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# taz.de -- Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: In der Fremde ist der Fremde …
> In Italien herrscht Sodomie und alle Polen sind vierschrötig und
> stiernackig: Historische Reiseberichte sind oftmals sehr eigenwillig,
> subjektiv – und ehrlich.
Bild: Die Forschungsreisenden Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland Anfang …
Ich liebe historische Reiseberichte. Es interessiert mich, wie Menschen aus
den unterschiedlichsten Kulturkreisen zu unterschiedlichen Zeiten
aufeinander reagieren. Vor allem, wenn sie völlig subjektiv und eigenwillig
die Begegnung beschreiben. Dann sind sie unverfälscht, ehrlich.
Beispielsweise der Schotte William Lithgow. Durch ein Missgeschick in die
Welt getrieben, reiste er Anfang des 17. Jahrhunderts quer durch Europa
nach Ägypten, Tunesien, Konstantinopel. Fast immer schlecht gelaunt
schildert er seine Erlebnisse: In allen italienischen Städten herrsche die
Sodomie, die Bevölkerung Polens sei von Natur aus „vierschrötig, mit
Stiernacken, breiten Hüften und kräftigen Beinen, sowie rohen,
grobschlächtigen Gesichtern“.
Oder: „Der Hochmut der Spanier und die Höhe der Berge ihres Landes scheinen
mir in einer Beziehung zu stehen. Jene versuchen mit grenzenlosem Ehrgeiz
die Welt unter ihre Herrschaft zu zwingen, wie diese durch ihre grenzlose
Höhe den Himmel in Furcht und Schrecken versetzten, als wollten sie Jupiter
vom Throne stoßen. Und so macht der kleinwüchsige Spanier sich im Innern zu
eigen, was seine Berge ganz äußerlich kennzeichnet.“
Wer Lithgow liest, wundert und amüsiert sich. Um die Objektivität, wie sie
spätere Forschungsreisende pflegten, hat er sich – genauso wie Fürst
Pückler-Muskau – nie geschert. Eigensinnig beschreibt er das ihm Fremde aus
seinem Blickwinkel. In der Fremde ist der Fremde, der Besucher, der
Einwanderer, fremd. Eurozentrismus, Überlegenheitsgefühle, Rassismen, aber
auch Bewunderung und Staunen durchziehen diese Berichte. Das macht sie zum
ungetrübten Spiegel ihrer Zeit, jenseits unserer heutigen Sicht darauf.
Und wenn die Traveling English Ladies im 18. Jahrhundert mitten in der
Wüste auf Five o'Clock Tea mit Spitzendecke bestanden, so ist das nicht nur
Snobismus, sondern auch Haltung. Denn wer sich seiner eigenen Kultur,
seines eigenen Standpunkts nicht vergewissert, wird auch mit der anderen
Kultur nichts anfangen können.
Heute, in Zeiten um sich greifender interkultureller Kompetenz und
politischer Correctness, lastet bereits auf der Wahrnehmung von Fremdheit
ein Generalverdacht. Dabei achtet jener, der vor dem Fremden zurückschreckt
oder sich zumindest darüber wundert, diese mehr als derjenige, der es
abstreitet.
Mit der Forderung nach Verständigung als Allerweltsrezept werden Probleme
zur Seite geschoben. Unterschiede und Eigenwilligkeiten, auch die
Feindlichkeit gegenüber dem Fremden, werden verdrängt. Man will bestehende
Projektionen und Vorurteile nicht wahrhaben. Sie werden ausgeblendet und so
behandelt, als lösten sie sich allein bei gutem Zureden und mit
scheinheiligen Verständnisparolen in Missverständnisse und Lernprozesse
auf.
So entsteht gleichgültige Toleranz. Ein Tugendterror, der die Unterschiede,
und damit das Staunen, die Anziehungskraft der Welt verneint.
9 Feb 2014
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
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