| # taz.de -- Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Was zieh ich an zur Weltherrschaft? | |
| > Die jungen Menschen empfangen Botschaften von Sibylle Berg. Einige | |
| > verzehren sich nach Zimtschnecken, andere nach Steuerzahlen. | |
| Bild: Die Sonne geht unter (oder stirbt aus). | |
| Diese jungen Menschen. Eine von ihnen liegt im Bett, am Samstagmorgen oder | |
| eher -mittag, na ja in echt schon -nachmittag, und wird von einem „Ach, | |
| Scheiße!“ geweckt. | |
| So etwas Ähnliches hat sie auch gerade gedacht. Sie hat nämlich geträumt, | |
| dass sie Sex mit I. hatte, und plötzlich kam ein Bischof ins Zimmer und | |
| sagte, er wolle sich was schneidern, sei aber mit den Maßen unsicher. Sex | |
| zu Ende, Traum zu Ende. Nur dieses „Ach, Scheiße!“, so vom Sofa her. | |
| „Wassn?“ ist ihr erstes Wort an diesem Wochenende. „Hab gegen dich im | |
| Quizduell verloren“, sagt S. „Och“, sagt sie, und dann: „Wie spät?“ … | |
| oder halb drei.“ – „Manno.“ Samstags um zwei oder halb drei gibt es bei | |
| Monsieur Ibrahim keine Zimtschnecken mehr. Deswegen. | |
| Sie wären dann eigentlich gut in der Zeit gewesen. Wäre er nicht noch mal | |
| ins Bett gekommen. Als sie danach so im Bett liegen und irgendwann dann | |
| doch wieder auf die Uhr gucken, ist es schon kurz vor knapp und sie springt | |
| auf, rennt zu Monsieur Ibrahim, holt zwei Latte macchiato, dann schnell | |
| Frühstück zu Hause, bisschen Rührei in die Haare und los. In der U-Bahn | |
| liest sie ihre Mails. „Starte entspannt in den Tag“, schreibt der | |
| Ikea-Family-Newsletter. | |
| Im Gorki-Theater sehen sie [1][„Es sagt mir nichts, das sogenannte | |
| Draußen“] von Sibylle Berg. Hinterher sagt sie zu ihm: „Und?“ Und er so: | |
| „Hm.“ Sie so: „Nicht? Das war das Beste, was ich dieses Jahr im Theater | |
| gesehen haben werde, und es ist gerade mal Januar.“ Er so: „Mir fehlte | |
| vielleicht die männliche Identifikationsfigur.“ Kann sein! Die einzige | |
| männliche Figur, die in dem Stück zumindest indirekt vorkommt, ist nämlich | |
| ein gewisser Paul, der gefesselt und geknebelt im Keller liegt und ab und | |
| zu angeschrien wird. | |
| „Das sogenannte Draußen“ ist alles, was außerhalb des Zimmers passiert, in | |
| dem die Hauptfigur rumhängt. Sie ist – durch vier Frauen dargestellt – | |
| allein mit ihren Geräten, auf denen immer wieder Nachrichten ankommen. | |
| Nachrichten, die sie nur umso einsamer machen. | |
| Irgendwann geht die Sonne unter, „vielleicht stirbt sie aber auch gerade | |
| aus“. Was bleibt, ist Zeit zum Nachdenken. Über die Typen, die sie früher | |
| verprügelt hat. Über ironisches Gucken von Castingshows. Über Zumba („Ich | |
| kotze“), Randgruppen („zum Beispiel … äh … äh … Frauen!“), Sex (�… | |
| versteht Sex!“). Und die Frage: Was zieh ich an zur Weltherrschaft? (Bleibt | |
| ungeklärt.) | |
| Es sei ein Stück, das den „geistigen Komplett-Amok zelebriert“, stand im | |
| Tagesspiegel. Nein. Eher die alltägliche Gleichzeitigkeit von Scheiße. Und | |
| Jungsein. Und, nein, „zelebriert“ eigentlich auch nicht. | |
| Die junge Frau ist begeistert, sehr sogar. Dann geht sie mit ihrem Freund | |
| und einer Flasche Wodka zu M.s Geburtstag. M. ist 33 geworden, er hat eine | |
| Lampe geschenkt gekriegt, die buntes Licht macht, und eine andere, die ein | |
| Katzenkopf ist. L. steht neben dem Küchenregal, schräg hinter ihr auf | |
| Kopfhöhe eine Packung „Krake in Pflanzenöl“. | |
| L. erzählt von einem neuen Auftrag. „Verstehst du“, sagt sie, „das wär … | |
| Durchbruch zum Steuerzahlen!“ Die junge Frau schnappt sich „Tschick“ aus | |
| dem Bücherregal des Gastgebers, der irgendwann in seiner Küche sitzt und | |
| sagt: „So wasted war meine Party noch nie. Ich will nach Hause!“ | |
| Die junge Frau trägt ihren betrunkenen Freund zurück ins Bett, den Sonntag | |
| verbringen sie dort mit Essen. Irgendwann setzt sie sich an den Computer, | |
| um zu schreiben, und auf Twitter schreibt Sibylle Berg just in jenem | |
| Moment: „gute nacht ihr wackelpimmel“ | |
| 21 Jan 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.gorki.de/spielplan/es-sagt-mir-nichts-das-sogenannte-draussen/ | |
| ## AUTOREN | |
| Margarete Stokowski | |
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