# taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Am Rande des Völkermords | |
> Mit neuen Pogromen gegen Muslime in Bangui zeigen die christlichen | |
> Milizen Stärke. Sie fordern die neue Präsidentin heraus. | |
Bild: Die Gewalt gegen Muslime eskaliert. Bangui am 19. Januar. | |
BERLIN taz | Der Schein währte nur kurz. Schon am zweiten Tag nach der Wahl | |
der neuen zentralafrikanischen Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza | |
durch das Übergangsparlament in Bangui erreicht die Gewalt gegen die | |
muslimische Minderheit einen neuen Höhepunkt. Laut Augenzeugen verwüsten | |
christliche „Anti-Balaka“-Milizen seit Mittwochfrüh das zumeist von | |
muslimischen Zuwanderern besiedelte Viertel PK13 am Stadtrand. | |
Peter Bouckaert, Direktor der Notabteilung von Human Rights Watch, | |
veröffentlichte am Mittwoch als Augenzeuge Fotos brennender Häuser, | |
verkohlter Korane und bis auf die Grundmauern zerstörter Hütten. „Eine | |
Orgie des Plünderns und Brennens“, schreibt er. „Plündernde Anti-Balaka | |
sagen: Wir wollen keine Muslime in unserem Land, wir werden sie | |
vernichten.“ | |
Die Anti-Balaka-Milizen sehen sich im Aufwind, seit am 10. Januar | |
Übergangspräsident Michel Djotodia, zugleich Chef der mehrheitlich | |
muslimischen Rebellenallianz Seleka, zurücktrat und ins Exil ging. Mit | |
Djotodias Rücktritt stehen die Muslime nun politisch schutzlos da, nachdem | |
die Seleka-Armee bereits seit Anfang Dezember Hauptziel der | |
Entwaffungsaktionen durch französische Eingreiftruppen ist. | |
In Bangui sind mittlerweile rund eine halbe Million Menschen, die Hälfte | |
der Bevölkerung, nach Religion geteilt, auf der Flucht. Seleka ist dabei, | |
sich in seine Bestandteile zu zerlegen. Expräsident Djotodia ist in Benin, | |
der einst wichtigste Seleka-Militärführer Noureddine Adam wurde am Montag | |
in Kamerun kurzzeitig festgenommen. | |
## „Gott- und gesetzlose Banden“ | |
Mit ihrer neuen Offensive setzen die christlichen Milizen Zeichen: Sie | |
wollen jetzt politisch an die Macht. Am Mittwoch erklärte eine aus ihrem | |
politischen Lager stammende „Zentralafrikanische Volksfront“, das Parlament | |
in Bangui möge der neuen Präsidentin das Misstrauen aussprechen, weil mit | |
ihr „der Kampf der zentralafrikanischen Jugend gegen Michel Djotodia, Chef | |
der gott- und gesetzlosen Seleka-Banden, gestohlen worden ist“. | |
Neben den neuen Angriffen in Bangui ist eine Großoffensive außerhalb der | |
Hauptstadt im Gange. Am Dienstag erklärten die Milizen, sie hätten im | |
Rahmen einer dreitägigen Offensive den gesamten Westen der | |
Zentralafrikanischen Republik – die Region zwischen Bangui und der | |
kamerunischen Grenze – „von den Ausländern befreit“ und kontrollierten a… | |
die Fernstraße zwischen Bangui und der Großstadt Bouar. Diese Straße war | |
zeitweilig als Operationsgebiet für EU-Truppen vorgesehen. | |
Aus den meisten Ortschaften dieser Region sollen alle Muslime geflohen | |
sein, sofern sie noch leben. Mehrere zehntausend Muslime mit Pässen anderer | |
Länder, zumeist Tschad, sind evakuiert worden, teils unter dem Schutz | |
tschadischer Truppen. Ein Granatenanschlag auf einen solchen | |
Evakuierungskonvoi in Bouar forderte am vergangenen Freitag 10 Tote und 50 | |
Verletzte. | |
Unter dem Eindruck der immer massiveren Angriffe auf Muslime, die laut | |
erfahrenen Beobachtern Szenen des Völkermords in Ruanda 1994 ähneln, ist es | |
besonders pikant, dass ausgerechnet afrikanische Eingreiftruppen aus Ruanda | |
jetzt in Bangui gegen die Mörder vorgehen – Angehörige jener Armee, die | |
einst in Ruanda den Völkermord an den Tutsi beendete. | |
Auf Peter Bouckaerts Fotos aus dem Stadtteil PK13 sind ruandische | |
Tutsi-Soldaten zu sehen, die christlichen Milizionären die Waffen und die | |
geplünderten Güter abnehmen. Aber sie konnten nicht verhindern, dass es | |
überhaupt so weit kam. | |
22 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
## TAGS | |
Zentralafrikanische Republik | |
Bangui | |
Catherine Samba-Panza | |
Seleka | |
Anti-Balaka | |
Völkermord | |
Ruanda | |
Zentralafrikanische Republik | |
Zentralafrikanische Republik | |
Zentralafrikanische Republik | |
Zentralafrikanische Republik | |
RPF | |
Zentralafrikanische Republik | |
Zentralafrikanische Republik | |
Zentralafrikanische Republik | |
Zentralafrika | |
Zentralafrikanische Republik | |
Mali | |
Zentralafrikanische Republik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Konflikt Zentralafrikanische Republik: Lynchmord durch die Armee | |
Vor laufenden Kameras haben Soldaten einen mutmaßlichen Rebellen gefoltert | |
und brutal ermordet. Triggerwarnung: eindeutige Bilder! | |
Kämpfe in Zentralafrika: Morden der Milizen nimmt kein Ende | |
Die ausländischen Eingreiftruppen sind nicht in der Lage, eine Waffenruhe | |
zu garantieren. In mehreren Regionen des Landes gibt es Dutzende von Toten. | |
Zentralafrikanische Republik: Warum Ruanda aktiv eingreift | |
Ruanda entsendet Soldaten in die Zentralafrikanische Republik. Damit will | |
es einen Völkermord, wie es ihn 1994 im eigenen Land gab, verhindern. | |
Zentralafrikanische Republik: Staat außer Kontrolle | |
Die neue Übergangsregierung hat die Zentralafrikanische Republik nicht | |
stabilisiert. Niemand hat die Milizen im Griff, selbst die eigenen Anführer | |
nicht. | |
Plädoyer im Ruanda-Völkermordprozess: Lebenslang minus sechs Monate | |
Onesphore Rwabukombe habe sich des Völkermordes schuldig gemacht, meint die | |
Bundesanwaltschaft. Sie fordert lebenslange Haft. | |
Krise in Zentralafrikanischer Republik: Auf der Flucht vor den Milizen | |
Die muslimische Rebellenallianz Seleka verlässt die Hauptstadt Bangui. Mehr | |
als 30.000 Muslime sind bereits vor Massakern in den Tschad geflohen. | |
Zentralafrikanische Republik: EU-Soldaten – aber nur ein bisschen | |
Die Außenminister der EU geben grünes Licht für eine europäische Truppe in | |
Bangui. Ein genaues Konzept für den Militäreinsatz kommt später. | |
Zentralafrikanische Republik: Eine Frau soll Bangui retten | |
Catherien Samba-Panza, die Bürgermeisterin der Hauptstadt, wird für eine | |
Übergangszeit Präsidentin. Keine leichte Aufgabe. | |
Zentralafrikanische Republik: Rachefeldzüge der christlichen Milizen | |
In Bangui werden Geschäfte muslimischer Händler angegriffen, Moscheen | |
zerstört. Ausländer reisen aus. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht. | |
Zentralafrikanische Republik: Machtvakuum in Bangui | |
Präsident und Regierungschef der Zentralafrikanischen Republik sind | |
zurückgetreten. Französische Panzer rücken in die Hauptstadt Bangui aus. | |
Kommentar Flüchtlinge Zentralafrika: Der Hilferuf von Bangui an die Welt | |
In der Zentralafrikanischen Republik rennen viele um ihr Leben – gejagt von | |
Mordmilizen: Ihr Schutz gehört auf die Agenda der Weltpolitik. | |
Zentralafrikanische Republik: Was steckt hinterm „Religionskrieg“? | |
Frankreichs Militär beruhigt die Hauptstadt Bangui. Die religiöse Gewalt | |
auf lokaler Ebene ist Ausdruck eines politischen Machtkampfes. |