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# taz.de -- Google, Facebook etc.: Unter Kontrolle
> Die Steuerung unserer Existenz durch die Giganten des Internets ist die
> logische Konsequenz eines Prozesses, der mit der Aufklärung begann. Doch
> wie können wir ihr entkommen?
Bild: Google-Land: An der Charleston Road in Mountain View, Kalifornien, liegt …
Kurz nach den Snowden-Enthüllungen tippte ein in Wisconsin lehrender
Philosoph, der [1][unter dem Namen NeinQuarterly] Berühmtheit auf Twitter
erlangt hat, lakonisch die Worte „Foucault, dude“ in sein Mobiltelefon. Der
französische Philosoph Michel Foucault hatte tatsächlich 1975 bereits alles
wesentlich gesagt, was man jetzt wissen musste, in seinem Buch „Überwachen
und Strafen“, ein Buch so schwarz, dass sich Célines
Menschheitsbeschimpfung „Reise ans Ende der Nacht“ dagegen wie ein
Sonntagsspaziergang ausnimmt.
Foucault analysiert, wie am Ende des 18. Jahrhunderts mit Beginn der
Moderne der Mensch neu erfunden und fabriziert wird: nicht etwa als der
Träger von gleichen Rechten, als Subjekt von Freiheit und Selbstbestimmung,
diese aufklärerischen Ideale seien nur Überbau, Formalien, Tand.
Entscheidend sei, „das Problem des Eintritts des Individuums (und nicht
mehr der Spezies) in das Feld des Wissens“. Entscheidend sei, dass durch
Aufzeichnungs- und Registrierungsverfahren, Überprüfungs- und
Überwachungsmechanismen das Individuum zum „berechenbaren Menschen“ werde,
erzeugt von einer „Mikrophysik der Macht“, die in ihrem disziplinarischen
und kontrollierenden Zugriff auf den Menschen das reibungslose
Funktionieren der Gesellschaft garantiere.
Dieses Konzept verfeinerte Foucault später in den Bänden „Geschichte der
Gouvernementalität“, und zeigt, dass die Macht, längst nicht mehr rein
staatlich gedacht, „in der Form und nach dem Muster der Ökonomie“ ausgeübt
werde. Der „kostspielige Machtaufwand“ der alten Souveräne, ihr
Strafspektakel würde ersetzt durch eine „Technologie der subtilen,
wirksamen und sparsamen Gewalten“. Am günstigsten ist es natürlich, wenn
die Überwachten und Kontrollierten die Überwachung und Kontrolle selbst
übernehmen. Foucault findet diese Idee in Benthams Panopticum verwirklicht,
jener Gefängnis-Architektur, in dem ein einziger Wärter aus seinem Turm
Einblick in jede Zelle eines den Turm umgebenden Gebäuderings hat.
„Derjenige“, so schildert Foucault den Panoptismus, der für ihn zum
Kennzeichen der Moderne wird, „welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und
dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich
selber aus.“
Foucault bestimmt den Panoptismus am Beispiel des Gefängnisses, der
Kaserne, der Schule, der Fabrik, erkennt aber auch seine Tendenz der
Deinstitutionalisierung: „Die massiven und kompakten Disziplinen lockern
sich zu weichen, geschmeidigen, anpassungsfähigen Kontrollverfahren auf“
(womit wir beim Punkt wären, an dem Gilles Deleuze sein berühmtes
„Postskriptum über die Kontrollgesellschaft“ einklinkt, ein schlagend
formulierter Essay, inhaltlich aber nur eine Fußnote zu Foucault). Diese
Verflüssigung von Überwachung und Kontrolle hat mittlerweile ihre
vorläufige Vollendung gefunden, und zwar durch die Technik. „Erst der
totale technische Raum wird eine totale Herrschaft ermöglichen“, so schrieb
es Ernst Jünger in seinem Buch „Der Arbeiter“. Heute heißt dieser Raum
„ubicomp“, ein Begriff, der die Ubiquität, die Allgegenwart von
computergestützter Technologie bezeichnet, etwa von Sensornetzen, deren
Knoten mittlerweile auf die Größe von Staubkörnern geschrumpft sind: smart
dust.
Dabei fühlt es sich gar nicht so unangenehm an im Raum totaler Herrschaft.
Wir werden nämlich nicht mit Gewalt hineingezerrt, sondern von einer
geradezu höflich auftretenden Macht in diesen Raum gebeten, von einer
Macht, sagt Foucault, die Anreize bietet – „verleitet, verführt,
erleichtert oder erschwert“. Keiner muss sich an die Computer-Welt
anschließen – aber der Anschluss bietet tausend Möglichkeiten und ohne ihn
geht kaum noch was. In diesem Raum totaler Herrschaft übernehmen wir also
die Aufgabe, derzeit ausgerüstet mit Smartphones und eingebunden in die
sogenannten sozialen Netzwerke, jeder den anderen und im gleichen Zug uns
selbst zu kontrollieren – und der Möglichkeit von Optimierung zu
unterwerfen.
Sobald ich etwas ins Netz stelle, stelle ich es einer Bewertung, Prüfung
und Beurteilung anheim, die meistens die binäre Struktur reproduzieren, auf
der die Digitalisierung beruht: hot or not, Daumen rauf, Daumen runter,
retweeten oder lassen, ein Vorgang, der anschließend beziffert wird und
sich auswerten lässt und zwar auf einer doppelten Ebene. Einmal ist es das
Individuum, was für jeden Tweet, jeden Post, jeden Kommentar durchs
Feedback eine Zensur erhält und damit nie der Schule entwächst, weil sie in
die Gesellschaft eingesickert ist. Zum anderen wird jede Information auch
von den Betreibern der sozialen Netzwerke selbst klassifiziert, berechnet,
verwertet. Big Data, das Rechnen mit dem gewaltigen Informationsmaterial
des Internets, schafft und zentriert ein Wissen über die Menschen, das sich
selbst wieder perfekt zur Lenkung und Steuerung des Menschen verwenden
lässt.
Man könnte das aufdröseln und von einer Kontrolle auf vier Ebenen sprechen.
Unterste Ebene: das Individuum kontrolliert sich selbst. Zweite Ebene: das
sich selbst kontrollierende Individuum kontrolliert andere Individuen.
Dritte Ebene: Die Technologie-Betreiber kontrollieren die sich gegenseitig
kontrollierenden Individuen. Da ist es fast schon egal, dass es noch eine
vierte Ebene gibt, einen Hyperüberwacher, die NSA, die Geheimdienste, die
alles, selbst noch die Betreiber und Besitzer technologischer Geräte und
Netze überwachen und kontrollieren.
Die oberen beiden Ebenen formen das, was man den „militärisch-industriellen
Komplex“ genannt hat. Griffiger könnte man sie in der Figur des
Großinquisitors zusammenfassen. Als Jesus, so geht bei Dostojewskij die
„Legende vom Großinquisitor", Jahrhunderte später zurück auf die Erde kehrt
um zu sehen, wie sein Werk gediehen ist, wird er vom Großinquisitor in den
Kerker geworfen und zum Scheiterhaufen verurteilt. Warum? Weil Jesus die
Menschen befreit hätte von Tradition, Regeln und Gesetz, weil er sie auf
eigene Beine gestellt habe. Die Menschen hätten aber nichts mit der
Freiheit anzufangen gewusst, sie hätten geführt und gelenkt werden wollen
und dazu habe man die Kirche gegründet, erläutert der Großinquisitor. Nun
herrsche die Kirche, und zwar mit der Dreifaltigkeit aus Wunder, Geheimnis
und Autorität.
Heute herrscht und lenkt mit dieser Dreieinigkeit der
militärisch-industrielle Komplex, unser Großinquisitor, und wieder wollen
offenbar eine Menge Leute überwacht und gelenkt werden. Das Wunder sind die
stets neuen technischen Erfindungen und Gadgets, die uns den Atem
verschlagen sollen. Das Geheimnis ist das Wissen des
militärisch-industriellen Komplexes über uns, das Wissen dessen, was wir
als nächstes wollen - und geheim ist auch, wie weit das Wissen dieses
Komplexes reicht, sowie was dieser Komplex eigentlich darstellt und wie er
funktioniert (nichts wissen wir über die Geheimdienste, so gut wie nichts
auch über Google oder Amazon, was uns nicht hindert, ihnen ständig zu
beichten). Die Autorität ist schließlich die Regel, die uns der
militärisch-industrielle Komplex gibt, implementiert in die technischen
Geräte, in das Wunder.
Wie lässt sich nun aus dieser Kirche austreten? Versuch einer Antwort:
erstens, indem wir uns von den technischen Wundern nicht mehr blenden
lassen und stattdessen etwas viel Wunderbarerem in unserem Leben Raum
geben: dem Unberechenbaren, der Kontingenz, dem Unverfügbaren. Zweitens,
indem wir selbst Geheimnisse kultivieren. Drittens, und dieses Dritte
enthält auf eine Weise die ersten beiden Punkte: indem wir die Autoren
unser selbst werden oder genauer gesagt, indem wir uns als rhetorische
Sprachfiguren entwerfen und begreifen.
Auch die computerisierte Welt wird uns als Sprachfigur entwerfen. Als
Figuren logischer, mathematischer Sprache, die der modernen Technik
innewohnt. Unsere Sprache wird dann vor allem ein Informationsträger sein,
ausgerichtet auf Eindeutigkeit und Entscheidbarkeit, gekennzeichnet von der
Eindimensionalität der Kanäle als der linearen Verbindung von A nach B, von
der Methode als dem „Weg des Nachgehens" (wie Hans-Georg Gadamer es
kritisch formulierte), oder drastischer formuliert: der Verfolgung.
Vielleicht ist es aber kein Zufall, dass gerade zur Zeit der ersten Blüte
der Kybernetik und ihrer Kontrollfantasien einer Verschaltung von Mensch
und Maschine, also in den 1950er- bis 1970er-Jahren, das ganze
Widerstandspotenzial der Sprache und des Textes voll entfaltet wird.
Der Literaturwissenschaftler Paul de Man etwa entdeckt in der Rhetorik „die
radikale Suspendierung der Logik", und preist sie dafür,
„schwindelerregende Möglichkeiten der referentiellen Verwirrung" zu
eröffnen - mit der, das wäre heute die Hoffnung, die computergestützten
Kontrollmechanismen nichts anzufangen wissen. Ironie, Witz, Allegorie,
Idiomatisierung: Sie alle unterlaufen den klar geregelten Code, sind in
ihrer Bedeutung unentscheidbar, entziehen sich, lassen etwas zur Sprache
kommen, das sich nicht der mathematischen Logik fügt, verweisen auf
Unverfügbarkeit und Unfug. Rhetorik ist in diesem Sinne nur ein anderer
Namen für eine unentscheidbare, irreduzible ästhetische Vieldeutigkeit, ein
anderer Name für Unlesbarkeit, für Unverständlichkeit - und etwas völlig
anderes als die den Code nicht hinterfragende Kryptik. „Käme ein Mensch zur
Welt, heute ... er dürfte, spräche er von dieser Zeit, er dürfte nur lallen
und lallen" (Paul Celan. Wieso liest den eigentlich keiner mehr, wie
kürzlich irgendwo zu lesen stand?!).
Das Ziel wäre demnach klar, der Schwindel, der Rausch, das Lallen, die
Poesie, die Freiheit der Rhetorik. Unklar ist nur, ob dieses Ziel diesseits
oder jenseits der Technik liegt. Heidegger setzte auf das Jenseits, er
hoffte, dass sich mithilfe der Technik der Technik entkommen ließe, dass
die Technik gewissermaßen dichterisch werden könne - wohl auf die Gefahr
hin, dass der Mensch, diese „Gestalt zwischen zwei Seinsweisen der
Sprache", wie sich Foucault ausdrückte, integriert würde in die Maschine,
geschluckt würde von der Sprache der Mathematik, verschwinden würde wie „am
Meeresufer ein Gesicht im Sand".
Der Hamburger Autor Hans-Christian Dany hingegen hat in seinem letzten
Buch, einer brillanten und leichthändig geschriebenen Verkoppelung der
Einsichten Foucaults mit der Geschichte der Kybernetik, für das Diesseits
plädiert, für unsere Abkoppelung von den Geräten, für unseren Austritt aus
der digitalen Umwelt. „Morgen werde ich Idiot" lautet der Titel des Buches
in programmatischer Ankündigung. Und wäre ein Smartphone zur Hand, so hätte
ich jetzt erstmals in meinem Leben getwittert, ein paar Zeichen nur: „Yes,
baby! #Idiot". Was immer das heißen soll.
Mehr zum Schwerpunkt "Kontrolle" lesen Sie in der taz. am Wochenende oder
[2][hier:]
11 Jan 2014
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[1] http://twitter.com/NeinQuarterly
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Maximilian Probst
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