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# taz.de -- Die Wahrheit: Kröte des Vertrauens
> Unterwegs auf der dunklen Seite des Geldes begegnet man den seltsamsten
> Finanzwesen – wie dem Wiedergänger von Jabba the Hutt.
Bild: Der Wiedergänger von Jabba the Hutt ist in einer ähnlich opaken Branche…
Lässig umkurvte Anikutten die Kuh, die sich mitten im tosenden Verkehr
niedergelassen hatte. Links ein Tuk-Tuk, rechts ein Toyota, vor uns ein
Tata-Laster mit Botschaft aus dem Jenseits. Was dem deutschen Lkw-Fahrer
das „Klaus Dieter“-Schild in der Windschutzscheibe, ist seinem indischen
Kollegen die frohe Botschaft: "Jesus loves you", brüllte es schockfarben
vom Heck – darunter stand der Befehl: „Blow Horn!“ Und unser Fahrer nutzte
seine Hupe, um zu überholen. Anikutten kannte sämtliche hundert Arten des
Hupens.
Bevor wir in der Stadt einkaufen gingen, müssten wir allerdings in eine
Bank, um Geld zu wechseln, rief ich ihm durch den Lärm zu, und er griff
sofort zu seinem Mobiltelefon. „Okay“, erklärte er nach einem kurzen
Gespräch und hob den Daumen mit dem säuberlich gefeilten, fünf Zentimeter
langen Nagel. Ob dieser monumentale Daumennagel etwas zu bedeuten habe,
hatte ich ihn neulich gefragt, und er zwirbelte verlegen seinen akkurat
gestutzten Schnurrbart: „Only Fashion.“
Anikutten wich einem mit allerlei Paketen schwer beladenen Herrenrad aus,
das uns auf der falschen Straßenseite entgegenkam, als sein Handy
klingelte. „How much?“, fragte Annikuten in den Rückspiegel, und ich
begriff nicht sogleich, nannte ihm dann aber eine nicht gerade kleine
Summe. Für einen Moment blitzten seine Augen im Spiegel auf. Ich wusste,
dass es für ihn mindestens zwei Jahresgehälter waren. „Okay“, sagte er
wieder und bog wenig später von der Hauptstraße ab.
„Ein gutes Viertel“, stellte ich angesichts der dicht gedrängten Villen
fest. Und er nickte: „Das Viertel der Muslime.“ Vor einem schmiedeeisernen
Tor, das seltsam schief in den Angeln hing, hielt der Wagen. Nach einer
Bank sah das nicht aus. Anikutten führte uns in den Hof, vorbei an einer
dicken schwarzen Katze, die im Weg lag und keinerlei Anstalten machte, sich
zu rühren. Misstrauisch beäugte uns ein finster dreinblickender Mann von
etwa dreißig Jahren, der an einem japanischen Oberklassewagen lehnte und
uns ins Haus folgte.
Auf einer Couch im Foyer saß sein vermutlich jüngerer Bruder und grüßte
Anikutten beiläufig. In einem Rollwägelchen aus buntem Plastik machte ein
sagenhaft pummeliges Kind seine ersten Gehversuche und eierte uns hinterher
in einen kleinen, düsteren Raum. Dort thronte die Geldkröte. Ein Mann wie
ein Berg puren Fetts. Die Reinkarnation von Jabba the Hutt, dem fleischigen
Reptil aus „Star Wars“, lebendig geworden in der Gestalt eines
Geldwechslers.
## „2.000 Euros?“
Ob wir hier richtig seien, fragte ich Anikutten, und er lächelte nur
aufmunternd: „Money change.“ Links stand ein Kleiderschrank, rechts ein
Bett, über das eine Tagesdecke geworfen war. Auf der Decke lagen fünf
Mobiltelefone und drei Taschenrechner. An der hinteren Wand war eine Tür
halb geöffnet, aus der jetzt eine verschleierte Frau unbestimmbaren Alters
trat.
Vor uns befand sich ein Couchtischchen, dahinter hockte auf einem
zerschlissenen Sessel ein älterer Mann mit nacktem Oberkörper, die drallen
Füße auf das Bett geschlenzt. Seine Brust und die Schultern waren über und
über bewachsen mit dickichtdichtem weißen Haar. Sein blanker Wanst quoll
aus einem beigefarbenen Lunghi hervor, dem unterhosenartigen Hüfttuch, das
Männer in dieser tropischen Gegend der Welt traditionell trugen.
Der Krötenmann sprach kein Wort, jedenfalls keines mit uns. Anikutten warf
er ein paar Brocken auf Malayalam hin, ohne die wachsamen Augen von uns zu
lassen. Dann angelte er sich eins seiner Telefone und führte ein Gespräch
oder tat zumindest so. Als er endlich auflegte, gab er der Verschleierten
ein Zeichen. Sie verschwand durch die Tür in den Raum hinter ihm, kehrte
aber sogleich zurück - mit einem massiven Bündel Banknoten.
„2.000 Euros?“, fragte mich der Herr des Baren plötzlich, und ich legte ihm
vier Fünfhunderter hin. Er griff in den Kleiderschrank neben sich, nahm ein
weiteres pralles Bündel Rupien heraus und warf beide Packen auf das
Tischchen. Mit einem Wink gestattete er mir großzügig, den Betrag zu
überprüfen: „Count it!“
## „Folge der Spur des Geldes“
Mühsam bemächtigte ich mich des Batzens und versuchte, möglichst
gleichgültig den Daumen durch die Scheine gleiten zu lassen. Zählen konnte
ich sie nicht, dafür waren meine Gedanken längst woanders. Das war kein
normaler Geldwechsler. Bei der genannten Summe hatte er nicht einmal mit
der Wimper gezuckt. Kröte war noch ganz andere Zahlen gewöhnt.
Er war hundertprozentig ein Hawala-Händler. Einer, der auf bloßes Vertrauen
hin jederzeit an jeden Punkt der Erde eine beliebige Summe Geldes
transferieren konnte. Was spätestens seit dem Elftenseptember in fast allen
Staaten verboten war, weil auch Terroristen die undurchsichtigen Kanäle
nutzten. „Folge der Spur des Geldes“ war zum beliebtesten Satz jedes
Thrillers geworden.
Diese hässliche Geldkröte war das dunkle Gegenstück zu den ach so sauberen
Nadelstreifenwesen der westlichen Finanzwelt. Und doch spürte man, dass man
sich auf diesen nackten Fettberg eher verlassen konnte als auf all die wie
aus dem Ei gepellten Banker, die doch meist nur Betrüger waren, wie sich in
den letzten Jahren immer wieder aufs Neue herausstellte, wenn sie Zinsen
und Märkte manipulierten, Kunden und Partner verprellten, Behörden und
Staaten betrogen.
## „Den Beckenbauer gemacht“
Als Kind hatte ich das erste Mal einen Bankdirektor kennengelernt, der
einige Male bei uns zu Besuch war und nach dem dritten Altbier zu faseln
begann, er habe längst sein Scherflein ins trockene Ausland gebracht, für
die Zeiten, wenn sich der politische Wind drehen werde und sie, die
bedauernswerten Bankiers, verfolgt würden wie weiland die Juden.
Man hätte es schon damals ahnen können, dass mit den „Bankiers“, wie sie
sich noch vornehm französisch nannten, etwas nicht stimmte, spätestens
aber, als der feine Herr Sparkassendirektor, der das ganze Jahr über so
etepetete tat, bei einer Weihnachtsfeier ausgerechnet mit der Putzfrau
seiner Niederlassung sturztrunken im Gebüsch verschwand und am nächsten Tag
lauthals prahlte, dass er „den Beckenbauer gemacht habe“. Die Putzfrau
entließ er wenig später.
„Correct!“, sagte ich. Und auf dem Gesicht der Geldkröte schien sich der
Anflug eines Lächelns zu zeigen. "Das ist ein guter Kurs", fügte ich hinzu.
Er war tatsächlich besser als der Marktwert in einer Bank. Überraschend
bewegte sich der Dunkelmann samt Sessel auf mich zu und ergriff meine Hand.
„Where come from?“, fragte er. „German, man“, stammelte ich. Für einen
Moment lag eine einverständige Zufriedenheit in der Luft - wie immer, wenn
zwei Partner ein gutes Geschäft gemacht haben.
Vielleicht sollten sich die Banker unserer Breiten Jabba die Geldkröte als
leuchtendes Vorbild nehmen und sich nicht länger hinter Anzug und Krawatte
verschanzen, sondern in Unterhose und mit freiem Oberkörper unser Vertrauen
zurückgewinnen. Getreu der Bankwerbung: Vertrauen ist der Anfang von allem.
3 Jan 2014
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Banken
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Kunst
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Karikaturen
Schwerpunkt Syrien
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