# taz.de -- Historische Reiseliteratur: Bei den „Muselmännern“ | |
> Fürst Pückler-Muskau reiste durch Nordafrika und machte sich so seine | |
> Gedanken. Unter dem Pseudonym „Semilasso“ erschienen seine Reiseberichte. | |
Bild: Semilasso (2.v.l.) in seinem Reisekleid im heutigen nördlichen Tunesien | |
Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau (1785 bis 1871) war | |
Generalleutnant von preußischem Adel und Landschaftsarchitekt, | |
Schriftsteller und Weltreisender. Seinen Namen trägt eine etwas aus der | |
Mode gekommen Eissorte, seine Parkanlage in Muskau ist immer noch | |
Touristenmagnet. Der Fürst, dessen Grundbesitz und dandyhaftes Leben sein | |
Vermögen verschlang, verdiente mit seinen Reisebüchern den aufwendigen | |
Unterhalt. | |
Sein Pseudonym als Autor und Reisender: der „Semilasso“ (der Halbmüde). | |
Seine Reiseberichte in Briefen, vor allem an seine Frau Lucie oder seinen | |
Freund Leopold Schefer gerichtet, wurden in kurzer Zeit in Deutschland, | |
England und Frankreich zu Bestsellern. | |
Im Berliner Verlag der Pioniere, der sich auf Forschungs- und | |
Entdeckerberichte vergangener Jahrhunderte spezialisiert hat, ist nun der | |
erste Band, „Semilasso in Afrika“, neu aufgelegt worden. | |
Er enthält Pücklers Berichte aus Algier und Tunis, von den ersten Stationen | |
seiner mehrjährigen Reise ums Mittelmeer. Er reiste weiter nach Ägypten und | |
Sudan. Abenteuerlich, beschwerlich und für das Publikum zu Hause aufregend | |
exotisch. In Ägypten kaufte Pückler ohne jeglichen Skrupel oder | |
Rechtfertigungsdruck vom Sklavenmarkt seine junge schwarze Mätresse | |
Machbuba, die er mit nach Deutschland nahm. Ihr Grab, auf dem ein | |
gebrochenes Herz liegt, ist auf dem Friedhof der evangelischen Kirche in | |
Bad Muskau bis heute erhalten. | |
Die Reiseberichte des in seiner Zeit als Kosmopolit, aufgeklärt und liberal | |
geltenden Pückler sind eine Fundgrube für Liebhaber historischer | |
Reiseerzählungen, ein Highlight für Maghreb-Kenner, eine Provokation für | |
heutige antirassistischen Wächter der politisch korrekten Sprache. Es | |
wimmelt nur so von Negern, Mohren und anderen Despektierlichkeiten. Seine | |
Urteile erscheinen aus heutiger Sicht überheblich, selbstgefällig, | |
## Gnadenlose Wertung | |
Doch genau diese Unverblümtheit, das klar geäußerte Befremden in der | |
Fremde, die subjektive Beschreibung der eigenen Wahrnehmungen und seine | |
gnadenlose Wertung machen diese Reiseberichte interessant, amüsant: Sie | |
werfen nicht nur ein Licht auf die bereisten Länder, sondern vor allem auch | |
auf die Perspektive des Reisenden, seinen Status, seine Vorurteile, seine | |
Distanz, seine Zeit und ihren Geist. Ein ungeschöntes Zeitdokument, | |
doppelbödig und unziemlich wie ein rassistischer Witz. | |
Vieles, was Pückler auf seinen beschwerlichen jahrelangen Reisen wahrnimmt | |
und beschreibt, lebt als Relikt, kulturelle Einfärbung oder Folklore fort: | |
sei es das Angebot der tunesischen Märkte - die durchwobenen Tücher oder | |
die filzartige rote Kopfbedeckung, die Chéchia, findet man heute noch. Die | |
jüdischen Silberschmieden, die Gärten von La Marsa, die immer weniger | |
werdenden Ruinen von Karthago oder das Parlament in Bardo, wo einst der | |
Sultanspalast stand, in dem Pückler verkehrte. | |
Pückler erzählt die Geschichte der Region von Phöniziern, Römern und | |
Arabern auf sehr anschauliche Weise. Er beschreibt, wer alles kam, wer | |
blieb und welches Mosaik aus Rassen und Typen daraus entstand: „Türken aus | |
Morea und Constantinopel, altspanische Mauren, Neger aus dem Inneren | |
Afrikas, Beduinen von den Grenzen des Atlas u.s.w mischen sich in ein | |
großes Ganzes, von dem jeder seinen eigenen Vortheil sucht ohne je etwas | |
für die Gesellschaft oder den Fortschritt der Civilisation zu thun.“ | |
Auch mit der Religion der „Muselmänner“ tut er sich schwer: „Auch die | |
hiesigen Muselmänner, man muss gestehen, dass sie schon seit längerer Zeit | |
fortfahren immer nachlässiger in der Befolgung ihrer alten Gebräuche zu | |
werden: Ungeachtet ihrer häufigen Abwaschungen sind sie schmutziger als die | |
Juden; Wein und Branntwein trinken sie größtentheils, wo sie nur desselben | |
habhaft werden können; für das Tagesfasten des Bairams entschädigen sie | |
sich hinlänglich durch nächtliche Schwelgereien.“ | |
## Rohe Tyrannei | |
Auch Letzteres hat sich kaum geändert. Doch die rohe Tyrannei, die Pückler | |
beklagt, wurde vor Kurzem mit dem arabischen Aufbruch zumindest in Tunis | |
gestürzt: „So ist dieses Reich jahrtausendlang der widerliche Schauplatz | |
fortwährender Umwälzungen und Verbrechen gewesen.“ | |
Dennoch schreibt er im Kulturvergleich: „Die Masse allgemein halte ich für | |
freier wie in Europa. […] Die meisten Europäer, die im Orient leben | |
gewinnen ihre dortige Existenz bald lieb. […] In den hiesigen Ländern kann | |
man träge seyn und doch leben, das Nothdürfige ist so leicht und fast | |
umsonst zu erlangen, die Bedürfnisse dabei überhaupt geringer - in dem | |
größten Teilen Europas verhungert aber, wer nicht arbeiten will, oder wird | |
in ein Arbeitshaus gesperrt, und die concurrenz ist so furchtbar dringend | |
geworden, daß jeder wie vom Rad einer Maschine getrieben, in Angst und | |
Sorge rastlos vorwärts muss.“ Die Beschleunigung, sie hat heute auch den | |
Maghreb erfasst. | |
„Weiber“ bekommt Pückler nur wenige zu sehen, nur so viel wurde ihm von | |
europäischen Diplomatenfrauen erzählt: „Die Weiber thun bekanntlich alles, | |
um dick zu werden, und man mästet sie zu diesem Behuf förmlich, wie bei uns | |
die Gänse, mit cucussu.“ | |
Und eigentlich findet der liberale Fürst die hier übliche Verschleierung | |
durchaus nachahmenswert, zumindest begrenzt: „Durchaus ist diese strenge | |
Verschleierung nicht zu verwerfen, nur müßte sie sich in den civilisierten | |
Staaten allein auf die Alten und Häßlichen beschränken.“ Pückler wusste u… | |
sagte, was ihm gefällt. Das Publikum in Europa, es folgte ihm begeistert. | |
8 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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