# taz.de -- Zweiter Fankongress in Berlin: Wenn die Kurve mitdiskutiert | |
> Die Ultras erkennen zunehmend, dass man kooperieren muss. Beim zweiten | |
> Fankongress arbeiten sie mit anderen Gruppen zusammen. | |
Bild: Düsseldorfer Fans zünden eine Rauchbombe beim Spiel gegen den 1. FC Kö… | |
BERLIN taz | Auf den ersten Blick mutet es wie ein radikaldemokratisches | |
Experiment an: Wer will, kann mitmachen. Den Vornamen, Nachnamen, die | |
E-Mail-Adresse und irgendeinen Verein muss man in das Online-Formular | |
eintragen, 30 Euro Teilnahmegebühr überweisen, und schon ist man Mitglied | |
des Fankongresses, der dieses Wochenende in Berlin stattfindet. | |
Im besten Falle haben der oder die Interessierte vorher noch das Feld | |
„Grundkonsens“ angeklickt, in dem erklärt wird, dass bis auf Nazis und | |
„diskriminierende Idioten“ alle herzlich willkommen sind. Gerd Dembowski, | |
der an der Universität Hannover Projektmitarbeiter in der Fanforschung ist, | |
bekennt, von ihm seien auch ein paar Studenten dabei, obwohl sie nicht in | |
einer Fanszene engagiert seien. Diese freie Form der Selbstorganisation ist | |
außergewöhnlich. „Das hat was von Anarcho-Syndikalismus“, findet Dembowsk… | |
Im Grunde sind die offenen Strukturen nur konsequent, bemängeln doch die | |
Fanvertreter in den letzten Jahren unentwegt die fehlenden Möglichkeiten | |
der Mitbestimmung, wenn die großen Fußballverbände, der Deutsche | |
Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) Entscheidungen | |
treffen, die die Stadionbesucher betreffen und beschneiden. | |
In der Praxis aber repräsentieren die Kongressteilnehmer, die gemäß dem | |
Einladungsschreiben der Organisatoren sich für den Erhalt „unserer | |
Fankultur“ einsetzen und „notwendige Veränderungen definieren“ sollen, n… | |
einen exklusiven Kreis der Engagierten. Der erste unabhängige Fankongress, | |
der vor zwei Jahren ebenfalls in Berlin stattfand, wurde noch in alleiniger | |
Verantwortung von ProFans, dem bundesweiten Bündnis aktiver Fan- und | |
Ultragruppen, veranstaltet. Entsprechend groß war trotz aller Offenheit | |
deren personelle Vertretung und entsprechend bedeutsam auch deren Themen. | |
Die fehlende Verhandlungsbereitschaft des DFB beim Thema Pyrotechnik etwa, | |
obwohl der Verband Gegenteiliges in Aussicht gestellt hatte. | |
## Konsenskurs stößt an seine Grenzen | |
Dieses Mal, erklärt ProFans-Sprecher Sig Zelt, habe man den Kongress | |
bewusst auf breitere Beine gestellt. Als Mitorganisator hat man „Unsere | |
Kurve“, die größte Interessenvertretung der aktiven Fußballfans, gewonnen. | |
„Normalere Leute“, wie Zelt selbst sagt. „Unsere Kurve“ ist ein | |
vereinsübergreifender Zusammenschluss von Fanorganisationen, denen wiederum | |
diverse Fanklubs unterstehen. Hinter dem Schalker Fanklubverband etwa, | |
einem Mitglied von „Unsere Kurve“, verbergen sich knapp 1.000 Fanklubs und | |
fast 90.000 Mitglieder. | |
Allerdings stößt der konsensorientierte Kurs innerhalb der Fanszene auch an | |
seine Grenzen. Das Bündnis aktiver Fußball-Fans (BAFF), das einst im Jahre | |
1993 Dembowski mit begründete, lehnte die ihm angetragene Rolle als | |
Mitorganisator ab, weil man einigen am Kongress beteiligten Gruppierungen | |
vorhält, zu gleichgültig gegenüber der Unterwanderung der Kurve von | |
Rechtsextremen eingestellt zu sein. Gerd Dembowski hält diese Position für | |
zu radikal, macht aber auf das Problem aufmerksam, dass der Kongress diesem | |
virulenten Thema keine gesonderte Aufmerksamkeit schenkt. Er sagt: „Da | |
besteht wohl die Angst, dass der Konsens des Antirassismus aufgespalten | |
werden könnte, wenn man sich eingehender mit der Problematik befasst.“ | |
Der Brückenschlag, den die Ultras auf höchster Kongressorganisationsebene | |
vollzogen haben, ist durchaus bemerkenswert. Denn in manchen | |
Ultragruppierungen Deutschlands ist das Elitedenken immer noch sehr | |
ausgeprägt. Forderungen nach größerer Teilhabe bei | |
DFB-Entscheidungsprozessen werden recht unbekümmert mit einem totalitär | |
geführten Regime im eigenen Fanblock vereinbart. | |
Im August vergangenen Jahres brachte der Freiburger Fanklub „Panem et | |
Circenses“ in einem offenen Brief sein Missfallen über die Entwicklung in | |
deutschen Stadien im Allgemeinen und in Freiburg im Konkreten zum Ausduck: | |
„Die Allmachtsfantasien einiger Gruppierungen, die sich in ihrer | |
Selbstdarstellung als die einzigen Repräsentanten einer gesamten Fanschaft | |
des Klubs verstehen, bereiten uns Sorgen. Eine differenzierte und kreative | |
Fankultur, wie sie in früheren Jahren selbstverständlich war, scheint | |
unmöglich geworden zu sein … ’Nichtkonforme' Gesänge werden zum Beispiel | |
unter Androhung von Gewalt unterbunden.“ Christoph Kunz von „Panem et | |
Circenses“ erklärt: „Die Entwicklung hat für uns unerträgliche Ausmaße | |
angenommen. Deshalb wollten wir als Fanklub ein Zeichen setzen.“ In | |
Freiburg habe man für den Brief viel Zuspruch erhalten. | |
Auch wenn Kunz’ Vorstellungen von Fankultur aus einer Zeit des Freiburger | |
Idylls stammen („Früher wurde bei uns die gegnerische Mannschaft mit | |
Beifall empfangen“), sind die angesprochenen Missstände in den deutschen | |
Kurven omnipräsent. Sig Zelt von ProFans, der Union-Berlin-Anhänger ist, | |
bestätigt: „Bei uns kommt das auch vor. Das Problem gibt es, seit es Ultras | |
gibt.“ Das habe auch mit dem jugendlichen Alter vieler Ultras zu tun. Die | |
würden eben machen, was sie wollten. | |
## Kommunikation mit anderen Fanklubs | |
Gerd Dembowski dagegen betrachtet das Ganze nicht als statischen Konflikt. | |
Er bewertet die derzeitigen Verhältnisse als existenzbedrohend für die | |
Ultraszene. An vielen Orten würde das Problem als solches nicht erkannt | |
werden. Andererseits seien aber auch entgegengesetzte Entwicklungen zu | |
erkennen. | |
Beim 1. FC Köln, erzählt Dembowski, leiste er mit Kollegen der Universität | |
Hannover Konfliktberatung in der Fanszene. Dort habe sich die Erkenntnis | |
durchgesetzt, dass Kommunikation mit anderen Fanklubs die einzige | |
Möglichkeit sei, „das Ultra-Ding“ weiterzumachen. „Die Kölner Ultras sa… | |
heute: ’Früher haben wir nur für uns gesprochen, jetzt wissen wir auch, was | |
die anderen denken.'“ | |
An anderen Standorten würde sich ebenfalls etwas tun, stellt Dembowski | |
fest. Die Münchner Schickeria rücke „von ihrer elitären Herangehensweise“ | |
ab, und in Dresden fahre der Capo, der Vorsänger in der Kurve, mittlerweile | |
unter der Woche aufs Land, um mit anderen Fanklubvertretern zu sprechen. | |
## Demokratischer Aufbruch in der Ultraszene? | |
Manifestiert sich nun auch in der breiten Organisation des anstehenden | |
Fankongresses ein demokratischer Aufbruch in der Ultraszene? „Das kann man | |
nicht generalstabsmäßig verordnen“, wendet Dembowski ein. „So etwas | |
entsteht organisch an einzelnen Orten und wird, wenn es funktioniert, von | |
anderen Gruppen übernommen.“ | |
Gemeinsame Interessen mit der breiteren aktiven Fanszene gibt es ohnehin. | |
Daniel Nowara, der Sprecher vom mitgliederstärksten Bündnis „Unsere Kurve�… | |
sagt: „Wir haben etwas andere Schwerpunkte, arbeiten generell in die | |
gleiche Richtung.“ Bei brisanten Themen wie der Unverhältnismäßigkeit von | |
Stadionverboten oder dem notwendigen Erhalt der 50+1-Regelung | |
(Schutzmaßnahme, die es Investoren verbietet, sich die Stimmenmehrheit in | |
einem Verein zu kaufen) vertritt man ähnliche Positionen. | |
Im November 2012 erklärte Peter Peters, der Vorsitzende der bei den Fans so | |
umstrittenen DFL-Kommission „Sicheres Stadionerlebnis“, noch, es sei | |
notwendig, „dass auch Fans und Ultras Strukturen finden, die legitimierte | |
Gesprächspartner hervorbringen“. Es scheint so, als ob die aktive Fanszene | |
dieser Forderung ein gutes Stück entgegengekommen ist. | |
Die entsprechende Wertschätzung erfahren die Fankongress-Organisatoren | |
dieses Mal durch ranghohen Besuch. Der DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock | |
und DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig haben sich angesagt. Bei der | |
Fankongress-Premiere 2012 hatten die Verbände noch mit dem | |
Sicherheitsbeauftragten Hendrik Große-Lefert und dem DFL-Fanbeauftragten | |
Thomas Schneider die B-Prominenz vorgeschickt. | |
Auf Seiten der Fans sieht man jetzt aber auch die Funktionäre in der | |
Verantwortung, die Fans nicht nur als Kongressveranstalter ernst zu nehmen. | |
Daniel Nowara von „Unsere Kurve“ sagt: „In einem Jahr erst werden wir | |
sehen, was das gebracht hat. Wenn bis dahin keine unserer Empfehlungen | |
aufgenommen wurde, kommen das nächste Mal statt 700 nur 300 Leute.“ Die | |
Dialogbereitschaft ist ohne Erfolge kaum weiter vermittelbar. | |
18 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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