| # taz.de -- Grüner Landrat in Bayern: Zuagroaste Preissn | |
| > Rund um den Tegernsee hatten jahrelang CSU-Filz und Profitmafia das | |
| > Sagen. Eine Provinzposse brachte das Fass zum Überlaufen. Und ein Grüner | |
| > ist Landrat. | |
| Bild: Grüne Wiese, blauer Himmel, Tracht: Sparziergänger am Schliersee im Kre… | |
| BAYERN taz | Die Kommunalwahlen in Bayern sind zwar schon ein paar Wochen | |
| vorbei, doch manche Ergebnisse kann man selbst im tiefgläubigen Bayern | |
| immer noch kaum glauben. Dazu zählt vor allem die Wahl des Grünen Wolfgang | |
| Rzehak zum Landrat im Kreis Miesbach. Seine Wahl erscheint auch grünen | |
| Optimisten im Nachhinein noch so unwahrscheinlich wie der Sieg eines | |
| Regionalligaclubs im Champions-League-Endspiel über den FC Bayern. | |
| Um den sensationellen Erfolg des Grünen richtig einzuschätzen, muss man | |
| sich den Landkreis Miesbach genauer anschauen. Der besteht vor allem aus | |
| dem früher zwecks Bergbau sozigeprägten Schliersee, im Volksmund „Lago di | |
| Prolo“, und aus dem Tegernseer Tal um den Tegernsee, vulgo „Lago di Bonzo“ | |
| genannt. Von Letzterem aus hetzte einst Ludwig Thoma im Miesbacher Merkur | |
| gegen Juden und Münchner Räterepublik, hier residierten während der | |
| Nazizeit NS-Größen. | |
| Später ließen sich Großkopferte wie der Metro-, Saturn- und | |
| Media-Markt-Besitzer Otto Beisheim nieder und okkupierten das Tal. Beisheim | |
| entzog dem Gymnasium Tegernsee eine 10-Millionen-Euro-Spende, nachdem das | |
| Lehrerkollegium eine Namensänderung in Beisheim-Gymnasium mit knapper | |
| Mehrheit wegen seiner Mitgliedschaft in der Leibstandarte-SS Adolf Hitler | |
| abgelehnt hatte. Da schäumte der Tegernsee vor Empörung ob der Blödheit der | |
| linksradikalen Lehrer, so eine Spende zu vergeigen. | |
| Am Seeufer protzen heute Hubsi Burda, Uli Hoeneß (vorübergehend verreist), | |
| erfolgreiche Steuerberater und deren Klientel mit satten Villen. Der | |
| Grundstückswert wird nach Quadratmillimetern berechnet, der Preis | |
| gewährleistet, dass man unter sich bleibt. Außer den Gschwollschädeln | |
| gibt’s noch ein paar einheimische Exoten, die mit schmucken Trachten, | |
| Volksmusik und Bauerntheater die volkstümliche Trachtenstubenatmosphäre | |
| aufschmalzen. Rund um den See betonieren | |
| Immobilienverwertungsgesellschaften emsig den letzen freien Quadratmeter | |
| Seegrund. Auch das frühgotische Klostergut Kaltenbrunn, im 15. Jahrhundert | |
| gegründet, geriet ins Fadenkreuz der Spekulation. Nur das Engagement der | |
| „Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal“ und eine Popularklage konnten es vor | |
| der Verstümmelung durch den Schörghuberkonzern (Paulaner) zum Landhaushotel | |
| retten. | |
| Von den CSU-Bürgermeistern, dem Landrat bis in die CSU-Spitze der | |
| Bayerischen Staatsregierung waren alle allzeit bereit, sämtliche | |
| Denkmalrichtlinien über den Haufen zu werfen und dem Bier- und | |
| Immobilienkonzern freie Hand bei dieser „Umwidmung“ zu lassen. Die | |
| Bürgermeister rund um den See sowie der Landrat tummelten sich gleich | |
| rudelweise im Arsch vom Schörghuber – hätte es die Schutzgemeinschaft | |
| Tegernseer Tal nicht gegeben, wäre auch dieses Denkmal verloren gewesen wie | |
| schon so vieles zuvor. | |
| ## Ein Heuschreck aus Kitzbühel | |
| Diese Schutzgemeinschaft, von Alteingesessenen oft als „zuagroaste Preissn“ | |
| geschmäht, ist so ziemlich das einzige Korrelativ gegen Tegernseer CSU-Filz | |
| und Profitmafia. Ihre Mitglieder norddeutscher Abstammung wären natürlich | |
| sofort integriert, täten sie es anderen Talbewohnern nördlicher Provenienz | |
| nach und würden der CSU beitreten bzw. durch Parteispenden ihre Bajuvarität | |
| bezeugen. | |
| Mit welchen Mitteln Investoren am Tegernsee zu Werke gehen, wurde vor drei | |
| Jahren wieder einmal anlässlich eines Bürgerbegehrens der Gemeinde | |
| Waakirchen am Rande des Tegernsees deutlich. Ein Heuschreck aus Kitzbühel | |
| hatte sich den hoch gelegenen Lanserhof in Marienstein einverleibt und | |
| plante nun eine Erweiterung um mehr als das Doppelte der Hotelfläche | |
| inklusive Bau eines Golfplatzes. Natürlich im Landschafts- und | |
| Wasserschutzgebiet. | |
| Kurz vor dem Bürgerentscheid über die Bauplanung kam auf Einladung des | |
| Investors – flankiert durch eine Werbekampagne eines Tegernsees | |
| Privatradios – der damals noch im ZDF tätige Johannes B. Kerner zu einer | |
| Autogrammstunde, um für den Investor zu werben. Die Abstimmung ging klar | |
| zugunsten des Tiroler Heuschrecks und seines Handlangers, des | |
| Bürgermeisters von den Freien Wählern, aus. | |
| Wieso gewinnt aber jetzt in dieser von CSU und freien CSUlern (FW) | |
| beherrschten Gegend ein Grüner gleich den Landratsposten? Die Erklärung | |
| liefert eine schon länger laufende Provinzposse: Im Landratsamt Miesbach | |
| residierte seit Längerem der frühere CSU-Landtagsabgeordnete Dr. Jakob | |
| Kreidl. Der kam vor ca. zwei Jahren in die Schlagzeilen, als eine | |
| Überprüfung seiner Doktorarbeit das CSU-übliche Plagiat ergab. | |
| ## 100.000 Euro für den 60. Geburtstag | |
| Selbstverständlich war dies kein Grund, als Vorsitzender des Bayerischen | |
| Landkreisverbandes oder Landrat zurückzutreten. Auch die frühere | |
| Beschäftigung seiner Frau als Sekretärin in seinem Landtagsbüro entsprach | |
| gängigen CSU-Gepflogenheiten – das halbe Kabinett Seehofers blieb ja trotz | |
| Verwandtenaffäre ministrabel. Das Fass zum Überlaufen brachte erst das | |
| Sponsern seines 60. Geburtstags durch die Sparkasse Miesbach. Schlappe | |
| 100.000 Euro ließ sich die Bürgerbank den Spaß kosten; dem | |
| stellvertretenden Landrat der Freien Wähler gaben sie für seine Jubelfeier | |
| nur 40.000 Euro. Nach zähem Festklammern gab Kreidl schließlich auf. | |
| Bei der Stichwahl zwischen FW-Kandidat Kerkel und Rzehak gewann der Grüne | |
| dann sensationell mit 53 Prozent. Wolfgang Rzehak ist gut vernetzt in | |
| seiner Heimatregion und läuft im Trachtenjanker rum, als wäre dies nicht | |
| Privileg der CSU. Er saß bis vor Kurzem noch an der Kasse des heimischen | |
| Eishockeyclubs und unterscheidet sich rein äußerlich kaum von den | |
| Schwarzen. Seine Wahl steht als Beweis, dass die Grünen inzwischen auch in | |
| Bayern ihr Image als Bürgerschreck verloren haben. | |
| Seehofer spürt das und umgarnt die kommunal erstarkten Grünen trotz seines | |
| voglwilden Energieschlingerkurses. Die grünen „Spinner und Panikmacher“, | |
| bisher hauptsächlich in den großen Städten erfolgreich, punkten in Bayern | |
| auch auf dem Land. Im Wahlkreis der CSU-Vizeministerpräsidentin Ilse | |
| Aigner, im Dunstkreis von Wildbad Kreuth ein grüner Landrat, da juchizt der | |
| frühere Grünen-Landeschef und Waginger Bürgermeister Sepp Daxenberger | |
| bestimmt im Himmel. Allerdings: Rzehak regiert mit 9 Grünen gegen 21 CSUler | |
| und 16 Freie Wähler. Er hat keine Chance, also muss er sie nützen. | |
| 13 Apr 2014 | |
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| Hans Well | |
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