Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Unternehmen und Menschenrechte: Weiche Norm, hartes Urteil
> Anwälte erstatten Anzeigen gegen deutsche Firmen, um sie international
> zur Einhaltung der Menschenrechte zu zwingen. Ein Beispiel: der Fall
> Lahmeyer.
Bild: Umstrittenes Projekt: der Merowe-Staudamm.
Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main kommt voran. Stellungnahmen von
vier Zeugen hat sie bereits eingeholt. Es geht um die Frage, ob
Beschäftigte des Ingenieurkonzerns Lahmeyer International GmbH aus Bad
Vilbel eine Mitverantwortung dafür tragen, dass rund 4.700 Bauernfamilien
im Sudan durch Hochwasser des Nils aus ihren Dörfern vertrieben wurden.
Zeugin Valerie Hänsch, Ethnologin der Universität Bayreuth, hat das Drama
2008 und 2009 persönlich vor Ort im Sudan verfolgt: „Die Familien vom Volk
der Manasir waren überrascht und schockiert, wie schnell das Wasser stieg.
Sie waren nicht über den Zeitpunkt des Aufstaus informiert.“ Der Vorwurf
gegen die Lahmeyer-Mitarbeiter lautet, dass sie den neuen Staudamm am Nil
geschlossen hätten, ohne die betroffene Bevölkerung angemessen vorzuwarnen.
Formuliert hat die Anzeige Miriam Saage-Maaß vom ECCHR (European Center for
Constitutional and Human Rights, [1][www.ecchr.de]), einer juristischen
Menschenrechtsorganisation in Berlin. Theoretisch sieht das Gesetz für
Vergehen wie „Herbeiführen einer Überschwemmung“, nachfolgender
Körperverletzung und anderem ein Strafmaß bis zu mehreren Jahren Gefängnis
vor.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehr als einem Jahr. Befragt wurden
Zeugen beider Seiten, zuletzt eine Mitarbeiterin der Vereinten Nationen,
die die deutsche Botschaft in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum 2007
auf die Gefahr des steigenden Wassers infolge des Baus des Merowe-Staudamms
unter Beteiligung von Lahmeyer hinwies.
## Deutsche Staatsanwälte haben wenig Interesse
Wie soll man genau recherchieren, was vor fünf Jahren in afrikanischen
Dörfern passierte? Unter anderem aus solchen Gründen haben deutsche
Staatsanwälte bisher wenig Interesse, komplizierte Fälle von
Unternehmenshandeln im Ausland zu untersuchen.
Das Verfahren gegen Lahmeyer ist deshalb eine Rarität. Aber es zeigt:
Deutsche Unternehmen müssen sich inzwischen mehr Gedanken darüber machen,
welche Auswirkungen ihr Handeln auf Menschen in anderen Teilen der Welt
hat. Das kann Baukonzerne ebenso betreffen wie beispielsweise C&A oder KiK,
die in asiatischen Zulieferfabriken Textilien fertigen lassen. Nicht
ausgeschlossen ist es, dass sich deutsche Gerichte bald auch mit der
Zuliefererfrage beschäftigen.
Recht ist einerseits etwas Statisches. In Gesetzen ist es
niedergeschrieben. Aber es wird auch interpretiert und entwickelt sich
weiter. AnwältInnen versuchen, neue Rechtsnormen zu etablieren oder
bestehende mit neuen Inhalten zu füllen. Im Fall Lahmeyer geht es um den
Begriff der „Sorgfaltspflicht des ordentlichen Kaufmanns“. Diesen gibt es
bereits im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, etwas abgewandelt auch im
Strafgesetzbuch. Aber Juristin Saage-Maaß versucht ihn aufzuladen.
Das geht so: Die Menschenrechtsanwälte schauen in Regelwerke wie die
„Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ der Vereinten Nationen.
Dort steht, dass auch Unternehmen Verantwortung dafür tragen, in ihrem
Einflussbereich die Menschenrechte zu respektieren. Aus diesen zwar
verbindlichen, aber international schwer durchzusetzenden „weichen“ Normen
versuchen die Juristen „harte“ nationale Normen zu schmieden. Den deutschen
Rechtsbegriff der „Sorgfaltspflicht“ interpretieren sie beispielsweise so,
dass er auch die Menschenrechte der Nilanwohner umfasst. Und dann erstatten
sie Anzeige.
Der Frankfurter Anwalt Eberhard Kempf, der einen der Lahmeyer-Mitarbeiter
vertritt, gab bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme ab. Das
Ingenieurunternehmen wies die Vorwürfe in früheren Gesprächen mit der taz
zurück.
## Sorgfaltspflicht stärken
Die Arbeit an konkreten Fällen ist das eine. Gleichzeitig versuchen die
Menschenrechtsanwälte, ihre Ideen dort zu verankern, wo die Gesetze gemacht
werden – in Parlament und Bundesregierung. Das war Thema bei einer Tagung
über „Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen“, die unter anderem ECCHR und
die Entwicklungsorganisation Südwind am Donnerstag in Berlin
veranstalteten.
Die Organisationen fordern von der Politik, das Prinzip der
Sorgfaltspflicht im deutschen Recht zu stärken und bessere Möglichkeiten
für Klagen von Betroffenen zu schaffen. Einstweilen sind oft Umwege
erforderlich. So kümmert sich Saage-Maaß auch um die Opfer eines
Fabrikbrandes in Pakistan im September 2012. Damals starben über 200
Arbeiterinnen, die unter anderem für den deutschen Textildiscounter KiK
arbeiteten. „Wir unterstützen das Ermittlungsverfahren in Pakistan“, sagt
Saage-Maaß, „die Rolle von KiK für den Brand sollte ermittelt werden“.
2 Dec 2013
## LINKS
[1] http://www.ecchr.de
## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Menschenrechte
Justiz
Merowe-Staudamm
Sudan
Merowe-Staudamm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Staudamm im Sudan: Als der Nil alles wegschwemmte
Beim Bau des Merowe-Staudamms im Sudan verloren Tausende ihre Häuser. Nun
wird gegen Mitarbeiter der Planungsfirma ermittelt.
Menschenrechtsverletzungen im Sudan: Staudammplaner mit Verantwortung
Das Unternehmen Lahmeyer soll Bauern im Sudan die Existenzgrundlage geraubt
haben. Nun ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft gegen die Firma.
Anzeige gegen Sudan-Staudammbauer: Dörfer ohne Warnung geflutet
Der deutsche Konzern Lahmeyer soll Bauern im Sudan von ihrem Land
vertrieben haben. Dörfer seien ohne Warnung geflutet worden. Die Firma
bestreitet die Vorwürfe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.