# taz.de -- Das andere Sotschi: Borschtsch ohne Biathlon | |
> Außerhalb des Olympia-Areals ist von den Spielen nur wenig zu merken. | |
> Sportübertragungen in Cafés? Fehlanzeige. Auch die Protestzone ist tot. | |
Bild: „100 Rubel? Warum nehmt ihr nicht den Bus?“, fragt der Taxifahrer. | |
SOTSCHI taz | Olympia ist eine Stadt für sich. Hier gibt es eigentlich | |
alles. Man muss die olympische Zone nicht verlassen. Wir haben es trotzdem | |
getan. Denn es gibt ein russisches Leben außerhalb des eingezäunten | |
Bereichs. Da ist das Örtchen Khosta, das zwischen Adler, also dem | |
Olympiazentrum, und dem eigentlichen Sotschi liegt. | |
Hier hat Wladimir Putin mehr wider- als freiwillig eine Demo-Zone | |
eingerichtet, damit nicht der Eindruck entsteht, der russische Präsident | |
würde so etwas generell verbieten. Man darf hier nach Anmeldung bei der | |
Stadtverwaltung aufmarschieren, allerdings darf die Demo keinen Bezug zu | |
den Olympischen Winterspielen haben. | |
Die [1][Demo-Zone] in Khosta liegt ab vom Schuss, unter einer Hochstraße in | |
einem kleinen Park, wo der Opfer von Tschernobyl und der Veteranen des | |
Zweiten Weltkriegs gedacht wird. Die Blumenrabatten sind gepflegt. Ein | |
Fluss rauscht. Die schneebedeckten Berge des Kaukasus bilden den | |
Hintergrund für diese unbespielte Bühne. | |
Ein Polizist sieht etwas weiter entfernt nach dem Rechten. Aber er hat | |
nicht viel zu tun, denn in der Demo-Zone hat es erst eine kleine Kundgebung | |
von ein paar Altkommunisten gegeben. Das war noch vor der Eröffnung. | |
Seitdem ist nicht viel los. Ab und zu kommen Journalisten vorbei oder | |
Einheimische aus Khosta mit Hund oder Kind. | |
## Die taz-Zweierdemo | |
Jetzt spielt eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter, und außer uns ist noch | |
ein Kollege von der Süddeutschen Zeitung in der Demo-Zone. Niemand in der | |
Stadtverwaltung gebe ihm Antwort auf seine Anfragen, ob hier noch mal | |
demomäßig was los sei in den olympischen Tagen, sagt er. | |
An diesem viel zu ruhigen Ort organisieren wir spontan eine kleine | |
taz-Zweierdemo, halten einen Zettel hoch. Darauf: Putin, durchgestrichen. | |
Als Alternative bieten wir „Niers(Bach)“ an. Niemanden stört unsere kleine | |
Aktion. Kein Polizist ist zu sehen. Die Demo löst sich so schnell auf wie | |
sie entstanden ist. | |
Etwas enttäuscht ziehen wir weiter nach Sotschi, passieren den | |
obligatorischen [2][Sicherheitscheck am Eingang] der Bahnstation und | |
zuckeln mit der Eisenbahn in die subtropische Stadt der Sanatorien. An der | |
Uferpromenade ist der Bereich fürs Public Viewing. Eine Band spielt | |
Balalaika-Rock. Auf einer Leinwand läuft der Teamwettbewerb im | |
Eiskunstlauf. Vielleicht 200 Olympiafans sind auf dem Gelände. Es ist nicht | |
mal zu einem Drittel gefüllt. Länger ist die Schlange vorm offiziellen | |
Olympiashop, wo es die ornamentalen Bosco-Klamotten gibt. | |
Ist Russland nicht auch eine Biathlon-Nation, fragen wir uns und machen uns | |
auf die Suche nach einer Kneipe, um Einheimische beim Skijägerschauen | |
beobachten zu können. Empfohlen wird uns ein französisches Lokal im | |
Yachthafen. Das Bild, das den Maître mit Russlands Ministerpräsident | |
Dimitri Medwedjew zeigt, wirkt wenig anziehend. Sind hier alle Lokale so | |
stinkig? Passantinnen bestätigen das. Sie empfehlen ein Lokal, in dem es | |
russische Spezialitäten gibt. Biathlon mit Borschtsch. | |
## Räuberische Taxifahrer | |
Wir halten ein Taxi an, um zum Café Derewnja zu fahren. Mehr als 100 Rubel | |
darf das nicht kosten, sagen die Frauen, die uns das Lokal empfohlen haben. | |
Der Taxifahrer muss lachen, als wir ihm das sagen. „100 Rubel? Warum nehmt | |
ihr nicht den Bus? Kommt, ich fahre euch zur nächsten Haltestelle.“ | |
Geschichten von räuberischen Taxifahrern kursieren viele in Sotschi. Die | |
Olympiagäste aus dem Westen haben es nicht leicht mit den Schlawinern | |
hinterm Steuer. „1.400 Rubel“, sagt der Fahrer. Aussteigen? „Gut, 700 für | |
jeden, einer darf umsonst fahren.“ Am Ende zahlen wir nach harten | |
Verhandlungen 350 Rubel. | |
Biathlon läuft nicht in dem Lokal. Eiskunstlauf auch nicht. Wenn nicht noch | |
ein älteres Paar im Mitarbeitertrainingsanzug des Organisationskomitees auf | |
ein Süppchen eingekehrt wäre, nichts hätte in der folkloristisch | |
eingerichteten Bude auf Olympia hingedeutet. Eine Mini-Band spielt | |
schmalzige Schnulzen oder russische Karambamusik. Wenn den Gästen ein Lied | |
gefällt, tanzen sie. Mehr Sport ist nicht an diesem Abend. | |
An einem Tisch wird Geburtstag gefeiert. Alles, was die Speisekarte bietet, | |
seht auf der Tafel: kiloweise Fleisch, Piroggen, Salate, Räucherfisch, | |
Essiggurken, Obst und Zungenwurst. Die Trinksprüche sind lang und die | |
Wodka- und Kognakflaschen schon lange nicht mehr voll. „Wo kommt ihr her?“ | |
Bald sitzen wir inmitten der Geburtstagsgesellschaft und trinken immer | |
wieder auf die Völkerfreundschaft. „Danken wir Olympia, sonst hätten wir | |
uns nie getroffen!“, sagt einer immer wieder. | |
## Neue Hotels als Kunden | |
Er ist ein typischer Sotschinjez sagt er. Kein Russe, weil er georgische | |
Vorfahren hat, und kein Georgier, weil er in Russland lebt. „So ist | |
Sotschi, hier gibt es Armenier, Georgier, Juden, alles.“ Und der Krieg mit | |
Georgien 2008? „Damit haben wir doch nichts zu tun?“ Was sagt eigentlich | |
ein Sotschinjez über all die Veränderungen der vergangenen Jahre. „Für mich | |
als Autofahrer ist das super“, sagt der, der uns angesprochen hat. | |
Und die neuen Hotels findet er auch nicht schlecht. Die Firma, für die er | |
arbeitet, vertreibt Wodka. Die neuen Hotels sind seine Kunden. „Und die | |
haben gut gezahlt“, sagt er. Über Sport sprechen wir nicht. Am Ende eines | |
langen Abends hilft er uns, ein Taxi zurück in unser Hotel zu organisieren. | |
Mindestens dreimal fragt er den Fahrer, ob der Taxameter auch läuft. Es | |
gibt also reguläre Taxis. Allein wären wir darauf nie gekommen. Das Auto | |
das uns nach Hause bringt, ist als Taxi nicht zu erkennen. Es bringt uns | |
zurück in unser Olympia. | |
9 Feb 2014 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
Markus Völker | |
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