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# taz.de -- Videospiele mit philosophischem Anspuch: „Kein Tier würde eine F…
> Ein neues „Bundle“ bringt uns die alten Versionen von „Civilization“
> wieder nahe. Mit dem Soziologen Norbert Elias verstehen wir die
> Spielereihe besser.
Bild: Spielzeugfigur aus dem New York State Military Museum: „Raising the Fla…
Ausgerechnet im Jubiläumsjahr des 1. Weltkriegs ein Sonderangebot zur
Weltherrschaft anbieten – muss das sein? Unbedingt. Anfang Februar stand
das „Humble Sid Meier Bundle“ zum Download bereit. Für ein paar Dollar
konnten ältere Spiele, Updates und Ergänzungen des Entwicklers Sid Meier
zusammen erworben werden.
Zum „Bundle“ gehörten auch die Versionen III, IV und V des PC-Klassikers
Civilization, eines 1991 gestarteten Strategie- und Aufbauspiels, das dank
gut programmierter Nachfolger zu den erfolgreichsten Spielereihen der
neunziger und nuller Jahre gehört. Zwar ist Civilization kein Kriegsspiel,
doch militärische Strategien gehören dazu wie die Gasmasken zum 1.
Weltkrieg: Es geht auch ohne, der Verzicht kann aber drastische Folgen
haben.
In seinem erstmals 1939 veröffentlichten Werk „Über den Prozess der
Zivilisation“ führt [1][der Soziologe Norbert Elias] aus, wie das deutsche
Bürgertum sich vor und nach dem 1. Weltkrieg im Namen der eigenen Kultur
gegen die Zivilisation wandte. Der Begriff Zivilisation galt als
verweichlicht und dekadent, sie sei etwas für Krämer; nur am deutschen
(Kultur)Wesen könne die Welt genesen.
Elias verfolgt die „Soziogenese“ des Gegensatzpaars Kultur und Zivilisation
zurück bis ins Mittelalter. Wo von Frankreich aus der Begriff der
Zivilisation später seinen Siegeszug um die Welt antrat, da dümpelte die
deutsche Kultur [2][HRR_1789.png:in Klein- und Vasallenstaaten] vor sich
hin.
## Zwang statt Kooperation
In den komplexen, sich stets wandelnden Welten von Civilization besteht
dieser Gegensatz fort, wenn auch verworren und mehrfach gebrochen. Wo die
Franzosen zu Spielbeginn mit einer großen Kathedrale und damit reichlich
kultureller Ausstrahlung starten, können die Deutschen nur gut kämpfen und
effizient arbeiten. Beide streben dennoch dasselbe Ziel an. Egal in welcher
Variante, immer will eine Welt über tausende Jahre zum Wohl der
Pixel-Menschheit entwickelt und schließlich zum Wohl der eigenen
Zivilisation beherrscht werden.
Man mag hier zu Recht einwenden, dass das Wohl der Menschheit und das Wohl
der eigenen Sippe, Nation oder Zivilisation sich meist grundlegend
widersprechen. „Kein Tier würde eine Fahne erobern“, schreibt der
[3][Philosoph und Hegelianer Alexandre Kojève], und bringt damit den
gedanklichen Abscheu auf den Punkt, der einen beim Spielen von Civilization
– allem Vergnügen am Spiel zum Trotz und vor allem in älteren Varianten –
manchmal befällt und der die Erinnerung an den 1. Weltkrieg präsent hält:
den Zwang zur Unterwerfung des Gegners statt Kooperation in Frieden.
Es werden in Civilization zwar keine Fahnen erobert, aber Städte. Im Spiel
ist Geschichte eine Abfolge von kulturellen und technischen
Errungenschaften, die bestimmte Wirkungen haben. Man tritt ein in den
Wettbewerb der Nationen und kann ihn gewinnen oder verlieren, je nachdem
wie gut die eigenen Wissenschaftler, Soldaten, Bauern, Handwerker und
Händler arbeiten. Gut meint hier effizient, Krieg gehört zum Tagesgeschäft,
Territorien wollen erobert oder verteidigt werden, das Volk ist zufrieden,
wenn es nur genügend Angebote zur Zerstreuung gibt.
## Das Ende der Geschichte als Option
„Kein Tier würde eine Fahne erobern“ – Kojève liegt richtig und falsch
zugleich. Richtig, denn wo sich das Tier selbst erhält und tötet, um zu
überleben, tötet der Mensch auch mit der Begierde, sich über Andere zu
erheben. Und weil das nicht mehr geht, wenn die Anderen tot sind, ist die
Gewalt- oder Kriegsdrohung manchmal wichtiger als tatsächliche Gewalt und
realer Krieg.
So entstehen [4][Herr- und Knechtschaft.] Hegels Ende der Geschichte fällt
in „Civilization“ in eins mit der eigenen Dominanz und wenn es mal anders
ist, wird das Spiel halt abgebrochen und neu gestartet.
„Kein Tier würde eine Fahne erobern“ – Kojève liegt falsch, denn
Zivilisation ist prozesshaft. Das lehren uns „Civilization“ selbst und eben
Elias‘ in „Über den Prozess der Zivilisation“. Sein Blick auf die
Zivilisation ist einer, der sich auf das Werdende und Gewordene, also das
von Menschen Gemachte richtet.
„Civilization“-Spieler kennen das. Sie selbst entscheiden, ob sie
ökonomisch, wissenschaftlich, kulturell oder militärisch siegen wollen. Ab
einem bestimmten Spielstand und je nach Gegner kann dies schnell erreicht
oder [5][fast unendlich verzögert werden.] Das Ende der Geschichte ist eine
Option, mehr nicht.
## Die Friedensbewegung um Dschingis Khan
Wichtiger sind für Elias die Begriffe Entwicklung, Prozess,
[6][Interdependenz], Widerspruch und ihre Verbindung. Den Prozess der
Zivilisation wird nicht verstehen, meint Elias, wer sich nicht auch mit den
Selbst- und Fremdbildern von Menschen und ihren Wechselwirkungen befasse.
In Civilization sind die Mongolen gefürchtete Gegner, da sie, von der
Künstlichen Intelligenz gesteuert, nur auf Raub und Krieg aus sind. Spielt
man sie selbst, ist zumindest auf mittlerer Spielstufe ein Kultursieg ohne
allzugroße Gefechte möglich. Dschingis Khan kann der Welt ewigen Frieden
bringen.
Die Neuausgabe des Buches im Jahr 1969 widmete Elias seinen Eltern:
„Hermann Elias, gest. Breslau, 1940. Sophie Elias, gest. Auschwitz 1941
(?)“. Der Ort und die vage Zeitangabe des Todes seiner Mutter verweisen
darauf, was alles zum „Prozess der Zivilisation“ und erst recht zu ihrem
Widerpart gehört: der deutschen „Kultur“. In Civilization lassen sich alle
Kriegsarten finden – zur See, in der Luft, am Boden, selbst Atomwaffen
schlagen ein. Vernichtungslager aber gibt es nicht.
2 Mar 2014
## LINKS
[1] http://www.suhrkamp.de/autoren/norbert_elias_1091.html
[2] http://commons.wikimedia.org/wiki/File
[3] http://www.iep.utm.edu/kojeve/
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Herrschaft_und_Knechtschaft
[5] http://www.reddit.com/r/gaming/comments/uxpil/ive_been_playing_the_same_gam…
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Interdependenz#Soziale_Interdependenz
## AUTOREN
Maik Söhler
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