| # taz.de -- Anarchopanda über Vermummungsverbot: „Das ist verfassungswidrig�… | |
| > In Quebec wird am Montag gewählt. Kein Grund zum Jubeln, so Julien | |
| > Villeneuve alias Anarchopanda. Er kämpft weiter gegen die Verschärfung | |
| > des Demonstrationsrechts. | |
| Bild: Anarchopanda mit Fans auf einer Demo gegen Studiengebühren 2012 in Montr… | |
| taz: Julien Villeneuve, in Deutschland wird Kanada oftmals als die bessere | |
| Hälfte Nodamerikas dargestellt: wohlfahrtsstaatlich orientiert, | |
| multikulturell und friedfertig. Ist das Bild schief? | |
| Julien Villeneuve: Zunehmend ja – mit unserem Potentaten Harper und seinen | |
| Konservativen am Ruder. | |
| Warum? | |
| Austeritätspolitiken, Gewerkschaftsfeindlichkeit und eine undemokratische | |
| Haltung zum Parlamentarismus sind Markenzeichen dieser Regierung geworden. | |
| Und ich bin mir nicht sicher, ob der starke Zuwachs für die | |
| sozialdemokratische NDP bei den vergangenen Wahlen ausreicht, um | |
| gegenzusteuern. | |
| Aber in der Provinz Quebec, wo Sie zuhause sind, sieht es doch etwas anders | |
| aus, oder? Am Montag wird dort ein neues Parlament gewählt, und die beiden | |
| größten Parteien Quebecs sind Gegner der konservativen Regierung in Ottawa. | |
| Auf dem Papier ist das der Fall, aber in der Praxis kollaboriert der | |
| separatistische Parti Québécois mit der Bundesregierung, und dies würden | |
| auch die Liberalen tun – zum Beispiel beim Bau von Pipelines oder bei den | |
| gegenwärtigen Geheimverhandlungen zum Transatlantischen | |
| Freihandelsabkommen. Letzteres ist, was den derzeit regierenden Parti | |
| Québécois betrifft, besonders ungeheuerlich, da die Partei vermeintlich für | |
| die nationale Souveränität kämpft, wir aber alle wissen, dass | |
| Freihandelsabkommen einige erhebliche Einschränkungen der nationalen | |
| Souveränität mit sich bringen, üblicherweise zu Gunsten des Big Business. | |
| Egal wer am Montag gewinnt; es wird wohl kaum Anlass zum Jubeln geben, | |
| obwohl ich finde, dass der Parti Québécois eine Tracht Prügel verdient | |
| dafür, dass er diese giftige Wahl auf uns abgeladen hat, wegen seines | |
| närrischen Griffs nach der Mehrheit. | |
| In Ihrer Kostümrolle als Anarchopanda haben Sie sich als Kandidat für den | |
| Parti Nul aufstellen lassen. Die Partei versteht sich als Wahlmöglichkeit | |
| für Leute, die sich ansonsten der Wahl enthalten würden. | |
| Meine hauptsächliche Motivation war es, eine öffentliche Debatte über den | |
| Wert des Wählens und die Grenzen unseres gegenwärtigen politischen Systems | |
| anzustoßen. Ich dachte, das wäre nutzbringender als einfach nur eine | |
| weitere Moralpredigt im Sinne einer Wahlenthaltung abzusondern. Zwar halte | |
| ich eine aufgeklärte Wahlenthaltung für philosophisch vertretbarer als das | |
| meiste, was heutzutage als gute Argumente für Wahlen durchgeht. Aber es ist | |
| keine ausgemachte Sache, dass sie immer die richtige Antwort ist. Die Leute | |
| sprachen darüber, also war es erfolgreich, denke ich. | |
| Aber Sie haben kurz danach ihre Kandidatur wieder zurückgezogen. Warum? | |
| Weil es offensichtlich wurde, dass einige Leute eigentlich eher für mich | |
| votieren würden, statt einfach nur den Parti Nul als einen Mechanismus | |
| dafür zu nutzen, ihre Stimme ungültig zu machen. Die Idee war es ja, | |
| einfach diese Möglichkeit anzubieten und nicht, den Leuten zu sagen, was | |
| sie zu tun haben. | |
| Als Anarchopanda sind Sie erstmals im Mai 2012 öffentlich in Erscheinung | |
| getreten, da erlebte Quebec den längsten Studierendenstreik in Kanadas | |
| Geschichte, ausgelöst durch eine drastische Erhöhung der Studiengebühren. | |
| Warum haben Sie sich für die Teilnahme an den Demonstrationen kostümiert? | |
| Seit Beginn der Bewegung war ich gelegentlich auf Protesten unterwegs, ohne | |
| ein Kostüm, weil ich die Anliegen der Studenten unterstützte. Aber es war | |
| die Polizeigewalt und insbesondere das Schicksal des Collegestudenten | |
| Francis Grenier, der Anfang März 2012 ein Auge verlor, die mich dazu | |
| veranlassten, mich stärker einzumischen. Ich erwog sogar, einen | |
| Hungerstreik anzufangen, um die Regierung dazu zu bringen, mit den | |
| Studentenvertretern zu verhandeln, was sie auch noch Monate nach | |
| Streikbeginn und etlichen verletzten Studenten und Unterstützern weiterhin | |
| ablehnte. Aber jeder sagte mir, wie blöd das sei, und bat mich, mir bitte | |
| was anderes einfallen zu lassen. So dachte ich mir Anarchopanda aus. | |
| Warum ein Pandakostüm? | |
| Das schaute hübsch aus und war billig. Es hätte auch etwas anderes sein | |
| können, obwohl die Übereinstimmung der Panda-Farben mit denen des | |
| Anarchopazifismus ein netter Zufull ist. Aber sie ist eben nur Zufall. | |
| Der studentische Massenprotest trug zu einem Regierungswechsel in Quebec im | |
| September 2012 bei. Und die gegenwärtige Minderheitsregierung unter | |
| Noch-Premierministerin Pauline Marois zog die Studiengebührenerhöhung | |
| wieder zurück. Ein Beweis dafür, dass ziviler Ungehorsam doch etwas ändern | |
| kann? | |
| Ich bin froh, dass die Gebühr zum größten Teil wieder rückgängig gemacht | |
| wurde, aber das ist wohl kaum das, was ich als Wandel bezeichnen würde. Der | |
| Parti Québécois nutzte die Studierendenbewegung, um gewählt zu werden, wie | |
| Parteien das immer so machen, und gab den Studenten dann etwas für ihre | |
| zumeist widerwillige Mitarbeit zurück. Selbstverständlich finde ich das | |
| alles nicht besonders erbaulich. Aber ja doch, die Studenten haben dem | |
| Establishment ein wenig Angst eingejagt, sie zeigten, dass andere Formen | |
| der Organisation möglich sind, und sie haben einander viele Dinge gelehrt, | |
| die in gegenwärtigen und zukünftigen Auseinandersetzungen von Nutzen sind. | |
| Das ist schon eine Verbesserung. | |
| Auseinandersetzungen gibt es in Montreal und Quebec derzeit vor allem über | |
| die Einschränkungen des Demonstrationsrechts, die als Reaktion auf die | |
| Studentenproteste verhängt wurden. Laut des Gemeindeerlasses P-6 müssen | |
| Demos in Montréal angemeldet und muss die vorgesehene Route von der Polizei | |
| genehmigt werden. Außerdem herrscht ein Vermummungsverbot. Restriktionen, | |
| die im deutschen Gesetz fest verankert sind und kaum in Frage gestellt | |
| werden. | |
| Für Paraden teilt man vielleicht vorab die Marschroute mit, doch nicht für | |
| Proteste. Proteste können spontan sein. Und was vielleicht noch wichtiger | |
| ist: eine Route vorzulegen und dann ihre Einhaltung durchzusetzen ist schon | |
| an sich hierarchisch. Und wir wollen nicht unsere sozialen Bewegungen | |
| zwingen, sich in dieser Weise zu organisieren. Zumindest will ich das | |
| sicher nicht. In Sachen Maskierung stehen die Dinge noch schlechter, da das | |
| Bundesparlament vergangenes Jahr ein Gesetz verabschiedet hat, das bis zu | |
| 10 Jahre Gefängnis für das Tragen einer Maske während ungesetzlicher | |
| Versammlungen und Ausschreitungen vorsieht – was einfach lächerlich ist. | |
| Die Strafgesetzbuch sah zuvor schon vor, Kriminelle für das Maskiert sein | |
| während ihrer Taten stärker zu bestrafen. | |
| Ich bin der Meinung, dass diese Verfügungen verfassungswidrig sind und | |
| völlig ungerechtfertigte Beschränkungen der Versammlungs- und | |
| Meinungsfreiheit darstellen. Und sie sind in einem globalen Kontext der | |
| Kriminalisierung von Dissens und der Verschärfung von Formen sozialer | |
| Kontrolle zu betrachten. Es sind unsere Straßen und Plätze, wo wir uns zum | |
| Protest versammeln. Diese Aktivitäten sind legitimer Bestandteil einer | |
| demokratischen Gesellschaft. Und das Recht die eigene Identität zu | |
| schützen, während man demonstriert, ist in unserer Welt der zunehmenden | |
| Massenüberwachung umso wichtiger. | |
| Das Vermummungsverbot betrifft Sie bei ihrer Performance als Anarchopanda | |
| natürlich besonders: Wie oft haben Sie seit Inkrafttreten von P-6 schon ein | |
| Bußgeld erhalten, weil die Polizei Sie während einer Demonstration im | |
| Kostüm angetroffen hat? | |
| Nur einmal, im April 2013, als die Polizei meinen Kopf konfiszierte. Ich | |
| glaube, insgesamt hat bisher nur eine einzige andere Person einen | |
| Strafzettel erhalten, dafür dass sie einen Schal trug – im Mai 2013, | |
| während eines Protests gegen Polizeibrutalität. Es war kalt, auch ich hätte | |
| einen Schal getragen, wäre ich nicht im Kostüm gewesen. | |
| Die Polizei behielt Ihren Panda-Kopf ein mit der Begründung, er diene als | |
| Beweismittel gegen Sie. Wie war es eigentlich für Sie, so „kopflos“ zu | |
| sein? | |
| Ursprünglich war ich ziemlich angepisst, weil, hey, das ist mein Kopf. Wer | |
| weiß, was die Polizisten mit ihm getrieben haben. Aber dann sind die Medien | |
| auf den Zug aufgesprungen und drehten regelrecht durch. Und ich dachte, das | |
| ist zugleich absurd und wunderbar. Die Leute begannen wieder über P-6 zu | |
| sprechen, und beinahe wäre es uns gelungen, Teile der Verordnung durch die | |
| Gemeindevertretung außer Kraft setzen zu lassen. Ehrlich, für diese Sorte | |
| Shitstorm hätte die Polizei den Schädel als Trinkgeld behalten können...War | |
| nur ein Scherz. Der Kopf ist meiner. | |
| Der Shitstorm offenbarte, dass Sie über das akademische Milieu Montreals | |
| hinaus eine massive Popularität genießen. Wie gehen Sie mit ihrem | |
| „Celebrity Status“ um? | |
| Die Leute wissen nicht, wie ich in menschlicher Gestalt aussehe, das ist | |
| die Hauptsache. Auf der Straße werde ich nicht erkannt, die Leute | |
| belästigen mich großartigerweise weder mit Kritik noch mit Lob. Allerdings | |
| spendiert mir auch niemand exotische Drinks, wenn ich abends ausgehe. Ist | |
| zwar irgendwie blöd, aber doch nur ein kleiner Preis, den ich dafür zahle, | |
| ein Privatleben zu haben. Natürlich muss ich vorsichtig mit dem „Status“ | |
| umgehen, der mir zugefallen ist. Ich versuche ihn nur dafür zu verwenden, | |
| anderen Menschen zu helfen, an was anderes denke ich überhaupt nicht. Ich | |
| finde es gut, von den Leuten respektiert zu werden. Aber alles, was darüber | |
| hinaus geht, ist albern. | |
| Hat es Ihnen, seit Sie als AnarchoPanda unterwegs sind, schon jemand | |
| nachgemacht und ist für eine Demo in ein Plüschbärkostüm geschlüpft? | |
| Es gab eine kleine Zahl von anderen kostümierten Protestierenden, | |
| insbesondere die Rabbit Crew. Aber wir haben nicht das gleiche Ziel | |
| vefolgt. Sie bewegten sich meist in der großen Tradition der Protestclowns, | |
| zeigten der Polizei die lange Nase und fügten dem Protest, der an sich | |
| schon sehr langweilig sein kann, Elemente des Spaßes und der Absurdität | |
| hinzu. Ich habe das auch getan, aber die Hauptidee war, zu schauen, was | |
| während der Übergriffe der Polizei passiert. | |
| Wann waren Sie zuletzt im Kostüm von Anarchopanda unterwegs? | |
| Am vergangenen Donnerstag, während der Demo gegen Austerität in Montréal, | |
| die von [1][ASSÉ] (Association pour une Solidarité Syndicale Etudiante) | |
| organisiert wurde, der hauptsächlichen Kraft hinter den Studentenstreiks | |
| 2012. Derzeit trage ich das Kostüm nur für sie oder bei Gelegenheiten, die | |
| mit P-6 zu tun haben. Das Kostüm anzuhaben ist eine ziemlich unangenehme | |
| Erfahrung, deshalb versuche ich es zu vermeiden, wenn ich nicht wirklich | |
| das Gefühl habe, dass es was nützt. | |
| Und wann haben Sie das letzte Mal während einer Demonstration einen | |
| Polizisten umarmt? | |
| Oh, das ist schon eine Weile her. Das war 2012. Insgesamt habe ich es | |
| lediglich geschafft, etwa zehn Polizisten zu umarmen. Tatsächlich ist es | |
| mir aber gar nicht so wichtig, Polizeibeamte zu umarmen, sie sollten ja | |
| längst wissen, dass wir während Protesten nicht gefährlich sind, es sei | |
| denn, sie verhalten sich uns gegenüber repressiv. Es sollte gar nicht | |
| notwendig sein, sie zu umarmen, um diesen Sachverhalt klar zu machen. Aber | |
| so hat man wenigstens etwas zu tun, wenn man mal nicht am Laufen ist oder | |
| bei Polizeiübergriffen interveniert. | |
| Auf Twitter wird Anarchopanda in Kürze 9000 Follower haben, folgt aber | |
| selbst gerade mal einem Account – dem der Polizei. Die folgt Anarchopanda | |
| aber nicht. Ein Akt der Unfreundlichkeit, dafür, dass die Polizei so | |
| privilegiert ist, oder? | |
| Die wirkliche Fangemeinde tummelt sich auf [2][Facebook] – über 19.000 | |
| Leute. Ich folge der Polizei auf [3][Twitter] nur während eines Protests, | |
| üblicherweise um die falschen oder unvollständigen Informationen zu | |
| widerlegen, die sie sendet, um die Medien zu beeinflussen. Seien Sie | |
| versichert, dass die Polizei mir tatsächlich doch folgt und das ich das | |
| nicht als Zeichen von Freundlichkeit interpretiere. | |
| 7 Apr 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.asse-solidarite.qc.ca/ | |
| [2] http://www.facebook.com/Anarchopanda | |
| [3] http://www.twitter.com/Anarchopanda | |
| ## AUTOREN | |
| Oliver Pohlisch | |
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