# taz.de -- Die Wahrheit: Wo der Käsewürfel fällt | |
> Brett- und Gesellschaftsspiele gelten inzwischen als angestaubt und öde. | |
> Auf ihrer Erfinder-Messe zeigt sich die Branche allerdings erstaunlich | |
> innovativ. | |
Bild: Gerade Soldaten wissen die friedvolle Stimmung eines Brettspiels zu schä… | |
„Zur Spiele-Erfinder-Messe? Einfach dem Trampelpfad nach“, sagt die alte | |
Dame und rückt ein Feld vor. Und richtig, jetzt sehen wir es auch: Eine | |
markante Spur aus zerbrochenen Mikadostäbchen und nicht anschlussfähigen | |
Dominosteinen führt zu einem gottverlassenen Schmieröllager am Rande des | |
Industriegebiets Rauxel-Ost. Dort findet die 1. Internationale | |
Spiele-Erfinder-Messe „UpZock 2014“ statt. | |
Menschen, die im richtigen Leben den lieben langen Tag als Sachbearbeiter | |
einer Versicherung verzweifelt auf eine Tischplatte starren, verwandeln | |
sich hier in Menschen, die den lieben langen Tag als Spiele-Erfinder | |
verzweifelt auf eine Tischplatte starren. Auf dieser Platte nämlich liegen | |
die selbst gebastelten Brett-, Karten- oder Mannschaftsspiele, die den | |
Vertretern von Ravensburger & Co schmackhaft gemacht werden sollen. Als wir | |
die Halle betreten, dröhnen uns musikalische Boardgame-Klassiker wie „All | |
The Lonely Meeple“ und „Ein Brett im Kornfeld“ entgegen. | |
Wir beginnen unseren Rundgang bei einem modernen Klassiker: Klaus Teuber | |
persönlich ist angereist, um sein erfolgreiches Brettspiel „Die Siedler von | |
Catan“ um ein weiteres Spin-off zu bereichern. „Ich habe unser neues | |
Produkt an die Aufmerksamkeitsspanne der durchschnittlichen | |
Unterschichtsfamilie angepasst“, schmunzelt Teuber, „und an deren beengte | |
Wohnverhältnisse.“ Der Doyen des Gesellschaftsspiels schnäuzt sich | |
ausgiebig in einen frischen Dreitausender, bevor er eine kleine rote | |
Schachtel aus der Tasche zaubert. Das soll schon alles sein? | |
„Das soll schon alles sein“, lacht Teuber und lässt die Swarovski-Kristalle | |
auf seinen Zähnen funkeln. „Es heißt: Der Einsiedler von Catan! Das Spiel | |
besteht nur aus einem Wüstenfeld und einer einzelnen Räuberfigur. Kein | |
’Schaf gegen Lehm‘ mehr, nur noch ’Trash gegen Cash‘. Fürs Erste rechn… | |
wir mit zwei Trillionen verkauften Exemplaren.“ | |
Der Trend, an bereits etablierte Marken anzuknüpfen, setzt sich auch am | |
nächsten Tisch fort. Zunächst allerdings können wir unseren | |
Gesprächspartner kaum verstehen: Knirschende und krachende Laute dringen | |
aus seinem Mund. Wir bitten den kleinen Mann, den Toblerone-Riegel und das | |
Stanniolpapier herunterzuschlucken. Er schluckt. Dann spricht er uns erneut | |
an: Immer noch dringen dieselben Laute aus seinem Mund. Er ist also | |
Schweizer und möchte uns eine eigene Risikovariante vorstellen. Auf dem | |
Spielbrett zwischen uns ist eine unverhältnismäßig große Schweiz zu sehen, | |
alle anderen Länder sind einheitlich mit dem Begriff „Rest“ betitelt. | |
„Von hier“, der Erfinder deutet vage auf Osteuropa, „kommen die | |
Kriminellen.“ Er zeigt uns Spielfiguren, die eine erstaunliche Ähnlichkeit | |
mit winzigen Sinti-und-Roma-Kindern und klitzekleinen serbischen | |
Vergewaltigern aufweisen. Außerdem gibt es Mini-Minarette, die in | |
Nordafrika aufgestellt werden, sowie arrogante Arbeitsplatzdiebe, die von | |
Norden auf die Alpen zustürmen. Die Schweiz dagegen ist vollständig mit | |
gesundem, wehrhaftem Bergvolk gefüllt. Der Spielverlauf ist eher gemächlich | |
und simpel. | |
## „Für jedes Loch darf ein Usländer rein“ | |
„Man würfelt einmal mit dem Käsewürfel“, erklärt uns der Erfinder und n… | |
einen tiefen Zug aus seinem Alphorn. „Für jedes Loch, das der Käse anzeigt, | |
darf ein Usländer rein.“ Er schiebt zwei marokkanische Asylanten ins | |
Aargau. Es wird so lange gewürfelt, bis es der ersten Schweizer Spielfigur | |
zu eng wird, was nie lange dauert. Dann muss eine Ereigniskarte gezogen | |
werden. Wir lesen: „Ausschaffungsinitiative! Alle Jugos dahin, wo sie | |
herkommen.“ | |
Beeindruckt schlendern wir weiter. In einer Bude führt jemand Trickstöße im | |
Taschenbillard vor. Ein Mann mit beeindruckendem Schnauz präsentiert | |
„Übermensch ärgere dich nicht“, bei dem ein einziger Pöppel in Ewiger | |
Wiederkunft seine Runden ziehen muss. Nebenan kann man „Knalli-Galli“ | |
ausprobieren, ein Kartenspiel ohne Karten, bei dem man sich mit fünf | |
Bananen bewirft und gegenseitig ins Gesicht schlägt. Sieht so das Spiel des | |
Jahres 2015 aus? | |
Wir machen erneut Halt, als wir ein bekanntes Gesicht entdecken. Handelt es | |
sich bei dem Mann, der unter dem falschen Bart, der tropfenförmigen | |
Sonnenbrille und der gelockten Perücke allerdings kaum zu erkennen ist, | |
nicht um den ehemaligen SPD-Politiker Sebastian Edathy? Als wir ihn | |
ansprechen, zuckt der Mann zusammen. Er sei anonym hier, um sein Spiel „Wer | |
ist es? – An dem letztendlich alles hängen bleiben wird, obwohl er nichts | |
Strafbares getan hat?“ vorzustellen. | |
Den Rest des Tages verbringen wir beim Tourette-Scrabble, wo man legen | |
darf, was man will, weil alle Steine mit schwarzen Balken zensiert sind, | |
mit einem Maidan-Stratego, bei dem man in allen denkbaren Spielvarianten | |
gegen Putin verliert, sowie mit einem nordkoreanischen Monopoly, das durch | |
die sehr inflationär eingesetzte Ereigniskarte „Ziehe ein hartes Los! Gehe | |
direkt ins Straflager! Kehre nie wieder zurück!“ allerdings recht schnell | |
beendet ist. Als wir die Halle am frühen Abend verlassen, bekommen wir an | |
der Garderobe statt unserer Jacken einen winzigen Zylinder aus Zinn und ein | |
dazugehöriges Bügeleisen ausgehändigt. | |
3 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Lino Wirag | |
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