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# taz.de -- Die Wahrheit: Der Gummi-Büchner
> Mit dem kleinen Nick in der Schriftstellerschule: Werden der Biller-Maxim
> und die seltsame Sibylle heute den unangekündigten Gegenwartsroman
> schreiben?
Bild: Ruhe vor dem Sturm: In der Schriftstellerschule toben nicht nur die Debat…
Als wir heute in die Schriftstellerschule gekommen sind, da hat der Herr
Lehrer uns gleich ganz bedeutungsvoll angeschaut und gesagt: So, jetzt alle
gleich mal hinsetzen und Stifte raus, heute schreiben wir einen
unangekündigten Roman. Und zwar den großen deutschen Gegenwartsroman. Der
wäre schon furchtbar lange angekündigt gewesen, und keine Widerrede jetzt.
Da haben wir aber gleich gerufen: Nein, warum denn ausgerechnet heute, und
dass wir nicht gelernt hätten.
Nur der Biller-Maxim hat gleich gestreckt und gesagt, er hätte aber
gelernt, aus der Geschichte nämlich, aber sein Roman wird eh gleich wieder
verboten, und überhaupt bestimmen wieder nur die Nazi-Enkel, was
hierzulande gelesen wird.
Das hat dem roten Dietmar aber gar nicht gefallen, und der hat gerufen, er
gibt dem Maxim gleich eins auf die Nase, doch der Maxim hat geschrien:
Nein, das geht nicht, er trägt nämlich eine Brille und wir die historische
Verantwortung. Der rote Dietmar hat sich wieder hingesetzt und gesagt: Na
gut, er macht das mit dem Gegenwartsroman aber selber auch nicht, weil
nämlich der Kapitalismus immer noch die Bewusstseinsindustrie regiert, und
außerdem hat er noch ein ganzes Feuilleton zum Vollmachen jeden Tag. Und
die Sibylle hat genölt, dass der Preishaufen, auf dem sie sitzen muss, so
spitz ist, dass sie schon nicht mehr normal denken kann, und dann ist auch
noch der Reichspreis für Rassenhygiene eingetrudelt, der irgendwie seit
1941 in der Post hängen geblieben war.
Der Herr Lehrer hat ganz große Augen gekriegt und schnell ein großes Glas
Enziansberger getrunken, weil jetzt auch noch die Terézia angefangen hat,
sich auf dem Boden zu wälzen und spitze ungarische Schreie auszustoßen,
aber das macht sie eigentlich immer.
„Will denn gar keiner den großen deutschen Gegenwartsroman schreiben?“, hat
der Herr Lehrer in die Runde gefragt und ein bisschen mit einem
Büchner-Preis aus Hartgummi gewinkt. Die Sibylle hat kurz unter ihren Rock
geguckt und gesagt, den hat sie doch schon, und dann hat sie ganz laut
gefragt, welchen blauäugigen SS-Mann man denn hier bumsen muss, um endlich
ein sterilisiertes Wasser zu bekommen.
Das hat aber wieder dem Maxim überhaupt nicht gefallen, und er hat die
Sibylle ein schreibendes Kommissbrot genannt, und der rote Dietmar hat
gesagt, wenn er so was hört, muss er jirgeln, doch da ist der Herr Lehrer
ganz laut geworden und hat gesagt, er versohlt uns gleich allen mit dem
Hartgummi-Büchner die vier Buchstaben, und das war gar kein Spaß mehr.
Der Herr Lehrer hat endlich die Juli drangenommen, die schon die ganze Zeit
in der ersten Reihe mit beiden Armen gewedelt hat, und die hat gleich
gerufen: Apropos vier Buchstaben, mehr braucht sie gar nicht, um gleich
fünfhundert Seiten vollzumachen, weil, sie muss beim Schreiben nämlich
überhaupt nicht nachdenken.
Der Herr Lehrer hat wieder ganz große Augen gemacht und gar nichts gesagt
und ganz schnell noch ein großes Glas Enziansberger getrunken. Plötzlich
ist der Biller-Maxim auf seinen Tisch geklettert, und wir haben alle
gesehen, er ist fast so rot angelaufen wie der Dietmar, und dann hat er
gerufen, er hat genug von uns Weißbroten und auch von der Terézia und dem
Saša und den anderen mit den Häkchen im Namen, die sollen ruhig weiter ihre
Onkel-Tom-Scheiße schreiben.
Immerhin hätten die kein Häkchen als Nase, hat der Mose-Martin da von ganz
rechts außen gerufen, und bevor der Herr Lehrer was sagen konnte, ist jetzt
auch der Meyer-Clemens aufgestanden und hat gemeint: So, jetzt muss der
Biller-Maxim alle seine Bücher aufessen, und die von der Sibylle gleich
mit, und das ist überhaupt eine prima Idee gewesen. Der Maxim hat
geschrien: Nein, das geht nicht, wegen der Kollektivschuld, aber der
Clemens war schon mal im Gefängnis gewesen und hat noch ganz andere Sachen
aufessen lassen. Die Juli und die Terézia und die Sibylle, die haben
inzwischen laut geheult, aus schriftstellerischer Pein oder wegen zu viel
und zu wenig Preisen. Es war sowieso ein ganz prima Durcheinander.
Gerade als der Maxim krachend in den Einband von „Blumenberg“ gebissen hat,
da ist plötzlich die Tür aufgegangen, und der Herr Direktor ist
reingekommen. Der Herr Direktor hat gesagt: Nanu, was ist denn hier los?
Und dass man unseren Lärm ja bis in die Dachzeilen hören kann. Der Herr
Direktor hat den Herrn Lehrer ganz streng angesehen, aber der hatte gerade
die Flasche Enziansberger an den Lippen, und deshalb hat der Herr Lehrer
dem Herr Direktor dann wahrscheinlich auch genau auf die Jacke gejirgelt.
Der Herr Direktor hat seine Jacke angesehen, dann den Herrn Lehrer, und
dann hat er uns angesehen und mit so ganz komischer Stimme gesagt, dass wir
unsäglich peinlich und faul und selbstbezogen sind, und dass unsere
Parallelklasse aus Amerika die Aufgabe mit dem großen Gegenwartsroman
sofort verstanden hat, und dass dort alle eine Eins bekommen haben. Und
dann hat er uns alle zu vier Wochen Stehsatz verdonnert, und den Herrn
Lehrer gleich mit.
10 Mar 2014
## AUTOREN
Lino Wirag
## TAGS
Literatur
Gegenwartsroman
Schwerpunkt Rassismus
Gauck
Schweiß
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