Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Im Harmoniegeschäft
> Bundespräsident und Pastor Joachim Gauck versteht es, Wahrheiten so
> auszusprechen, dass sie rückstandsfrei verpuffen.
Bild: Gauck predigt immer ganz sanft – auch vor Diktatoren.
Auf dem Deutschen Bankentag hielt Joachim Gauck die rhetorische Harke fest
umklammert. Eine Harke, sanft wie ein Rückenkratzer aus Weichgummi, die der
Bundespräsident über die gepeinigten Kapitalistenseelen gleiten ließ.
Friedvoll sanken die Aufsichtsräte nach Krabbencocktails an Blattgold in
die Kissen: in Kissen, gefüllt mit dem Geld anderer Menschen, die auf
einmal sehr, sehr weit entfernt schienen. Denn Gauck hatte den Bankern
Seelenruhe geschenkt.
Der Bundespräsident, der immer einen Ruf als moralische Instanz hatte, hat
jetzt einen Ruf als ganz und gar folgenlose moralische Instanz. Seither
vibriert die Wählscheibe seines Mobiltelefons ohne Unterlass.
Und deshalb steht Gauck heute hier vor der Bad Gröbenzeller Mehrzweckhalle.
Tritt eine Roth-Händle in den Staub wie letzte Skrupel. Der Bürgerrechtler
ist schon zu lange im Harmoniegeschäft, um noch nervös zu sein. Und doch.
Nicht jeden Tag kommt der Hochadel internationaler Diktatoren zusammen, um
einem Ossi zu lauschen. Es hat sich herumgesprochen, dass Gauck es
versteht, Wahrheiten so auszusprechen, dass sie rückstandsfrei verpuffen.
Im Foyer ist Robert Mugabe gerade auf der Suche nach der Toilette. „Wir
wollen uns von Joachim so richtig die Meinung geigen lassen“, beteuert der
greise Diktator und imitiert eine Querflöte. „Wenn man von einem
evangelischen Pastor ins Gebet genommen wird, versteht man wieder, dass der
Tod nicht das Ende ist. Danach muss ja noch die Hütte des Opfers
angezündet, die Kinder versklavt und die Frau notgebimst werden“,
schmunzelt der Schlächter von Simbabwe, bevor er sein Wasser am Bein einer
Hostess abschlägt.
In der Halle sind alle Klappstühle besetzt. Verzweiflung liegt in der Luft:
So heißt zumindest Assads neues Parfüm, dessen salzige Kopfnote von den
Tränen syrischer Waisen herrührt. In der letzten Reihe verteilt Kim Jong-Un
ein paar Einheitsfrisuren zum Aufstecken, daneben führt Alexander
Lukaschenko einen Zaubertrick vor: wie man Journalisten mit nur einer
Unterschrift für immer verschwinden lassen kann. Als Gauck ans Rednerpult
tritt, gibt es einen kleinen Eklat. Der Bundespräsident hat vergessen, das
Holzkreuz abzunehmen, das an einer Kette um seinen Hals baumelt. Zuschauer
reißen die Arme vors Gesicht, zischen aus Mund und Ohren, Assad wirft sogar
Blasen, bis Lukaschenko nach vorne stürmt und das Kreuz mit einer
Unterschrift verschwinden lässt. Szenenapplaus brandet auf, dann kehrt Ruhe
ein.
„Wenn ich vor euch stehe, o gemischte Tyrannen, verspüre ich einen Schmerz.
Ganz tief hier drin“, beginnt Gauck und legt eine Hand auf den Leib.
„Wahrscheinlich waren die Krabben verdorben.“ Er rülpst leise ins Mikro.
„Jetzt aber zu euch. Ich bin irgendwie total betroffen vom Zustand eurer
Länder.“ Alle nicken irgendwie total. „Wie könnt ihr zusehen, wie euer Vo…
verhungert? Von euren Terrassen aus, auf Liegestühlen aus
Swarovski-Kristallen, während euch blonde Bimbos fellationieren.“
Gauck wiegt den Kopf, als lausche er einer großen Leere zwischen den Ohren.
„Aber gelebte Solidarität, das ist doch nicht nur ein Wort. Es sind zwei!“,
ruft er jetzt und hält drei Finger in die Luft. „Fangt in eurer Nähe an.
Die Palastwache auch mal zu einem heißen Blutbad einladen. Gemeinsames
Hate-Yoga! Gruppen-Pilatus!“
Gauck blickt in nachdenkliche, fast menschliche Gesichter. „Dann: eure
Familien. Warum immer nur Oppositionelle erschießen lassen, wenn es auch
mal der eigene Onkel sein kann?“ Alle drehen sich nach Kim um, der sich
artig bedankt. „Nehmt euch aber auch Zeit für euch selbst. Dem inneren
Diktator mal eine Waffenruhe schenken.“
Gauck hat sich warm geredet, Lukaschenko bittet einen Journalisten sogar um
dessen Abschrift der letzten Sätze, bevor er ihn verschwinden lässt.
„Zuletzt: eure Feinde. Übt Nachsicht. Ich weiß, dass es schwerfällt. Ich
spüre, dass ihr verletzt seid.“ Wie zum Beweis hebt ein Viertel des
Auditoriums bandagierte Extremitäten in die Luft: Spuren der Mordanschläge,
denen sie regelmäßig ausgesetzt sind. „Schießt nicht immer gleich aufs
eigene Volk. Das können genauso gut die Amerikaner bei ihrer nächsten
Intervention erledigen.“ Zustimmendes Gemurmel.
„Beim Waterboarding auch mal an den Wasserverbrauch denken. Im Straflager
einen Kinderspielplatz einrichten, mit einer heiteren Rutsche aus
Stacheldraht. Auch mal eine Lichterkette mit Demonstranten bilden.“
Empörtes Zischeln dringt von den teuren Plätzen, bis ein Nachwuchsputschist
auf einem der Sperrsitze die Hand hebt.
„Nachdem man sie mit Benzin übergossen und angezündet hat?“, fragt er und
Gauck nickt verschmitzt. Damit hat er die Bande im Sack, tosender Applaus
erhebt sich. „Ich danke Ihnen für Ihre Herzlosigkeit.“ Der Bundespräsident
knickst, „Sic semper tyrannis“-Rufe werden laut. Gauck kann wieder einmal
sehr selbstzufrieden sein.
16 Apr 2014
## AUTOREN
Lino Wirag
## TAGS
Gauck
Rhetorik
Schwerpunkt Rassismus
Fitness
Literatur
Schweiß
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Rassist seiner selbst
Findige Marketingkonzepte, die auch in Deutschland funktionieren: Schwarze
sollen nun Kunden für Firmen ködern.
Die Wahrheit: Beleibt abwehrbereit
Ministerin von der Leyen senkt die Fitness-Standards – durchtrainierte
Soldaten braucht sie ohnehin keine.
Die Wahrheit: Der Gummi-Büchner
Mit dem kleinen Nick in der Schriftstellerschule: Werden der Biller-Maxim
und die seltsame Sibylle heute den unangekündigten Gegenwartsroman
schreiben?
Die Wahrheit: Wo der Käsewürfel fällt
Brett- und Gesellschaftsspiele gelten inzwischen als angestaubt und öde.
Auf ihrer Erfinder-Messe zeigt sich die Branche allerdings erstaunlich
innovativ.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.