# taz.de -- Die Wahrheit: Meine heiße Pyjama-Party | |
> Wer in den Vororten Manchesters im Hotel nächtigt, ist auch im | |
> angrenzenden Pub nicht vor loderndem Unbill sicher. | |
Das Bell House in Didsbury, einem Vorort von Manchester, gehört nicht zu | |
den zehntausend besten Wirtshäusern Englands. Der verwinkelte Laden ist ein | |
Naturreservat für Milben, denn der Restaurantteil ist komplett mit | |
Teppichen ausgelegt. Weil die Milben nachts schlafen müssen, schließt der | |
Pub bereits abends um zehn. | |
Umso überraschter war ich, als kurz vor Zapfenstreich drei junge | |
Spanierinnen in sehr knappen Nachthemden und mit Flip-Flops das | |
Etablissement betraten. Hatte ich einen plötzlichen Klimawandel verpasst? | |
Offenbar nicht, draußen regnete es in Strömen, und die Passanten trugen | |
Wintermäntel. Dann schob jemand eine alte Dame in einem Rollstuhl herein. | |
Sie trug einen Schlafanzug. Kurz darauf kamen fünf Frauen um die fünfzig in | |
Bademänteln. Ihnen folgte ein Teenager in Boxer-Shorts und T-Shirt. Aha, | |
eine Pyjama-Party, dachte ich. Aber fünf Minuten vor Kneipenschluss? | |
Ich fragte eine der Bademanteldamen. „Unser Hotel nebenan brennt“, erklärte | |
sie. „Deshalb wurden wir evakuiert.“ Ich erblasste, denn ich übernachtete | |
ebenfalls in dem Billighotel. Draußen waren inzwischen zwei Löschzüge | |
vorgefahren, aus einem Zimmer im ersten Stock drangen dicke Rauchwolken. | |
Mein Zimmer lag ebenfalls im ersten Stock. Ein Feuerwehrmann erklärte | |
jedoch, das Feuer sei im Boilerraum ausgebrochen. Das wunderte mich nicht, | |
denn in dem Hotel funktionierte wahrlich nicht viel. Der Fahrstuhl war seit | |
einer Woche kaputt, das auf der Internetseite angekündigte kostenlose Wi-fi | |
im Foyer gab es nicht. Es gab überhaupt kein Foyer, sondern nur eine | |
winzige Rezeption, auf der ein paar Pappschachteln mit Cornflakes, einem | |
Muffin, einem Müsliriegel und einer Miniflasche Orangensaft lagen. Das war | |
das Frühstück, und es kostete 4,95 Pfund. | |
Inzwischen waren die Pyjama-Leute aus dem Bell House hinausgescheucht | |
worden und standen an dem für Notfälle vorgesehenen Versammlungspunkt | |
mitten auf dem Parkplatz. Es regnete noch immer. Weil die Sache nach | |
Auskunft der Feuerwehr länger dauern würde, handelte die Hotelleitung mit | |
dem Bell House aus, den Laden wieder zu öffnen, damit die Gäste im Trocknen | |
warten konnten. Allerdings durften wir uns wegen der schlafenden Milben nur | |
auf dem Parkettfußboden der Bar aufhalten. Der Hotelmanager erklärte, das | |
Feuer sei gar nicht im Boilerraum des Hotels ausgebrochen, sondern des | |
Restaurants, mit dem man sich das Gebäude teile. Statt uns also ins nicht | |
brennende Hotel zu lassen, steckte man uns ins brennende Wirtshaus. | |
Weit nach Mitternacht durften wir wieder auf unsere Zimmer. Wegen des | |
Rauchgeruchs hatte man sämtliche Fenster geöffnet, so dass sich die | |
Temperatur im Gebäude der draußen angepasst hatte. Am nächsten Morgen schob | |
die Rezeptionistin einen Zettel unter der Tür hindurch. Am Vormittag werde | |
die Alarmanlage getestet, stand darauf. Das sei kein Grund zur | |
Beunruhigung. Nur wenn der Alarm für mehr als eine Minute andauere, solle | |
man sich schleunigst aus dem Staub machen. Ich bin dann lieber gleich | |
abgereist. | |
16 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Manchester | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Die Schlacht um den Penisring | |
Die Iren lieben Prozesse um Schadenersatz. Aber manche Klagen sind mit der | |
Würde eines Gerichts nur schwer vereinbar. | |
Die Wahrheit: Blackpool statt Bahamas | |
In Großbritannien will die Regierung bald mit recht meschugge erscheinenden | |
Maßnahmen Geld für den Staat auftreiben. | |
Die Wahrheit: Lords und Ladies müssen darben | |
Im Oberhaus zu dinieren, kommt einer Strafe gleich. Das zumindest glaubt so | |
manch bedauernswerter Insasse des britischen House of Lords. | |
Die Wahrheit: Die obszöne Laura | |
Nach 90 Jahren will die irische Regierung endlich die immer noch | |
existierende Zensurbehörde abschaffen. Das allerdings ist gar nicht so | |
einfach. | |
Die Wahrheit: Die alte Lady in der Ruine | |
Fast pleite ist die Queen - muss sie nun bald ihre geliebten Corgis | |
einschläfern lassen, weil das Geld für Hundefutter alle ist? | |
Die Wahrheit: Englische Idiotien: Nicht hier – dort | |
In Großbritannien ist auf die Behörden so gar kein Verlass, was zu allerlei | |
Ungemach für Besucher und Einheimische führt. |