# taz.de -- Künstler Joachim Gutsche: Die Kunst eines Besessenen | |
> Joachim Gutsche trat der Welt mit Skepsis gegenüber. Seinem lebenslang | |
> verborgenen malerischen Werk ist erstmals eine Ausstellung gewidmet. | |
Bild: Malerei von Joachim Gutsche. | |
Als Joachim Gutsche vor zwei Jahren starb, nahm die Kunstszene der Stadt | |
wenig Notiz. Für den Mann aus dem Jahrgang 1926 hätte das Wort | |
„Eigenbrötler“ erfunden worden sein können – dieser Berliner wollte für | |
sich sein. In einem schönen Nachruf von Gregor Eisenhauer im Tagesspiegel | |
hieß es: „Ein etwas schrulliger alter Mann, der fünfzig Jahre in zwei | |
Zimmern gelebt hatte. Bis zuletzt trug er sein Fahrrad nach oben. Er buk | |
gern Blechkuchen. Er kochte nur Gesundes. Ärzte ließ er nicht an sich | |
heran.“ | |
Vor allem malte er, beinahe rund um die Uhr. So legt es auch sein Oeuvre | |
nahe, das seine Tochter Flora, die es in der Wohnung fand, nicht so nennen | |
würde – weil die Bilder dieses Malers nur schwer zu zählen waren. Überall | |
fanden sich Skizzen und bemalte Leinwände, teils fertig gerahmt. Die | |
hölzernen Einfassungen hatte Gutsche selbst gefertigt. | |
1926 in Zwickau geboren, erlernte Gutsche in den mittleren Kriegsjahren den | |
Beruf des Technischen Zeichners, absolvierte bis zum Sieg der Alliierten | |
1945 noch Kriegsdienst, kam in britische Gefangenschaft und begann | |
schließlich ein Studium an der Berliner Universität der Künste. Gutsche | |
lernte malen, die Pinselfertigkeit über das Hobbyistische hinaus. | |
Was er nicht in den Griff bekam, war das, was man geläufig Paranoia nennt, | |
was sich aber auch in ständiger Eifersucht gegenüber seinen Affären | |
äußerte: Gutsche quälte das beißende Gefühl, von den Frauen jederzeit | |
verlassen werden zu können. Das Eheliche bekam ihm und seiner Frau nicht, | |
denn Gutsche wollte malen. | |
## Aralblau und andere zeitgenössische Farben | |
Wie man in der Galerie Hauff & Auvermann an gut fünf Dutzend Beispielen | |
sehen kann, hat Gutsche seine Kunst als groß begriffen, im Wortsinn auch in | |
diesem Sinne einfassen lassen: stark in Längen und Breiten. Was man sieht, | |
ist die Kunst eines Besessenen, und insofern ist die Überschrift der | |
kleinen Schau – „Obsessive Poesie“ – nicht übel gewählt. Alle ausgest… | |
Werke entstammen den sechziger Jahren, das Blau auf vielen der Bilder ist | |
klar und dunkel, dennoch wärmend mit Rotschimmer gehalten: ein Aralblau, | |
das damals sehr in Mode war. | |
Gutsche hat diese zeitgenössischen Farben genutzt, um sein Inneres zu | |
bannen: Augen, die drohend zu gucken scheinen, Körper, die wie zwanghaft | |
aneinandergekettet wirken, hier und da ein Penis, aber eher im kleinen | |
Format, wenige, dafür eindrückliche Brüste: hier zeigt sich der Maler dem | |
Nährenden zugewandt, bleibt schwarzer Farbabgründe wegen zu ihm aber auch | |
in Distanz. | |
## Aus Naivität im DDR-Knast | |
Gutsche bekam es mit dem Leben oft auf ungute Weise zu tun, auch dies muss | |
erwähnt werden, um seine eremitische Lebensweise nicht als Grille zu | |
nehmen. In den mittleren fünfziger Jahren kam er, eigener Naivität | |
geschuldet, in der DDR in Haft, weil ein Verfahren wegen | |
Wirtschaftskriminalität gegen ihn lief: Er hatte einem Kommilitonen an der | |
Hochschule gutgläubig den Personalausweis geborgt. Nach Jahren der Haft kam | |
er wieder frei und war für die Schickeria der Allzeitkommunikativen auf | |
Empfängen und Vernissagen nicht mehr zu gebrauchen: Gutsche wollte keine | |
Netzwerke, er wollte Kunst schaffen. | |
Gut, dass ein Kunstinteressierter wie Felix Hasler, Neuberliner | |
Pharmakologe und Mitarbeiter der Humboldt-Universität, sich für Gutsches | |
Hinterlassenschaft interessierte. Noch besser, dass sie nun zu bestaunen | |
ist. Manches ist nicht perfekt kuratiert, weil es nicht ging: Titel der | |
Bilder fehlen, gelegentlich Jahreszahlen. Es sieht nach einer in | |
angenehmster Manie produzierter Glückhaftigkeit aus, was Gutsche schaffte. | |
Er war ein großer Maler, er hatte eine innere Geschichte, die adaquät in | |
Kunst umgewandelt wurde. Die Sichtung seines künstlerischen Erbes dauert | |
an. | |
31 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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