# taz.de -- Gewerkschaften: Neue Kirchengewerkschaft | |
> In Niedersachsen gründet sich eine neue Interessenvertretung für | |
> kirchliche Arbeitnehmer. Ver.di kann sie nicht so ganz ernst nehmen. | |
Bild: Bekommen jetzt auch eine Interessenvertretung: Mitarbeiter von Kirche und… | |
HAMBURG taz | Mitarbeiter von Kirche und Diakonie in Niedersachsen bekommen | |
eine neue Interessenvertretung. Am Donnerstag will sich in Delmenhorst ein | |
Landesverband der „Kirchengewerkschaft“ gründen. Die Initiatoren kommen aus | |
der zum Verwechseln ähnlich heißenden „Kirchengewerkschaft Niedersachsen“. | |
Dabei spricht die eine der anderen ab, eine Gewerkschaft zu sein. Die | |
DGB-Gewerkschaft Ver.di, die sich auch auf diesem Feld tummelt, bezweifelt | |
die Schlagkraft der Konkurrenz. „So ganz ernst nehmen kann ich diese | |
Gründung nicht“, sagt Annette Klausing von Ver.di. | |
Das kirchliche Arbeitsrecht ist eine Welt für sich. Seit Jahren kämpfen die | |
Gewerkschaften darum, dass die Kirchen und ihre mildtätigen Einrichtungen | |
wie die Diakonie und die Caritas von ihrem „Dritten Weg“ abweichen, auf dem | |
sie einen Interessenausgleich mit ihren Angestellten suchen. Löhne und | |
Arbeitsbedingungen werden demnach von paritätisch besetzten Kommissionen | |
ausgehandelt, statt in den anderswo üblichen konfrontativen Verhandlungen. | |
Betriebsräte sind nicht vorgesehen, Streiks auch nicht. | |
Die Gewerkschaften werfen den Kirchen vor, dieses Modell und den Idealismus | |
ihrer Mitarbeiter auszunutzen, um Lohndrückerei zu betreiben: Arbeit für | |
Gotteslohn in, was Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen angeht, von | |
Konkurrenz geprägten Branchen. Die Kirchen verweisen auf ihre vom | |
Grundgesetz garantierte Sonderrolle und darauf, dass sie bisweilen über | |
Tarif bezahlten. | |
Im November 2013 hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ihre | |
Position nach einem Spruch des Bundesarbeitsgerichts abgemildert: Künftig | |
erkennt die Kirche den Zweiten Weg an, der in der nordelbischen Kirche | |
schon lange beschritten wird, und der Tarifverhandlungen zwischen | |
Gewerkschaften und kirchlichen Arbeitgebern vorsieht. Im Mai 2013 haben | |
auch Ver.di und die niedersächsische Diakonie eine Tarifvereinbarung | |
unterzeichnet. | |
Der neue Landesverband der Kirchengewerkschaft nutzt die neue Lage in | |
Niedersachsen. Die Konföderation der Kirchen in Niedersachsen wäre neben | |
der Nordkirche, der badischen und der Landeskirche Kurhessen-Waldeck die | |
vierte Landeskirche, in der die Kirchengewerkschaft aktiv ist. | |
„Wir stellen den kirchlichen und diakonischen Auftrag in keinster Weise in | |
Frage“, sagt der Bundesvorsitzende der Kirchengewerkschaft, Günter | |
Dolezich, „sondern wir wollen wie normale Mitarbeiter behandelt werden.“ | |
Die Kirchengewerkschaft wolle bei den Verhandlungen über Löhne und | |
Arbeitsbedingungen als unabhängige Instanz mitsprechen – und zwar auf | |
Augenhöhe mit den Arbeitgebern. Weil ihre Mitglieder nur bei der Kirche und | |
der Diakonie arbeiteten, sei sie dafür besser geeignet als Ver.di. „Wir | |
sind einfach dichter dran“, behauptet Dolezich. | |
„Gewerkschaft ist kein geschützter Begriff“, sagt dagegen die | |
Ver.di-Sekretärin Klausing und verweist darauf, dass die Gründer des neuen | |
Landesverbandes vom „Mitarbeitervertretungsverband (MVV)“ kommen, einem | |
Verein, der sich erst im November in „Kirchengewerkschaft Niedersachsen“ | |
umbenannt hat. „Ob sich an der Schlagkraft etwas ändert, wenn man in zwölf | |
Monaten zwei Umbenennungen vornimmt, daran habe ich meine Zweifel“, sagt | |
Klausing. | |
Dolezich von der „Kirchengewerkschaft“ betont, dass es sich um individuelle | |
Überläufer handele und keine Umfirmierung. Die Gründer des Landesverbandes | |
seien zur Kirchengewerkschaft gekommen, weil der als „Kirchengewerkschaft | |
Niedersachsen“ auftretende MVV ja nur ein Verein sei. „Es ist die Frage, ob | |
das eine Gewerkschaft ist“, sagt Dolezich. Entsprechend streiten die beiden | |
Arbeitnehmerlobbys. Im Dezember stellte die „Kirchengewerkschaft“ die | |
Rechtmäßigkeit des Namens „Kirchengewerkschaft Niedersachsen“ in einem | |
offenen Brief infrage. Ein Verein sei nicht tariffähig. Außerdem sei der | |
MVV nicht von den Kirchen unabhängig. | |
Auch Ver.di sei bis vor ein paar Jahren noch ein Verein gewesen, kontert | |
der MVV. Und es sei zwar richtig, dass die Kosten der Mitarbeit des MVV in | |
der Kommission, die mit den Kirchen die Arbeitsbedingungen aushandelt, von | |
den Kirchen getragen würden, aber das sei ja auch richtig so: „Warum | |
sollten wir auch mit den Beiträgen unserer Mitglieder den ’ungeliebten | |
Dritten Weg‘ mitfinanzieren?“ | |
11 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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