# taz.de -- Die Wahrheit: Rassist seiner selbst | |
> Findige Marketingkonzepte, die auch in Deutschland funktionieren: | |
> Schwarze sollen nun Kunden für Firmen ködern. | |
Bild: Auch dem Smalltalk verleiht Horst-Justin Strasser internationales Format | |
Horst-Justin Strasser hat ein neues Geschäftsfeld entdeckt: Er vermietet | |
sich als selbstständiger Schwarzer an mittelständische Unternehmen. Die | |
Firmen nutzen die optische Präsenz des jungen Mannes, um bei | |
Geschäftspartnern gezielt den Eindruck zu hinterlassen, sie engagierten | |
sich nicht nur für Menschen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen, | |
sondern hätten auch die Zeichen von Globalisierung und internationalem | |
Wettbewerb gelesen. „Das ändert natürlich nichts daran, dass der deutsche | |
Mittelstand so braun bleibt wie ein ungebleichtes Arschloch“, sagt der | |
26-jährige Strasser harsch, während er im Café Potthast in Paderborn eine | |
heiße Schokolade trinkt. | |
Der Vater ein Mindener Lagerist, die Mutter amerikanische Diplomatin; vom | |
Vater hat Strasser den Nachnamen, von der Mutter die pigmentierte Haut, die | |
ihm in Ostwestfalen – einem Landstrich, der gesellschaftlichen | |
Entwicklungen traditionell hinterherhinkt – genauso viel Argwohn einbringt, | |
wie sie ihn für Unternehmen attraktiv macht, die toleranter erscheinen | |
wollen, als sie es sind. | |
Dabei hätte Horst-Justins Berufsleben anders verlaufen sollen. „Ich wollte | |
eine Banklehre machen“, erzählt der junge Mann. Aber seine Bewerbungen | |
wurden vom realexistierenden Rassismus westfälischer Prägung durchkreuzt. | |
Bei seinem zweijährigen Bewerbungsmarathon rutschte Strasser, der gerne | |
ausdrucksstarke Metaphern benutzt, „die Kimme der deutschen Wirtschaft | |
runter wie ein Tischtennisball ein Regenrohr“. | |
Seine Erfahrungen fasst er heute mit feinem soziologischem Gespür zusammen. | |
„In den Augen der Personaler glomm jedes Mal die gleiche, fast erotische | |
Angstlust. Kein Unternehmen will heutzutage den Eindruck erwecken, es hätte | |
die Warnsignale der Globalisierung überhört. Jeder Detmolder | |
Wursthersteller will sich als global player verkaufen, dem ethnic awareness | |
über alles geht.“ Der stellvertretende Geschäftsführer einer Bielefelder | |
Controlling-Agentur rechnete Strasser sogar unverblümt vor: „Jeder Neger, | |
der von unserer Website grinst, reicht für zwei Neukunden aus Übersee.“ | |
Am Ende siegten freilich die Vorurteile, eine feste Stelle wurde | |
Horst-Justin nie angeboten. Bis er beschloss, aus der Not eine Tugend zu | |
machen. Er richtete die Website www.vorzeigeschwarzer.de ein: Dort kann man | |
Strassers Dienste aus verschiedenen Komponenten zusammenstellen. Seine | |
Angebotspalette beginnt mit Schauarbeiten, bei denen er am Computer sitzt | |
und Fantasiezahlen in eine Excel-Tabelle einträgt, während die | |
Geschäftsleitung ihre Kunden durch die Räumlichkeiten führt. In der | |
nächsten Preisklasse ist Strasser beim eloquenten Smalltalk an der | |
Kaffeemaschine zu erleben. Bucht man seinen Full Service, nimmt | |
Horst-Justin sogar in Nebenrollen an Besprechungen und Verhandlungen teil. | |
„Normalerweise fahren alle am besten, wenn ich als Assistent der | |
Geschäftsführung vorgestellt werde“, erklärt er. „Das klingt einerseits, | |
als hätte man mir Verantwortung übertragen, andererseits weiß aber auch | |
keine Sau, was ich so genau mache.“ | |
Um internationales Flair zu verbreiten, stellt Strasser sich bei solchen | |
Terminen als Kwasimodo Mbombo vor und spricht mit Fantasieakzent. Zu seinem | |
Repertoire gehören außerdem eine Reihe sorgsam auswendig gelernter | |
„traditioneller afrikanischer Weisheiten“, die Horst-Justin im Internet | |
zusammengesucht hat. In Besprechungen streut er so an passenden Stellen | |
Sinnsprüche wie „Das Tier, das der Leopard nicht fressen konnte, verspeist | |
auch die Katze nicht“ ein, garniert mit lautem Lachen, das „dem hiesigen | |
Bild vom immer fröhlichen Bimbo entspricht“, wie der Deutsch-Amerikaner | |
kühl konstatiert. | |
Obwohl er von seiner Arbeit gut leben kann, ist Strasser zynisch, nennt | |
seine Tätigkeit – zumindest informell – „schaunegern“. Nicht, um zu | |
provozieren, sondern weil dies schlicht den Sprachgepflogenheiten vieler | |
seiner Kunden entspreche. „Wird man als Angehöriger einer Minderheit selbst | |
zum Rassisten, wenn man den deutschen Mittelstand zwar ausnutzt, aber | |
zugleich ideologisch bedient? Kann ich Rassist meiner selbst werden?“, | |
philosophiert Horst-Justin. | |
Doch er hat den Eindruck, die Situation verbessere sich. Nicht nur, weil | |
ihn die Anfrage eines großen bayerischen Motorenherstellers erreichte, ob | |
er für ein Großevent auch „eine ganze Farbpalette“ aus zwanzig Personen | |
zusammenstellen könne. Nein, inzwischen ist sogar die Festanstellung im | |
Bankenwesen, für die er einst ausgezogen war, wieder in greifbare Nähe | |
gerückt. „Letzte Woche hat mir die Bad Oeynhausener Sparkasse angeboten, | |
doch dauerhaft bei ihnen zu negern, sie hätten so viele Außentermine in | |
nächster Zeit“, sagt Horst-Justin. „Als ich dem Geschäftsführer vorschlu… | |
ich könne neben dem Schwarzsein ja auch noch richtige Arbeit für ihn | |
machen, war er vollends aus dem Häuschen. Daran hatte er überhaupt nicht | |
gedacht.“ | |
3 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Lino Wirag | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Arbeitsmarkt | |
Globalisierung | |
Gauck | |
Fitness | |
Literatur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Im Harmoniegeschäft | |
Bundespräsident und Pastor Joachim Gauck versteht es, Wahrheiten so | |
auszusprechen, dass sie rückstandsfrei verpuffen. | |
Die Wahrheit: Beleibt abwehrbereit | |
Ministerin von der Leyen senkt die Fitness-Standards – durchtrainierte | |
Soldaten braucht sie ohnehin keine. | |
Die Wahrheit: Der Gummi-Büchner | |
Mit dem kleinen Nick in der Schriftstellerschule: Werden der Biller-Maxim | |
und die seltsame Sibylle heute den unangekündigten Gegenwartsroman | |
schreiben? |