen Areal entstehen soll. | |
Gewonnen hat damals das Projekt einer Berliner Firma, die ein Wohngebiet | |
mit Park auf dem jetzigen Clubgelände vorsah. Seither sei sein Team | |
regelmäßig mit der Stadt in Kontakt, nahm an Bürgerforen teil, auf denen | |
die Bebauungspläne vorgestellt wurden. Es habe bisher nie eine konkrete | |
Entscheidung gegen den Club gegeben, sagt Steffen Kache. „Aber es kommt | |
schon das Gefühl auf, dass die Stadt den Standpunkt vertritt, dass wir | |
wegmüssen.“ | |
## Demonstration wird zum Open-Air | |
Angebote für alternative Locations wurden gemacht. Zwei seien finanziell | |
nicht tragbar und das dritte Gebäude befände sich in einem Viertel, in dem | |
die Clubs sowieso schon mit Verdrängungsproblemen zu kämpfen hätten. Im | |
Süden hat sich die Distillery über Jahre etabliert. | |
Jeden Sommer schließt sie für einige Wochen, in denen umgestaltet wird. | |
Seit letztem Sommer gibt es etwa kleine Fensterchen im Mauerwerk, die mit | |
wechselnder Deko bestückt werden. In einem stehen Legofiguren, die ein | |
Schild hochhalten. „Save the Distillery“ steht darauf. Eine Anspielung auf | |
die Demonstration, die im September stattfand. Eigentlich mehr ein großes | |
Open Air, bei dem rund 1.500 Menschen bei Techno-Musik für den Erhalt am | |
Standort tanzten. | |
Steffen Kache, selbst Grünen-Mitglied, freut sich, dass auch andere | |
Politiker anwesend waren. So zum Beispiel Wolfgang Tiefensee und Monika | |
Lazar. Gemeinsam mit weiteren Leipziger Bundestagsmitgliedern verfassten | |
sie einen Brief an die Deutsche Bahn AG, der zu der Zeit das Gelände | |
gehörte. Man solle an der Distillery festhalten, unabhängig von | |
Entscheidungen der Kommune. Leipzig müsse sich ebenso bekennen „im Sinne | |
ihres Charakters als Kulturhauptstadt“. | |
## Unterstützer aus ganz Deutschland | |
Eine Petition, die mehr als 10.000 Menschen unterschrieben haben, soll noch | |
überreicht werden. Nicht nur aus Leipzig und Umgebung kommt Solidarität. | |
Viele Unterzeichner leben in Berlin, Hamburg, München. Um Größen der | |
Technoszene zu erleben, reist man inzwischen auch nach Leipzig. „Das ist | |
hier eine Mischung aus Provinz und Weltstadt“, lacht Kache. | |
Ende Oktober dann die Überraschung: Die Bahn AG verkauft das Gelände. Der | |
neue Eigentümer, die Leipziger Stadtbau AG, will noch keine genauen Angaben | |
zum Verbleib des Clubs machen. „Es ist aber nicht so, dass wir übermorgen | |
kommen und das Gelände leer räumen“, sagt Torsten Woitag, Leiter der | |
Unternehmenskommunikation. | |
Erst mal müsse man alles richtig in Empfang nehmen und überlegen, was | |
konkret daraus gemacht werden könne. Das einstige Gleisgelände lag | |
jahrelang brach, es gebe Ruinen wie eine alte Gurkenfabrik und keinerlei | |
Infrastruktur. Außerdem will man die Interessen klären. Auch der | |
Exeigentümer hat mit dem City-Tunnel ein Objekt auf dem Gelände und somit | |
Mitspracherecht. | |
## „Keine Zukunft im Süden“ | |
So viel verrät Woitag dann doch: „Ein neuer Stadtteil wäre vielleicht zu | |
viel gesagt, aber neue Wohnquartiere werden lang- und mittelfristig nötig.“ | |
Die Distillery haben er und der Vorstand der Firma kurz nach dem Kauf für | |
erste Gespräche besucht. Zu Clubchef Kaches Vorschlag, Teile des Geländes | |
zu erwerben, könne man noch nichts sagen. Aber beide Seiten wollen im | |
Gespräch bleiben. „Davon verspreche ich mir fast mehr, als von | |
Verhandlungen mit der Stadt“, erklärt Kache. | |
Er scheint recht zu behalten, bereits einen Tag nach dem Treffen mit der | |
taz titelt die Leipziger Volkszeitung: „Gnadenfrist – Stadt Leipzig sieht | |
keine Zukunft für Club-Standort im Süden“. Das Kultur- und Baudezernat | |
schlägt vor, dem Club noch fünf Jahre Übergangszeit einzuräumen. Auf | |
Anfrage der taz teilt die Behörde mit, die Distillery solle nicht verbannt | |
werden, aber es solle „ein Standort gesucht werden, wo nicht so viele | |
Störungen ausgelöst werden“. Steffen Kache bleibt angesichts des ganzen | |
Wirbels ruhig. Auf die Frage, ob er nach all den Jahren im Nachtleben nun | |
vielleicht sogar ans Aufhören denkt, antwortet er: „Deshalb würde ich nicht | |
schließen. Ein Grund aufzuhören wäre vielleicht, wenn das Team | |
auseinanderfällt oder ich den Glauben in die Musik verliere.“ | |
18 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Katja Musafiri | |
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