| # taz.de -- Film über Bierfestanschlag: Von der Wehrsportgruppe zur NSU | |
| > „Der blinde Fleck“ analysiert das Nazi-Attentat auf das Münchner | |
| > Oktoberfest 1980. Der Film kommt dabei ohne Verschwörungstheorien aus. | |
| Bild: Benno Fürmann spielt den Journalisten Ulrich Chaussy. | |
| BERLIN taz | Wir schreiben das Wahljahr 1980: Der bayerische | |
| Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) will Kanzler werden. Es ist die | |
| Zeit, in der hoch gerüstete Polizisten gegen militante Autonome vorgehen | |
| und Fahndungsplakate an Litfaßsäulen RAF-Mitglieder zeigen, die zum | |
| Abschuss freigegeben sind. Nach rechts gibt es für die bayerischen | |
| Christsozialen kaum Grenzen, der Gegner steht links: „Freiheit oder | |
| Sozialismus“ lautet die Parole der CSU. | |
| Mitten im Wahlkampf explodiert auf dem Münchner Oktoberfest eine Bombe. Der | |
| Sprengsatz tötet 13 Menschen, mehr als 200 werden schwer verletzt. Noch am | |
| Abend dieses 26. Septembers lassen CSU-Politiker wissen, wo die | |
| Tatverantwortlichen zu suchen sind: in der radikalen Linken. | |
| Schnell stellt sich heraus, dass der Geologiestudent Gundolf Köhler die Tat | |
| begangen hat. Der Attentäter, dessen Leiche am Tatort gefunden wird, hatte | |
| zuvor mit der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann trainiert. Trotzdem | |
| lassen Ermittler und Staatsschützer keinen Zweifel gelten: Köhler sei | |
| Einzeltäter. | |
| Vieles spricht dafür, dass der 21-Jährige damals nicht allein gehandelt | |
| hat. Doch nur wenige stellen diesbezüglich Fragen. Unter ihnen der | |
| Journalist Ulrich Chaussy. Über Jahre hinweg verfolgt der Reporter des | |
| Bayerischen Rundfunks alle Ungereimtheiten, wälzt Akten, spricht mit Zeugen | |
| und trifft einen Informanten aus dem Apparat. Daraus entsteht der Stoff, | |
| aus dem der Regisseur Daniel Harrich nun einen Spielfilm geformt hat. | |
| „Der blinde Fleck“ ist eher Politkrimi mit Realitätsbezug als | |
| Actionthriller. Ulrich Chaussy hat selbst am Drehbuch mitgeschrieben. | |
| Harrich mag keine Verschwörungstheorien. So lässt sich sein Film nicht von | |
| einer These über den wahren Tathintergrund leiten und bleibt gerade deshalb | |
| spannend bis zum Schluss. | |
| ## Josef Strauß verharmloste die Wehrsportgruppe Hoffmann | |
| Wer hinter dem mörderischen Anschlag stecken könnte, wird herausgearbeitet. | |
| Da spielen Staatsschützer und Politiker ebenso eine Rolle wie | |
| rechtsradikale Waffenhändler und die Wehrsportgruppe Hoffmann. | |
| Chaussy (Benno Fürmann) recherchiert gemeinsam mit dem Opferanwalt Werner | |
| Dietrich (Jörg Hartmann). In Köhlers Heimatstadt Donaueschingen finden sie | |
| heraus: Er war nicht der Einzelgänger, als den ihn die Ermittler | |
| darstellen. Zum Gegenspieler Chaussys wird der bayerische Staatsschutzchef | |
| Dr. Hans Langemann, den Heiner Lauterbach als dubiose Figur darstellt. | |
| Der Geheimdienstler soll aus dem Anschlag politischen Profit für den | |
| Kanzlerkandidaten ziehen. Nachdem Köhler als Täter präsentiert wird, muss | |
| Langemann erklären, warum Strauß die Wehrsportgruppe Hoffmann ständig | |
| verharmlost. Vor allem sorgt der Staatsschützer dafür, dass die | |
| Tathintergründe im Dunkeln bleiben. | |
| Chaussy ahnt im Film nur, was heute – auch mit der Erfahrung der | |
| NSU-Mordserie – selbstverständlich erscheint: dass Staatsschützer so eng in | |
| neonazistische Strukturen verwoben sind, dass sie kaum Interesse an | |
| Aufklärung haben. | |
| Der Journalist Chaussy spricht mit Zeugen, die Köhler beim Anschlag mit | |
| weiteren Männern gesehen haben. Diese Spur wird nicht weiterverfolgt. In | |
| den Akten taucht eine Hand auf, die keinem Opfer zuzuordnen ist. Gehört sie | |
| einem Mittäter? Das Beweisstück verschwindet aus der Asservatenkammer der | |
| Bundesanwaltschaft. Aus Platzgründen, erfährt der Reporter. | |
| ## Spuren, die weiter verfolgt werden können | |
| Und noch eine Spur bleibt unverfolgt: Wenige Wochen vor dem Attentat in | |
| München explodiert auf dem Bahnhof von Bologna eine Bombe. 85 Menschen | |
| sterben. Auch dieser Anschlag findet vor Wahlen statt, auch in Italien | |
| werden zunächst Linksradikale der Tat bezichtigt. | |
| Später werden Neonazis und Geheimdienstler verurteilt. Der Anschlag ist | |
| Teil der „Strategie der Spannung“, die Italiens Linke diskreditieren und | |
| den Ruf nach einem starken Staat provozieren soll. Waren die Attentate | |
| gemeinsam geplant worden? | |
| „Ich wollte einen Denkanstoß geben und Spuren legen, die weiter verfolgt | |
| werden“, erklärt Regisseur Harrich. Mit Erfolg: Nach einer Vorabaufführung | |
| hat der reale Chaussy die Zusage bekommen, dass Anwalt Dietrich bislang | |
| geheim gehaltene Ermittlungsakten einsehen kann. Diese bestätigen: Hoffmann | |
| und die italienischen Faschisten trainierten gemeinsam in PLO-Lagern im | |
| Libanon. | |
| Auch ein Informant des Verfassungsschutzes war dabei. Inzwischen kämpft | |
| sich Dietrich durch die Aktenberge. Auch das Drehbuch bleibt nicht in der | |
| Vergangenheit stecken. Fürmann spielt den jungen Linken Chaussy, der von | |
| bewaffneten Polizisten festgenommen wird, ebenso überzeugend wie den alten | |
| Journalisten, der im Jahr 2006 erneut die Spur aufgreift. | |
| „Der blinde Fleck“ endet 2011, an dem Tag, an dem sich Beate Zschäpe der | |
| Polizei stellt. Wären nach dem Anschlag 1980 die rechten Netzwerke genauer | |
| beobachtet worden, resümiert Chaussy, hätte es nicht zur NSU-Mordserie | |
| kommen müssen. | |
| 23 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Wolf-Dieter Vogel | |
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