# taz.de -- Häusliche Gewalt: Herr Maier, das Opfer | |
> Männer, die von ihrer Frau misshandelt werden, sind eine Minderheit. Für | |
> die Betroffenen ist das ein Problem: Sie fallen durch jedes | |
> gesellschaftliche Raster. | |
Bild: Häusliche Gewalt kann auch Männer betreffen – und die finden dann noc… | |
Frauen können brutal sein. Sie können zuschlagen oder den Partner mit | |
Worten verletzen. Die Rede ist hier von häuslicher Gewalt. Weibliche Gewalt | |
gegen Männer ist in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch kaum präsent. | |
Dabei haben Täterinnen einerseits und männliche Opfer andererseits in den | |
letzten Jahren zugenommen. | |
Laut Polizeistatistik waren in Berlin 2001 bei häuslicher Gewalt 14,7 | |
Prozent aller Tatverdächtigen Frauen. 2013 sind es schon 23,8 Prozent. Das | |
heißt: Zwar sind Frauen immer noch ungleich stärker – und wenn, dann meist | |
auch in heftigerem Ausmaß – von häuslicher Gewalt betroffen. Das heißt aber | |
auch: Es gibt sie, die männlichen Opfer. Und sie haben ein Problem: In | |
unserer Gesellschaft gibt es für die betroffenen Männer wenig Verständnis – | |
und noch weniger Hilfsangebote. Männer, die sich von ihrer Frau schlagen | |
lassen, werden nicht einmal mehr als Männer wahrgenommen. Sie gelten als | |
Waschlappen, als Schwächlinge. | |
So könnte auch Herr Maier denken – von sich selbst. Die Suche nach Herrn | |
Maier, der eigentlich anders heißt, war nicht leicht: Kaum ein Mann ist | |
bereit, und sei es unter dem Schutz der Anonymität, über dieses gemeinhin | |
als ganz und gar unmännlich wahrgenommene Phänomen des Opferseins zu | |
sprechen. | |
Treffpunkt ist ein gediegenes Restaurant am Hackeschen Markt. Herr Maiers | |
Händedruck ist fest, mit seiner legeren Kleidung und den blank polierten | |
Lederschuhen macht er einen jugendlichen, sympathischen Eindruck. Herr | |
Maier ist 34 Jahre alt, er hat ein paar Jahre sein Geld in der | |
Finanzbranche verdient und vor Kurzem ein Studium in Wirtschaftsinformatik | |
begonnen. | |
Herr Maier erzählt, wie die Lage zu Hause eskalierte. Wieder einmal. Wegen | |
einer Geringfügigkeit kommt es zum Streit. Seine Ehefrau habe ihm eine | |
Ohrfeige gegeben, sagt er. Es sei zu einem Handgemenge gekommen, dann ruft | |
er die Polizei. Da, sagt Herr Maier, sei seine Frau, mit der er seit zwei | |
Jahren verheiratet ist, ausgetickt. „Sie hat gedroht zu erzählen, dass ich | |
sie geschlagen hätte. Sie spuckte mir ins Gesicht, hat mich gekratzt und | |
mir dann eine Glasvase an den Kopf geworfen.“ Bei den Beamten erstattet er | |
Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. | |
## Die betroffenen Männer sind in mehrfacher Hinsicht bestraft | |
Herr Maier zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus. Seine Mutter weigert | |
sich, ihn aufzunehmen, und vor Freunden schämt er sich. Über das Internet | |
erfährt er von dem Familientherapeuten Peter Thiel. Der bietet ihm eine | |
sogenannte Zufluchtswohnung in Lichtenberg an. | |
Herr Maier hat Glück. Denn nicht nur in Berlin sind Notunterkünfte für | |
Männer eine Seltenheit. Für Frauen, die in der Hauptstadt von häuslicher | |
Gewalt betroffen sind, gibt es 5 Frauenhäuser und 117 Zufluchtswohnungen, | |
insgesamt 317 Plätze – immer noch zu wenig: Freie Kapazitäten gibt es | |
nicht. Und doch ist das Angebot groß im Vergleich zu dem, was Männern, die | |
Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, zur Verfügung steht. „Unsere | |
Zufluchtswohnung in Lichtenberg ist fast das ganze Jahr über belegt“, sagt | |
Peter Thiel. „Etwa ein Dutzend Männer, die jeweils bis zu drei Wochen | |
bleiben.“ | |
Thiel berät schon seit Jahren Paare und vor allem Männer, die häuslicher | |
Gewalt entkommen möchten. Die Zufluchtswohnung für eine Person ist privat | |
finanziert, der Senat verweigert bisher einen finanziellen Zuschuss. | |
„Häusliche Gewalt gegen Männer wird in der Öffentlichkeit nicht | |
wahrgenommen, die betroffenen Männer sind gleich in mehrfacher Hinsicht | |
gestraft: Sie werden nicht nur misshandelt, sie bekommen auch keine Hilfe“, | |
sagt Thiel. „Männer haben keine Opferidentität, sie werden nicht ernst | |
genommen.“ | |
Daniela Tschierpe ist Koordinatorin für häusliche Gewalt in der | |
Polizeidirektion 3, Bezirk Mitte. Die Gewaltstatistik, sagt Tschierpe, | |
verursache „eine Fehlinterpretation“. Denn oft sei es so, „dass eine Frau | |
sich gegen den prügelnden Mann wehrt – und der Mann dann eine Anzeige | |
erstattet. Gegenanzeige nennen wir das“. Stefan Bonikowski, bis vor Kurzem | |
Gewaltpräventions-, jetzt Jugendbeauftragter bei der Berliner Polizei, | |
sieht das anders. Er findet, man müsse die Statistik so nehmen, wie sie | |
sei. Denn „Frauen erstatten schließlich auch Gegenanzeigen“. | |
## Belastbare Studien gibt es nicht | |
Soziologen sprechen bei Statistiken nicht ohne Grund häufig von einem | |
Dunkelfeld. Das Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt gegen Männer ist groß – | |
belastbare Studien gibt es nicht. Die einzige große Untersuchung zu dem | |
Thema überhaupt in Deutschland gab 2004 das Bundesministerium für Familie, | |
Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag. Groß ist dabei relativ: Auch hier | |
war die Stichprobe mit 266 Männern eher klein. Laut dieser Studie erlebten | |
27 Prozent der Männer in ihrer aktuellen oder letzten Partnerschaft | |
körperliche Gewalt. Zu ähnlichen Zahlen kommen auch die wenigen anderen | |
Studien, die es gibt. Was sich hinter dem weiten Feld „häusliche Gewalt“ | |
versteckt, welche Qualität die Gewalterfahrungen der Männer hatten, darüber | |
machen die Studien keine Angaben. | |
Umgekehrt steht zweifellos fest: In der Regel sind Frauen physisch im | |
Nachteil. Jennifer Rotter von der BIG – Berliner Initiative gegen Gewalt an | |
Frauen – sagt denn auch: „Frauen haben nach unseren Erfahrungen die | |
schlimmeren Verletzungen.“ | |
Die Opferhilfe Berlin in Moabit kümmert sich als einzige Beratungsstelle in | |
der Hauptstadt auch um männliche Opfer häuslicher Gewalt. Janice Bridger, | |
die hier als Beraterin arbeitet, geht bewusst diesen Weg. „Wir haben uns | |
zunächst gefragt, ob der Name ’Opferhilfe‘ auf Männer abschreckend wirken | |
könnte. Männer können sich viel schwerer als Opfer sehen – denn ein Mann, | |
der von seiner Frau geschlagen wird, entspricht in keinster Weise dem | |
gängigen Bild von einem Mann“, meint Bridger. | |
„Für die meisten Männer ist es eine große Überwindung, hier überhaupt | |
aufzutauchen. Umso erstaunlicher ist es, dass bei uns letztes Jahr unter 87 | |
Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen waren, 24 Männer waren.“ Das | |
sind immerhin rund 27 Prozent – und entspricht ziemlich genau der | |
Prozentzahl der Polizeistatistik häusliche Gewalt. Janice Bridger findet | |
inzwischen, dass sich in der Förderpolitik etwas ändern müsse. Die Politik | |
hinke dem Problem „Männer als Opfer häuslicher Gewalt“ hinterher. „Es k… | |
vor, dass wir hier Männer sitzen haben, die uns glaubhaft versichern, sie | |
könnten nicht mehr nach Hause.“ | |
Herr Maier hat sich noch mal gemeldet, derselbe Treffpunkt. In dem voll | |
besetzten Lokal kommen dem ehemaligen Wertpapierhändler die Tränen. Er | |
spricht von den Anfängen seiner Beziehung. Er lernte seine zukünftige | |
Ehefrau als lebenslustige Immobilienmaklerin kennen, sagt er. Er nennt sie | |
„meinen Engel“, obwohl sie ihn immer wieder geschlagen hat. Erst die | |
kleinen Schubser, dann die Ohrfeigen. Er habe sich dann wohl irgendwie an | |
die zunehmende Gewalt gewöhnt, sagt er hilflos. | |
## Eine Provokation | |
Herr Maier hat Fotos auf seinem Smartphone: er vor dem Badezimmerspiegel, | |
mit entblößtem Oberkörper. Am Nacken, an den Armen, an den Schultern – | |
gerötete Haut, Striemen. Es sind Beweisfotos, die Herr Maier in jener Nacht | |
aufgenommen hat, damit man ihm glaubt. | |
Die Frage bleibt: Wie kann ein Mann sich zwei Jahre lang von seiner Frau | |
physisch und psychisch quälen lassen? Psychische Abhängigkeit, materielle | |
Not, lauten die Erklärungsversuche, die bei misshandelten Frauen häufig ins | |
Feld geführt werden. Bei einem Mann reagiert man mit Unverständnis, denkt: | |
selber schuld. Die Gesellschaft weiß nicht, was sie von einem Mann wie | |
Herrn Maier halten soll. Sie kann mit ihm nicht umgehen, weil er das | |
Rollenverständnis untergräbt. So, wie Herr Maier hier sitzt und erzählt, | |
mal traurig, dann wieder gefasst, ist er wohl – eine Provokation. | |
16 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Philip Siegel | |
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