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# taz.de -- Kolumne Wütbürger: Ein dröhnendes Schweigen
> Wenn man nur genau genug hinhört, kann man jeden Menschen lieben lernen.
> Außer diese Typen mit gegeltem Haar und steifen Kragen.
Bild: Wie aus der Werbebroschüre einer Privatuni ...
Bei einem Vortrag über den Zauber von Geschichten habe ich von einem
Fernsehmoderator gehört, der stets das Zitat eines Sozialarbeiters bei sich
im Geldbeutel hatte: „Es gibt niemanden, den man nicht lernen kann zu
lieben, sobald man seine Geschichte gehört hat.“ Das ist deshalb so ein
kluger Satz, weil er einen ermuntert, genau hinzugucken und, mehr noch,
genau hinzuhören.
Ich musste daran denken, als ich eine Szene beobachtete, die mich wirklich
deprimierte. Ich stand an der Theke meiner Bar, als jemand den Raum betrat,
den ich schon öfter in dieser Gegend gesehen hatte. Es lässt sich nicht
genau sagen, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte.
Es war mehr eine ätherische Gestalt, deren Augenhöhlen sich tief in den
Schädel zurückgezogen hatten, mit Ohrringen, zerzaustem Haar und einer
Obdachlosenzeitschrift in der Hand. Man konnte leicht durch sie hindurch
sehen, wenn man keine Lust hatte, genau hinzugucken.
Mit einer Stimme, so sanft und leise, als stecke in jedem Satz die
Entschuldigung dafür, ausgesprochen worden zu sein, fragte sie uns, ob wir
eine Ausgabe kaufen wollten. Ich nahm ihr eine ab. Sie bedankte sich
ausnehmend höflich, wünschte einen schönen Abend und ging zur nächsten
Gruppe.
## Glitzerarmbänder bis zu den Achselhöhlen
Sie sahen aus wie aus der Werbebroschüre einer Privatuni. Die Männer mit
gegeltem Haar und Hemden mit steifen Kragen. Die Frau mit einem eng
anliegenden, wollenen Oberteil und Glitzerarmbändern, die beinahe bis zu
den Achselhöhlen reichten.
Es dauerte nur einen Augenblick, bis sie registrierten, worum es ging.
Wortlos drehten sie sich weg und ließen die Gestalt stehen wie einen
Barhocker. Sie hörten mit einer Kaltschnäuzigkeit weg, die einem noch in
fünf Metern Entfernung in den Ohren dröhnte. Am nächsten Morgen habe ich
deshalb das Zitat des Sozialarbeiters um einen Zusatz ergänzt: Und dann
gibt es die Arschlöcher, deren Geschichten einem auch einfach egal sein
können.
14 Dec 2013
## AUTOREN
Kai Schächtele
## TAGS
Engagement
Bar
Obdachlosigkeit
Spenden
Wut
Einzelhandel
Konsum
Frau
rosa
Wutbürger
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